Die Fälle des Maresciallo (Mario Soldati)

Verlag: Klaus Wagenbach 2006
Originaltitel: I racconti del Maresciallo,
übersetzt von Catherine Rückert
Hardcover, 114 Sseiten, 13,90 €
ISBN-13: 978 3 8031 1237 8

Genre: Belletristik


Klappentext

„Mit seiner außergewöhnlichen Fähigkeit, die Geheimnisse des menschlichen Herzens zu lesen, gehört Soldati zu den ganz großen italienischen Erzählern.
Diese Kriminalgeschichten voll schwindelerregender Machenschaften zeigen es auf eindrucksvolle Weise.“ (La Repubblica)


Der Autor

Mario Soldati, 1906 in Turin geboren. Besuch der Jesuitenschule, Studium der Literaturwissenschaft in Turin und Kunstgeschichte in Rom; 1929 Veröffentlichung seines ersten Erzählbandes, „Salmace“. 1929 bis 1931 Stipendium an der Columbia University. Der Antifaschist arbeitete dann erfolgreich und produktiv als Journalist für diverse Zeitungen, als Regisseur und Drehbuchautor in Rom und Mailand. 1973 Gastprofessur für Film und italienische Literatur an der Berkeley University of California. Die letzten Jahre verlebte Soldati im norditalienischen Tellaro, wo er 1999 starb.
Soldati erhielt zahlreiche Auszeichnungen als Autor, unter anderem 1950 den Premio San Babila für „La Giacca verde“ („Die grüne Jacke“), 1954 den Premio Strega für den Roman „Le lettere da Capri“ („Brief aus Capri“); 1976 den Premio Bagutta für „Lo specchio inchinato“.
1957 lernte Soldati bei Dreharbeiten den Maresciallo Arnaudi aus Süditalien kennen. Arnaudi wurde zum Vorbild für Gigi Arnaudi in „I racconti del Maresciallo“, sechzehn einzelne Geschichten, die 1963 in der Tageszeitung Il Giorno erschienen und 1967 als Buch veröffentlicht wurden. 1968 und 1984 wurden je sechs Geschichten verfilmt.
Fünfzehn Geschichten wurden ins Deutsche übersetzt. Das Buch von Wagenbach enthält eine Auswahl von acht Geschichten.


Rezension

In „Das Andenken“ muss der Maresciallo Arnaudi einen Verkehrsunfall aufklären, bei dem ein bekannter Industrieller zu Tode gekommen ist. Der anfänglich mysteriös anmutende Fall klärt sich schnell, als Arnaudi das romantische Geheimnis des Mannes entdeckt.
In „Die schönen Zähne des Signor Dino“ erlebt Arnaudi seinen schlimmsten Fall. Ein Freund von ihm, ein berühmter älterer Journalist, gerät aufgrund seiner legendären Leidenschaft für attraktive Frauen in Todesgefahr, als er eine Liaison mit einer jungen Österreicherin eingeht. Eine schaurige Geschichte um ein Teufelsweib und einen alten Trottel.
Der durchsichtige Spiegel“ erzählt den eher traurigen Fall eines nicht mehr ganz jungen, aber trotzdem sehr naiven Literaturwissenschaftlers, der sich in ein junges Mädchen verliebt und für sie zum Dieb wird.
In „Michela“ klärt Arnaudi erneut einen Diebstahl auf. Er hat Mitleid mit der Diebin, einem schönen Dienstmädchen. Möglicherweise verliebt er sich auch ein kleines bisschen in sie. Ob aus Mitgefühl oder Liebe, er setzt sich für sie ein und will ihr helfen, auf dem rechten Weg zu bleiben. Anfangs scheint es ihm auch zu gelingen.
Eine eher komische Geschichte erzählt „Ein schlichtes Gemüt“. Bei diesem schlichten Gemüt handelt es sich um einen Polizeischreiber, der sich in eine heiße Löwenbändigerin verliebt, die mit allen Wassern gewaschen ist.
Die Ledermütze“ ist eine der traurigsten Geschichten. Arnaudi lernt einen jungen Mann kennen, der als Dorftrottel verlacht wird. Zu Unrecht, wie Arnaudi bald merkt. Der junge Mann konnte sich unter der Fuchtel seiner dominanten Mama nur nicht entfalten, aber er hat Potential. Arnaudi will ihm helfen, sein Leben besser zu gestalten, aber dabei macht alles nur noch schlimmer für den Mann.
Senfgelber Samt“ spielt 1928 und erzählt eine eher lustige Geschichte. Arnaudi muss täglich einen Antifaschisten überprüfen, der als „Verwarnter aus politischen Gründen“ ein bestimmtes Gebiet nicht verlassen darf. Der Mann versucht mit allen Mitteln, an einen Pass zu gelangen. Dabei fällt er auf einen Betrüger herein.
Flocks Ende“ ist eine auch politisch düstere Geschichte, die nach dem Zweiten Weltkrieg spielt. Arnaudi muss eine Bombenexplosion aufklären, bei dem der Hund Flock ums Leben kam, und kommt dabei einem faschistischen Bonzen auf die Spur, der angeblich 1945 von Partisanen hingerichtet wurde.

Maresciallo Arnaudi ist ein unauffälliger, kleinbürgerlicher Mann, ein Familienvater, der es nicht mit den großen Verbrechen zu tun hat, sondern seine „Kunden“ sind ganz gewöhnliche Ganoven, kleine Leute oftmals, die vom rechten Weg abgekommen sind. Manchmal liegt auch gar kein Verbrechen vor. Nur selten ist wirklich ein durch und durch schlechter Mensch dabei. Arnaudi löst seine Fälle mit psychologischem Feingespür, weil er sich in die Seele des Täters versetzen kann. Er weiß, dass er zu mancher Tat selbst fähig wäre und wie schnell man mitunter vom rechten Weg abrutschen kann. Deshalb leidet er mit seinen Kleinganoven, was ihn aber nicht daran hindert, sie zu verhaften. Das macht ihn zu einem sympathischen Mann, einem menschlichen Vertreter der Staatsmacht.
Arnaudi erzählt seine Fälle bei einem guten Essen und einem Glas Wein seinem Freund, dem Schriftsteller Mario. Der schreibt sie – natürlich unter Änderung der Namen zum Schutz der Personen – auf und veröffentlicht sie. Das Buch von Wagenbach glänzt durch hochwertige Qualität: Leineneinband, Fadenheftung, farbiges Vorsatzpapier, satter Druck, geprägtes Bild auf dem Einband, Anhang mit Anmerkungen zum Autor und seinem Werk. Erfreulich ist auch, dass ein wichtiger italienischer Autor wie Soldati wieder auf Deutsch erhältlich ist.


Fazit

Soldatis Geschichten erzählen von menschlichen Schwächen, von den kleinen Abgründen kleiner Leute im Nachkriegsitalien. Sie zeigen, dass auch ein Vertreter der Staatsmacht ein Mensch sein kann – und dies nach Krieg, Mussolini und Faschismus. Es sind keine großen Geschichten, keine großen Gesten, sondern Vignetten des italienischen Alltags, die sich vor dem Leser entfalten.


Pro und Contra

+ realistische kleine Geschichten, ohne Sentimentalität und ohne Pathos, doch mit Empathie erzählt
+ glaubwürdige Charaktere
+ einfallsreich, vielfältige Motive und Stimmungen
+ stilsicher und wirklich gut erzählt

Wertung:

Handlung 5/5
Charaktere 5/5
Lesespaß 5/5
Preis/Leistung 4/5


Dies ist eine Gastrezension von Almut Oetjen. Vielen Dank!