Land unter (Dieter Rieken)

p.machinery (2020)
Taschenbuch, 246 Seiten, 14,90 EUR
ISBN: 978 3 95765 204 1

Genre: Dystopie / Climate Fiction


Klappentext

Herbst 2060: In Deutschland ist es heiß. Nach einem Anschlag auf die Deiche hat die Nordsee große Teile des Landes überflutet. Der Staat ist pleite, die Wirtschaft stagniert und Millionen müssen in prekären Jobs arbeiten. Enno ist in seine Heimat nach Ostfriesland zurückgekehrt. Gemeinsam mit seinen Freunden Hose, Tine und Warner, dem alten Piet und der Schlepperkapitänin Chris lebt und arbeitet er in den Ruinen der überschwemmten Städte.

Eines Tages erfährt Enno von den Hintergründen des Anschlags. Dadurch gerät er ins Visier eines gewissenlosen Spekulanten und eines Berliner Clanchefs …

"Land unter" mischt Zukunfts-, Kriminal- und Heimatroman. Das Buch entführt den Leser in eine Welt, in der der Klimawandel bereits stattgefunden hat. Vor diesem Hintergrund erzählt es eine vielstimmige Geschichte über Freundschaft und Familie, Vertrauen und Solidarität, Geheimnisse und Gier.


Rezension

Der Klimawandel hat den Meeresspiegel höher steigen lassen als erwartet. Die Niederlande und Norddeutschland wurden durch riesige Deichanlagen geschützt, doch bei einem Anschlag starben Millionen Menschen. Im Jahr 2060 leben wieder vereinzelt „Rückkehrer“ im überfluteten Norddeutschland: auf Schiffen, kleinen Inseln oder in den oberen Stockwerken von aus dem Wasser ragenden Hochhäusern. Auch Enno ist in seine Heimat Ostfriesland zurückgekehrt und verdient seinen Lebensunterhalt mit der Wartung und Reparatur von Windkraftanlagen. Mit seinen Freunden lebt er dort ein einfaches, aber zufriedenes Leben – bis er eines Tages zufällig erfährt, wer hinter dem verheerenden Anschlag auf die Deiche steckt und so zum Ziel eines gnadenlosen Clanchefs und eines skrupellosen Spekulanten wird …

“Land unter“ ist ein stimmungsvoller Mix aus Climate Fiction, Dystopie und Heimatroman. Als Leser erlebt man zunächst den Alltag der Rückkehrer in Ostfriesland und erfährt während ihres Beisammenseins mehr über den Anschlag auf die Deiche, den die jungen Leute hautnah miterlebt haben. Allerdings ahnt zunächst keiner von ihnen, wer die Millionen Toten zu verantworten hat. Man vermutet radikale Islamisten dahinter, denn im Nahen Osten herrscht nach wie vor Krieg – oder auch rechtsradikale Terroristen, denn nach dem Anschlag wurde die grün-linke Regierung von einer rechtsnationalen abgelöst. Enno und seine Freunde schimpfen über die Nationalisten, aber in ihrer Einsamkeit betrifft sie die Politik des Landes kaum, auch wenn Enno aufgrund seiner dunklen Hautfarbe wieder verstärkt von Rassismus betroffen ist. Wenn allerdings mal einer Stress macht, stehen sowohl seine Freunde als auch flüchtige Bekannte hinter Enno und schlagen den Nazi in die Flucht.

Enno überzeugt die Leserschaft mit seiner pragmatischen, ehrlichen Art. Er ist ein ruhiger Typ, der sich Gedanken um andere macht und rücksichtsvoll verhält. Insbesondere in seiner Beziehung zu Schlepperkapitänin Chris fällt das positiv auf. Diese schätzt sein Einfühlungsvermögen sehr, vor allem nach den negativen Erfahrungen mit ihrem Ex. Zu Ennos wichtigsten Freunden gehören Barbesitzer Hose, der seinen Spitznamen bei der Flut bekommen hat, der mysteriöse Hacker Warner und ein alter, grimmiger Mann namens Piet, der mit seinem Hausboot die Nordsee bereist. Sie alle sind markante Charaktere, zwischen denen es teils viele Geheimnisse und unentdeckte Verbindungen gibt. Diese werden im Verlauf der Geschichte nach und nach aufgeklärt, wobei es zum Ende hin etwas zu viel mit den verwandtschaftlichen Beziehungen wird. Kurz vor Schluss gibt es nochmals immensen Klärungsbedarf, was dazu führt, dass das Finale durch diverse Rückblenden zu stark in die Länge gezogen wird. Vor allem, da man sich das Wichtigste bereits selbst zusammengereimt hat.

Mit dem Spekulanten Adrian und Clanchef Tarik hat der Autor zwei fiese Antagonisten geschaffen, deren Beweggründe jederzeit nachvollziehbar sind. Trotzdem oder auch gerade deshalb verachtet man die beiden, wobei der erschreckend empathielose Adrian, der sich selbst als Opfer inszeniert, besonders eklig rüberkommt. Die beiden kennen sich aus der Schulzeit, wo Tarik mit seinem Migrationshintergrund ausgegrenzt und gefürchtet wurde. Seine Familiengeschichte besteht aus Jahrzehnten organisierter Kriminalität und auch wenn Tarik selbst subtiler und besonnener als seine Vorfahren vorgeht, so ist er doch ein knallharter und skrupelloser Clanchef geworden, der keine Fehler duldet. Dabei macht er sich selten selbst die Hände schmutzig und weiß ganz genau, wie er seine Spuren verwischt.

Dieter Rieken verwirrt anfangs mit zu vielen Zeitsprüngen und Perspektivenwechseln, doch nach und nach gewöhnt man sich daran, dass wichtige Informationen durch Rückblenden in den Text geflochten werden. Immerhin ist die Vergangenheit der meisten Charaktere wirklich interessant, ebenso wie das Setting im überfluteten Norddeutschland. Die Rückkehrer haben sich einiges einfallen lassen, um ihr Leben angenehmer zu gestalten. Und auch wenn die Zukunft dystopisch ist, so bemühen sich die Menschen trotzdem noch darum, die Klimawandel einzudämmen und es zumindest etwas besser zu machen. Der Autor spinnt gesellschaftliche und politische Themen unserer Gegenwart weiter und widmet sich unter anderem der Migration, Rassismus und und der Frage, was Heimat ausmacht. Leider scheinen wir dabei auch in vierzig Jahren nicht viel weiter zu sein als heute. 


Fazit

”Land unter“ zeichnet eine düstere, aber nicht ganz hoffnungslose Zukunft, in der die Menschen mit den Folgen des Klimawandels und eines verheerenden Anschlags zurechtkommen müssen. Dieter Rieken schneidet eine Vielzahl gesellschaftlicher und politischer Themen an, wobei stets Bezüge zu unserer Gegenwart erkennbar sind. Auch wenn nicht alles glaubhaft wirkt, so überzeugt der Roman mit vielen entscheidenden Details, die das Leben im überfluteten Norddeutschland beklemmend realistisch erscheinen lassen.


Pro und Contra

+ stimmungsvolles Setting im überfluteten Ostfriesland
+ Ennos pragmatische, rücksichtsvolle Art
+ markante Nebencharaktere
+ authentische, verachtenswerte Antagonisten
+ Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten
+ viele Details schaffen eine beklemmend realistische Zukunftsvision

- irritierende Zeitsprünge und Perspektivenwechsel am Anfang
- teils zu viele Verbindungen zwischen den Charakteren

Wertungsterne4

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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Tags: Dystopie, Climate Fiction, AndroSF, deutschsprachige SF, Dieter Rieken