Nicodemus - Der Zauberverschreiber (Blake Charlton)

Verlag: Klett-Cotta (21.02.2011)
Hardcover: 473 Seiten, € 19,95 
Sprache: Deutsch
Originaltitel: Spellwright
ISBN-13: 978-3608938777

Genre: Fantasy


Klappentext

Magische Runen steigen von einer Buchseite auf, sie vermögen den Körper eines Mannes in die Luft zu heben, ein Messer zu schärfen oder ein Herz anzuhalten. Nichts ist in Starhaven so machtvoll wie die Magie der Zaubersprüche! Nur Nicodemus, dem Lehrling der Zaubersprachen, will rein gar nichts gelingen. Durch seine Legasthenie bringt er die Zaubersprüche ein ums andere Mal durcheinander und stürzt sich und seine Umgebung in heilloses Chaos. Und ist er womöglich der lang ersehnte Halkyon, der die Welt von Starhaven retten soll? Wer aber hat Nicodemus die Kunst des Zauberschreibens gestohlen? Seine Feinde haben sich schon auf den Weg gemacht. Durch den rätselhaften Mord an einer Professorin geraten Nicodemus und sein Mentor, der blinde Zauberer Shannon, in große Gefahr.


Rezension

Nicodemus, Lehrling in der Magierschule Starhaven, hat ein ganz besonderes Problem: Er ist ein Kakograph. In seinem Fall bedeutet das, er bringt Zaubersprüche durch bloße Berührung durcheinander und vermag selbst kaum einen fehlerfrei zu schreiben. Trotzdem setzt alles daran, einen Zaubergrad zu erwerben, doch dann gerät der geordnete Schulbetrieb jäh aus den Fugen. Eine Professorin wird ermordet, was nur den Auftakt zu einer ganzen Reihe beunruhigender Ereignisse darstellt. Plötzlich sieht sich Nicodemus als Spielball zwischen allen Fronten, er weiß bald nicht mehr, wem er was glauben soll. Aber er muß handeln, denn der Mörder scheint mit ihm ganz besondere Pläne zu haben.

Seit Harry Potter erfreut sich im Fantasygenre das Setting einer Magierschule größerer Beliebtheit und ist demnach nicht neu, die Idee eines Zauberschülers, der, wie übrigens auch der Autor selbst, an Legasthenie leidet und dadurch jeden Zauberspruch verdirbt, verspricht dafür eine reizvolle, frische Facette. Eine Novität stellt auch das aus Textzeilen bestehende Magiesystem dar, welche mit Muskelkraft im Körper erzeugt werden.

Der Einstieg gestaltet sich rasant und actionreich, man sieht sich unmittelbar in eine Welt voller fremdartiger Begriffe und seltsamer Geschöpfe hinein versetzt. Soweit so gut, wäre da nicht das Problem mit den Erklärungen. Zum näheren Verständnis relevante Einzelheiten erhält der Leser einerseits zu spät, sodaß er mit dem Erzählfluß nicht richtig Schritt halten kann, andererseits wird er mit Wissen, welches erst an viel späterer Stelle benötigt wird, regelrecht überschüttet. 

Auch die Vermittlungsweise der Informationen ist nicht optimal gelungen. Statt Erläuterungen homogen in die Story einzufügen, macht der Autor seine Charaktere mit Vorliebe zu Dozenten und lässt sie überlange Vorträge halten. Diese sind zwar durchaus interessant, bremsen die Handlung aber ständig aus, was natürlich auch auf Kosten der Spannung geht. Auf diese Weise wird das Mitfiebern mit dem Geschehen jedes Mal auf ein lapidares zur Kenntnis nehmen reduziert, der Leser auf Distanz gehalten und ihm ein tieferes Eintauchen in die Geschichte unnötig schwer gemacht.

Wirkliche Atmosphäre will anhand der Beschreibungen nur sehr zögerlich aufkommen, obwohl sich der Autor immer wieder erkennbar Mühe gibt, ein stimmungsvolles Umgebungsbild zu zeichnen. Es bleibt bei halbherzigen Versuchen, die zu kurz und zu ungeschickt in die Handlung eingebettet sind, um ausdrucksstarkes Lokalkolorit zu erschaffen.

Mit den Protagonisten hat der Autor eine Ansammlung von Stereotypen erschaffen, die zwar lebendig und in sich stimmig aufgebaut sind, ihre Klischees aber zu stark bedienen und zu vorhersehbar handeln. Zudem ist sehr bedauerlich, dass auf den Schurken zuwenig Aufmerksamkeit verwendet wurde, die Figur bleibt dadurch blaß und wirkt bei weitem nicht so furchterregend, wie sie es eigentlich verdient hätte.

Nicodemus steht klar im Mittelpunkt, die Geschichte wird zum größten Teil aus seiner Sicht erzählt. Auf Dauer störend machen sich dabei nur seine ständigen Anfälle von Selbstzweifeln bemerkbar, die er in schöner Regelmäßigkeit durchlebt und an denen der Autor den Leser in aller Ausführlichkeit teilhaben lässt. Gelegentlich wechselt die Erzählperspektive auf übersichtliche Weise zwischen mehreren Personen ab, einige Male auch unter Verwendung von Cliffhangern. Erfreulicherweise sind diese nicht zu aufdringlich konzipiert.

Abwechslungsreich und auf die jeweiligen Charaktere zugeschnitten präsentieren sich die Dialoge, sie haben Wortwitz, sind unterhaltsam und stellen einen der Lichtblicke des Buches dar - sofern sie nicht in einen der bereits erwähnten Erklärmonologe ausarten.
Der Schreibstil liest sich insgesamt sehr einfach und streckenweise auch ein wenig unbeholfen, dafür lässt er gelegentlich Humor aufblitzen. Nicht immer gelungen erscheint die Wortwahl, Ausdrücke wie beispielsweise ‚Sterilität’ oder ‚eingespeiste Passwörter’ wirken in einem eher mittelalterlich anmutenden Szenario etwas deplaziert. Möglicherweise ist das aber auch der Übersetzung geschuldet, die sich Ausrutscher wie ‚Einfallspinsel’ leistet.

Einen weiteren Lichtblick bildet die Handlung, was ein wenig erstaunlich klingt, denn sie fällt zunächst einmal nur durch einen stark klischeebehafteten Fortgang auf. Es ist zwar zügig und nicht ohne Spannung erzählt, aber der Autor verwendet zu viele Komponenten, die man bereits aus unzähligen anderen Werken kennt. Doch dann passieren immer wieder verrückte und originelle Dinge, die den Plot aus den eingefahrenen Schienen hinaus in neues Fahrwasser befördern. Auch die eine oder andere überraschende Wendung trägt dazu bei, von den weniger gelungenen Aspekten zwar einiges, aber leider nicht alles wieder wettzumachen.

Am Ende bleibt vieles offen, das Buch wird mindestens eine Fortsetzung bekommen. Der Nachfolgeband ist bereits unter dem Titel ‚Spellbound’ für August 2011 angekündigt, ein Erscheinungstermin für die deutschsprachige Ausgabe liegt derzeit noch nicht vor

Abschließend sei noch das Cover positiv erwähnt, dessen größtenteils matte und ebene Oberfläche mit einigen hochglänzenden, erhabenen Stellen durchsetzt ist, was das Buch optisch zu etwas Besonderem macht.


Fazit

Trotz aller Kritik ist der Roman nicht wirklich schlecht, doch er wirkt über weite Teile hinweg unfertig und noch nicht richtig ausgereift. Mit ‚Nicodemus Der Zauberverschreiber’ hat  Blake Charlton seinen Erstling vorgelegt und gezeigt, dass er durchaus über einiges Potential verfügt. Auch wenn es hier zu großen Teilen ungenutzt geblieben ist, bestehen gute Aussichten, dass der Autor noch in seine Rolle hineinwachsen wird.


Pro & Kontra 

+ einige neue und originelle Ideen
+ keine Harry Potter - Kopie
+ ansprechendes Cover

- schlecht gelungene Erklärungshandhabung
- zu viele Klischees
- stereotype Charaktere
- kaum stimmungsvolle Atmosphäre
- man merkt die Anfängerarbeit sehr deutlich

Wertung  

Handlung: 3/5
Charaktere: 2,5/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3,5/5