Opferschuld (Ann Cleeves)




Verlag rororo, Januar 2011
Originaltitel: Telling Tales, übersetzt von Stefanie Kremer
TB, 426 Seiten, € 9,99
ISBN 978- 3499253621

Genre: Cozy Krimi


Klappentext

Emma Bennett sieht sich mit dem schlimmsten Trauma ihrer Kindheit konfrontiert: Zehn Jahre zuvor entdeckte sie an einem frostigen Wintertag in einem Graben die Leiche ihrer besten Freundin. Eine Frau wurde verhaftet, doch nun taucht ein Zeuge auf, der ihr umstrittenes Alibi nach all den Jahren bestätigt.

Kommissarin Vera Stanhope würde den Mordfall gerne lösen, doch das gestaltet sich unerwartet schwierig: In dem Dörfchen Elvet findet sich kaum ein Einwohner, der kein Motiv gehabt hätte, die hübsche, verzogene und sehr gerissene Abigail zu töten. Binnen kürzester Zeit ist die Atmosphäre vergiftet. Und Vera fragt sich: Haben die Dorfbewohner Angst vor dem Mörder oder vor ihrer eigenen, schuldbeladenen Vergangenheit?


Die Autorin

Ann Cleeves, geboren in Herfordshire, lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in West Yorkshire und ist Mitglied des Murder Squad, eines illustren Krimi Zirkels. Für Die Nacht der Raben, den ersten Band ihrer Krimireihe, die auf den Shetlands spielt, wurde ihr 2006 die weltweit wichtigste Auszeichnung der Kriminalliteratur verliehen: der Duncan Lawrie Dagger Award. Totenblüte war der Auftakt ihrer neuen Reihe um die eigenwillige Kommissarin Vera Stanhope, hier folgt nun der zweite Band.


Rezension

Jeanie Long hat sich umgebracht. Mehr als 10 Jahre lang hat sie ihre Unschuld beteuert, obwohl sie für den Mord an Abigail Mantel einst zu lebenslänglich verurteilt wurde. Sie hatte das beste Motiv und kein Alibi, die Indizien reichten der Jury für eine Verurteilung. Jetzt ist auf einmal ein neuer Zeuge aufgetaucht, der sie vor zehn Jahren weit weg vom Tatort gesehen hat – genau da, wo sie immer behauptet hat, gewesen zu sein. Nur leider zu spät für sie, trotzdem wird der Fall wieder aufgerollt. Kommissarin Vera Stanhope bekommt den Auftrag, alles aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und sorgfältig die bereits getroffenen Aussagen erneut zu überprüfen. Durch ihr unperfektes Äußeres suggeriert sie ihrem Gegenüber Harmlosigkeit und Trägheit vor, sie kann ihre Intelligenz hervorragend verstecken. Dadurch erzählen ihr die Leute viel mehr, als sie eigentlich wollen. Auf Zwischentöne zu achten ist ihre Spezialität. Und in dem kleinen Dörfchen gibt es eine Menge Zwischentöne, denn irgendwie kennt jeder jeden und meint, die tiefsten Geheimnisse zu entdecken. Und Geheimnisse verstecken sich eine Menge in dem kleinen Dörfchen Elvet, angefangen bei dem Opfer Abigail, das gar nicht so unschuldig war, wie es den Anschein hatte. Vera wühlt tief im Schlamm und eine Menge Unrat kommt zutage. Werden sich das Dörfchen und seine Einwohner jemals wieder von der Aufregung erholen?

Ann Cleeves nimmt sich anfangs viel Zeit, ihre Protagonisten vorzustellen. Detailliert beschreibt sie Emmas Tagesablauf und ihre wilden Phantasien über ihren Nachbarn Dan. Obwohl sie mit James verheiratet ist und Mutter eines kleinen Jungen, gibt sie sich Tagträumen über eine Beziehung zu Dan hin, der ihr gegenüber eine Töpferei betreibt. Als Vera ihre Ermittlungen aufnimmt, wird ihr schlagartig bewusst, dass sie Dan schon viel länger kennt, er war einer der ermittelnden Beamten bei Abigails Tod. Ihr Mann James ist Lotse auf dem Humber, seine Arbeitsabläufe werden genauso ergiebig geschildert. Auch er birgt Geheimnisse, er ist nicht ganz das, was er vorgibt zu sein. Dann gibt es noch Emmas Eltern, die streng religiös leben und ihr Vater Jeanie Longs Bewährungshelfer war. Michael Long, Jeanies Vater, wird durch Veras Besuch bei ihm richtig aufgerüttelt und nimmt wieder bewusst am Dorfleben teil, durch den Tod seiner Frau und Tochter hatte er sich gehen lassen. Jetzt will er sich aber aktiv an der Suche nach Abigails Mörder beteiligen und endlich Jeanies Unschuld beweisen, auch wenn es für sie zu spät ist. Nach und nach kommen einige Geheimnisse der Dorfbewohner ans Tageslicht und der ehemalige Mord wird immer mysteriöser – immer mehr Menschen haben ein Motiv. Dann passiert ein zweiter Mord und die Suche wird dringlicher.

Whodunnit, Häkelkrimi oder Cozy Crime wird dieses Genre genannt, seine Spezialität ist die Beschaulichkeit, die in den Ermittlungen liegt. Die Protagonisten sind überschaubar, ihre Charaktere und Lebensläufe werden eindringlich dargelegt. Ergebnisse liegen offen vor dem Leser, er weiß meistens genauso viel wie die Ermittler. Vera Stanhope überzeugt durch ihren Scharfsinn, auf ihre unnachahmliche Art deckt sie Verborgenes gründlich auf. Allerdings kann die Autorin das Potential ihrer Ermittlerin nicht ganz ausschöpfen, Langeweile breitet sich teilweise aus, ihr Erzählstil ist manchmal zu abschweifend. Wer es beim Lesen behaglich mag und sich gerne mit allen Möglichkeiten auseinandersetzt, dazu einen ungewöhnlichen Ort besuchen kann, der ist hier richtig aufgehoben. Die Atmosphäre eines kleinen Ortes mit Dorfkneipe und den Kapitänshäusern ist gelungen, die Informationen über den Beruf des Lotsen und der Lotsenbootkapitäne sind interessant und erwecken den Wunsch, die Landschaft mit eigenen Augen zu betrachten und die Einzigartigkeit der Landspitze mit den Kapitänshäusern zu entdecken. Die Auflösung und das Motiv wirken glaubhaft, auch die Ermittlungsarbeit ist solide und nachvollziehbar. Spannend wird es leider erst in der zweiten Hälfte, vorher verliert sich die Autorin zu sehr in einzelnen Personen.


Fazit

Wer hat es getan, wer hat Abigail Mantel wirklich umgebracht? Wie viele Spuren sind schon verwischt nach all der Zeit? Dörfliche Atmosphäre mit all seinen Eigenarten und knorrigen Zeitgenossen trifft auf scharfsinniges Ermittlerteam, beschauliches Bohren bringt lang Vergessenes zutage. Detailliert und ausführlich lässt die Autorin ihre Figuren agieren, sie gibt ihnen Raum, sich zu entwickeln und zu präsentieren. Action findet man hier kaum, eher hintersinnige Ermittlungen.


Pro und Contra

+ interessantes Setting
+ vielschichtige, wandelbare Charaktere
+ stimmige Atmosphäre
+ Dorfcharaktere

o unblutig
o beschauliche Erzählweise

- teilweise ziemlich langatmig
- merkwürdige und unsympathische Charaktere

Wertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3/5