Nicolaus Equiamicus - Special zur Daemonolatria (30.03.2009)

Special-Interview zum Erscheinen der "Daemonolatria"

Literatopia: Hallo Nicolaus! Kürzlich ist bei UBooks Deine Überarbeitung der bekannten „Daemonolatria“ von Nicolas Rémy erschienen. Wie bist Du auf dieses Buch aufmerksam geworden? Hattest Du es schon lange in Deiner Sammlung? Und wie gelangte es dort hin?

Nicolaus Equiamicus: Hallo Judith.
Auf die Daemonolatria bin durch meine Studien der Hexenprozesse aufmerksam geworden. Meine Heimat, der saarländisch-lothringische Raum, gehörte in dieser Zeit zu den verfolgungsintensivsten Gebieten; nirgendwo wurden mehr Personen als Hexen oder Hexenmeister zum Tode verurteilt, als in den Herrschaften Lothringen und Kurtrier. Ich stieß also schon recht bald auf die Schriften des lothringischen Richters am obersten Gericht zu Nancy, Nicolas Rémy, der zu Ende des 16. Jahrhunderts, gegen Ende der großen Hexenverfolgungswelle in der dortigen Herrschaft, seine Gedanken zu den Prozessen niedergeschrieben hatte.
Ja, und dann habe ich mir nach und nach verschiedene Ausgaben der Daemonolatria Nicolas Rémy’s besorgt, zuerst die lateinische Erstausgabe von 1595 und die deutsche Erstausgabe von 1598. Später kamen noch eine weitere deutsche Ausgabe von 1693, die englische Ausgabe, die Montague Summers herausgegeben hat, sowie die neue französische Ausgabe der Universität Nancy von 1998 hinzu.

Literatopia: Wie schätzt Du die Bedeutung der Daemonolatria für die Geschichte ein? Wie steht es allgemein mit Quellen über die Hexenverfolgung? Gibt es weitere Bücher, die sich ähnlich intensiv mit der Thematik befassen?

Nicolaus Equiamicus: Die Bedeutung dieses Werkes schätze ich sehr hoch ein. Es gibt nur wenige Werke, die sich dermaßen gründlich und intensiv mit der Hexenverfolgung befassen und wohl kaum eines, das bessere Einblicke gewährt. Die Daemonolatria gehört zusammen mit den Werken Institoris/Sprengers, Molitors, Bodins, de Lancres, Boguets, und Binsfelds zu den maßgeblichsten der Hexenverfolgungsperiode. Nicolas Rémy’s Buch ist allerdings, im Gegensatz zu den meisten anderen Hexentraktaten, sehr persönlich und übervoll mit selbst Erlebtem angereichert. Rémy verlässt sich nicht blind auf die Theorien früherer oder zeitgenössischer Juristen und Theologen, sondern legt seine eigene Stellung zu einer Sache dar, wenn er diese selbst anders erfahren hat. Ferner zeichnet sein Werk aus, dass er den Volksglauben seiner Zeit und die abergläubischen Bräuche des Volkes sehr gut beschreibt, was sonst kaum einer seiner schreibenden Kollegen getan hat. Das ist es, was sein Werk auch letztlich für die Forschung und auch das Verständnis für die Hexenprozesse so wertvoll macht – er beschreibt seine persönlichen Erfahrungen in dieser Materie, und gewährt dadurch einen so klaren Blick in seine Zeit, wie man ihn in keinem anderen Werk, das über die Verfahren gegenüber Hexen berichtet, findet.

Literatopia: Wie lange hast Du für die Überarbeitung der Daemonolatria gebraucht? Und hast Du die sie an einem Stück durchgezogen oder jahrelang immer wieder Teile neu aufgearbeitet? Musstest Du dabei viel recherchieren?

Nicolaus Equiamicus: An der Neuausgabe der Daemonolatria habe ich anderthalb Jahre intensiv gearbeitet. Ich habe sie, abgesehen von einer kurzen Sommerpause, in einem Rutsch durchgezogen. Es hat allein drei Monate in Anspruch genommen, den Grundtext in den Computer zu bekommen, danach kamen Monate der Überarbeitung und Recherche. Beispielsweise mussten die lateinischen Ortsnamen rückübersetzt werden, und ich musste beim Aufschlüsseln berücksichtigen, dass viele dieser heute in Frankreich liegenden Orte früher deutsche Namen trugen. Auch die meisten Personennamen waren von Rémy latinisiert worden und mussten rückübersetzt werden, wobei ich anhand von Details im Text und der im Zusammenhang vorkommenden Orten in den meisten Fällen herausfinden konnte, ob der- oder diejenige nun deutscher oder französischer Herkunft war. Auch die Verhör- bzw. Hinrichtungsdaten von verurteilten Personen mussten durchgehend errechnet werden, da Rémy in der lateinischen Daemonolatria konsequenterweise die römische Datierung benutzte, usw.
Ich musste viel recherchieren, keine Frage, aber ich finde, es war der Mühe wert.

Literatopia: Wie stehst Du nach einer langen „gemeinsamen Zeit“ dem eigentlichen Autor Nicolas Rémy gegenüber? Wie betrachtest Du diese Person? Und spiegelt seine Denkweise Deiner Meinung nach das Denken seiner Generation?

Nicolaus Equiamicus: Nicolas Rémy war ein sehr gebildeter Mann, eigentlich sehr schöngeistig veranlagt. In seiner knappen Freizeit verfasste er Gedichte und beschäftigte sich mit der römischen und griechischen Literatur der Antike. Ein bigotter Eiferer war er sicherlich nicht. Beim Studium seines Werkes wurde mir bewusst, dass er sogar sehr rational dachte, erheblich rationaler als viele seiner Zeitgenossen. Er lebte ein vernünftiges Christentum, wobei er seine eigenen Erfahrungen in verschiedenen Dingen stets über die kirchliche Lehrmeinung erhob.
Allerdings war er, wie er auch selbst schreibt, fest von der Existenz von Hexen überzeugt – nachdem er verschiedene, sagen wir, übernatürliche Erlebnisse hatte. Er schreibt darüber in der Daemonolatria, dass er anfangs gar nicht an Hexen und Hexerei glaubte, und dass er erst durch seine jahrelange Arbeit bei Gericht, durch das Befassen mit vielen hunderten solcher Fälle, zu der Überzeugung gelangt sei, dass es wahrhaft Hexerei gäbe. Ferner verabscheute er jeglichen Aberglauben, worunter er zum Beispiel Segensprechen über Krankheiten, das Wallfahren zu verschiedenen Heiligenkapellen, um körperlichen Gebrechen abzuhelfen usw zählte. Er machte auch, wie man seinen Worten entnehmen kann, keinen Unterschied zwischen den christlichen Parteien, Katholiken oder Protestanten waren ihm in Ansehen gleich. Im Gegenteil betrachtete er die parteilichen Streitigkeiten unter den verschiedenen christlichen Konfessionen als sehr schädlich für Gesellschaft und Staat, so dass er für einen bedingungslosen Religionsfrieden eintrat.
Als Richter war er sehr korrekt, hielt sich stets, im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, an die bestehenden Gesetze und versuchte, seinem Auftrag immer zufriedenstellend nachzukommen. In ihm selbst herrschte aber auch ein striktes Standesdenken: Gott hat den Fürsten (die Obrigkeit) über den Staat gesetzt, damit dieser wie ein strenger gerechter Vater über seine Kinder (das Volk) herrscht. Rémy’s Loyalität galt diesem Souverän und außer diesem nur Gott allein. Er achtete seine Freunde, den Adel, sowie das ehrliche Bürgertum, die Handwerker und den Bauernstand. Was er jedoch über die Randschichten der Gesellschaft schrieb, über die Prostituierten, Bettler, Gaukler und sonstiges fahrende Volk, das klingt kalt und menschenverachtend und er hatte diesen gegenüber dieselben Vorbehalte wie die meisten seiner Zeitgenossen.

Literatopia: Gab es damals gravierende Unterschiede in den Anschauungen zwischen gebildetem Adel und dem Bauerntum? Gab es zur Zeit Nicolas Rémys schon ein breiteres, gebildetes Bürgertum?

Nicolaus Equiamicus: Sicher gab es damals eine Mittelschicht, Rémy selbst stammte aus einem nichtadeligen besseren Hause. Ob es große Unterschiede in den Anschauungen gab, nein, das würde ich so nicht sagen. Gebildete Stände diskutierten und philosophierten darüber wohl auf einer anderen Ebene als beispielsweise Bauern, doch im Endeffekt beriefen sich beide Parteien auf die Bibel. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung wurden Hexenverfolgungswellen nicht nur von der regierenden Oberschicht als unterdrückerisches Mittel gegenüber dem Volk eingeleitet, sondern sie wurden in der Regel von der gesamten Bevölkerung getragen und gut geheißen. Oft geschah es auch, dass diese Prozesse erst auf Wunsch der Bevölkerung eingeleitet wurden, da diese sich von Hexen und Hexenmeistern „bedroht“ sahen.

Literatopia: Hast Du Nicolas Rémys Ausdrucksweise zu Gunsten der Verständlichkeit stark verändern müssen? Welche Ausgabe der Daemonolatria hattest Du für Deine Überarbeitung eigentlich vorliegen? Und was sind die gravierendsten Unterschiede zu Deiner Version?

Nicolaus Equiamicus: Ich habe versucht meine Neuausgabe der Daemonolatria in dem Sinne zu bearbeiten, dass man sie unverfälscht lesen kann und denke, dass die Sprache nun den Sinn der lateinischen Urausgabe von 1595 sehr gut trifft. Rémy’s Sprache ist viel direkter, als die der frühneuhochdeutschen Ausgabe von 1598, deren Text ich zuerst als Grundlage genommen hatte. Den gesamten Text habe ich dann mit der lateinischen Ausgabe abgeglichen, dabei unzählige Fehler beseitigt sowie Kürzungen der alten deutschen Ausgabe wieder in den Text eingefügt. Die kompletten Fußnoten Rémy’s finden sich nur in meiner Ausgabe, aus irgendeinem Grund haben es diese nicht in die Neuausgaben Montague Summers (in englischer Sprache) und Prof. Jean Boes (in französischer Sprache) geschafft. Weitere Unterschiede zu anderen Ausgaben sind die „Extras“. Ich habe ein Personenverzeichnis mit allen bei Rémy als Hexen, bzw. Hexenmeistern angeführten hingerichteten Personen sowie einen alphabetischen Index zum Buch erstellt, die den Leser beim Studium des Werkes unterstützen sollen.

Literatopia: Besonders die namentlichen Erwähnungen von vermeintlichen Hexen und Zauberern hinterlassen ein beklemmendes Gefühl. Es wird sogar eingeräumt, dass viele Aussagen und ganze Geständnisse erst nach fraglichen Verhören gemacht wurden und dennoch werden sie als wahr hingestellt. Wie kam es Deiner Meinung nach zu den ganzen Geständnissen? Und wie kann man die Aussagen der Verurteilten aus heutiger Sicht werten?

Nicolaus Equiamicus: Man muss hierbei die Umstände der Zeit berücksichtigen. Die Tortur war damals zwar nicht unumstritten, aber als probates Mittel zur Wahrheitsfindung angesehen, und war in verschieden Tatumständen, wie zum Beispiel Königsmord oder Hexerei, sogar vorgeschrieben, wenn sich ein dringend Tatverdächtiger unzugänglich zeigte, oder vielmehr: nicht die gewünschten Informationen preisgab.
Zum Urteilspruch war zwingend ein Geständnis des Angeklagten erforderlich, was bedeutet, dass ein Angeklagter, der ungeständig blieb, auch nicht verurteilt werden konnte. Genauer gesagt sah die damalige Rechtslage vor, dass eine Person, die die dreimalige Tortur überstanden hatte und nicht geständig geworden war, als unschuldig zu betrachten und freizulassen war. Rémy berichtet von einigen Personen, die in der Tortur ungeständig blieben und so freigesprochen werden mussten.
Die Art der Folter war genau vorgeschrieben. In vielen Gebieten hielt man sich nicht daran, bzw. legte die Tortur so aus, dass diese nicht abgeschlossen war, wenn eine Foltersitzung nicht das entsprechende Ergebnis erbracht hatte, sondern vielmehr am folgenden Tag „fortgesetzt“ wurde, und diese missbräuchliche Auslegung des Torturgesetzes führte zu den katastrophalen Zuständen, die in verschiedenen Gebieten während der Hexenverfolgungsperiode entstanden, weil dadurch bis ins Unendliche gefoltert werden konnte. Wer hätte sich dann noch eines Geständnisses entziehen können?
Anders verhielt es sich jedoch in Lothringen. Rémy war korrekt vom Scheitel bis zur Sohle und obendrein sehr auf seine persönliche Ehre bedacht. Er ließ die Tortur buchstabengetreu nach dem Gesetz anwenden, keinen Deut mehr - aber auch nicht weniger. Die Verhöre während der Tortur sind ihm, wie er an einer Stelle in der Daemonolatria kundtut, allerdings nicht leichtgefallen.
Unzweifelhaft sind bei diesen Verhörmethoden sehr viele unschuldige Personen zu Geständnissen von Verbrechen erpresst worden, die sie nie begangen hatten und sind aufgrund dieser erzwungenen Geständnisse letztlich hingerichtet worden.
Man muss Rémy zugute halten, dass er als Richter nie aus grausamen Sinn oder aus Niedertracht gegenüber den von ihm examinierten Personen verfahren hat, zum Vorwurf muss man ihm jedoch machen (wenn dies mit heutigen Maßstäben überhaupt möglich ist), dass er oft wider besseres Wissen gegen unschuldige Personen verfahren hat, allein aus dem Grund, weil das Gesetz es vorschrieb und er sich daran hielt. Andererseits hätte er aber selbst Kopf und Kragen riskiert, hätte er anders gehandelt. Die große Verfolgungswelle der 1570er und 80er Jahre in Lothringen wurde in erster Linie vom regierenden Herzog Charles II. in eigener Person veranlasst, teils, weil er sehr hexengläubig war und teils, weil dauernde Klagen aus der Bevölkerung über tatsächliche oder vermeintliche Verbrechen mit okkultem Hintergrund ihn dahin drängten. Rémy selbst war also nie die treibende Kraft dahinter gewesen.

Literatopia: Bei dieser Masse an namentlichen Nennungen – gibt es eine Geschichte einer vermeintlichen Hexe oder Zauberers, die Du besonders erschreckend fandest?

Nicolaus Equiamicus: Besonders tragisch finde ich das Schicksal der Morel - Familie aus Serres, insgesamt sechs Personen, die in der Zeit von 1581 bis 1587 nach und nach eingezogen und hingerichtet wurden. Die Familie wurde vermutlich komplett ausgelöscht. In diesem Fall war die Ursache zweifellos der „schlechte Ruf“, den die Familie nach der Hinrichtung der ersten Person erhalten hatte. Sogar wenn diese erste Hinrichtung noch ein reales Verbrechen zur Grundlage gehabt haben sollte, so sind spätestens die nachfolgenden Verurteilungen der restlichen Familienmitglieder auf diesen nun erworbenen schlechten Ruf zurückzuführen. Ein solcher einmal erworbener Ruf führte meist dazu, dass die Familie sich nun stetigen Verdächtigungen ihrer Nachbarn ausgesetzt sah und so für jedes im Dorf geschehene Unglück verantwortlich gemacht wurde, was dann wiederum diese tragischen Folgen nach sich zog.

Literatopia: Gibt es ein Kapitel in der Daemonolatria, das für Dich eine besondere Bedeutung hat? Ein besonders Beklemmendes oder Interessantes?

Nicolaus Equiamicus: Das letzte Kapitel des dritten Buches hinterlässt schon ein beklemmendes Gefühl, da Rémy in diesem Abschnitt, der zugleich den Beschluss seines Buches bildet, ausführt, weshalb Prozess und Todesurteil gegenüber der Hexerei überführten Personen unbedingt notwendig sind.
Entwickelt man für Rémy während der Lektüre wenn schon nicht eine leichte Sympathie, dann doch einen gewissen Respekt, so wird einem spätestens in diesem Abschnitt unmissverständlich klar, dass eine der Hexerei angeklagte Person von ihm Gerechtigkeit nach den Buchstaben des Rechts, jedoch keinesfalls Gnade zu erwarten hatte. Er führte den Prozess nach dem Wortlaut des Gesetzes korrekt, aber ohne Barmherzigkeit.

Literatopia: Hast Du schon ein neues, altes Buch in Arbeit und kannst uns etwas darüber verraten? Für wie viele Bücher gibt es konkrete Überarbeitungspläne? Und warum ist Dir eigentlich die Überarbeitung solcher Werke so wichtig?

Nicolaus Equiamicus: Ich habe bereits einige Bücher fertiggestellt, die in den nächsten Jahren bei UBooks erscheinen werden, der geneigte Leser wird sich also noch auf so manches „Dunkle“ von mir freuen dürfen. Was darüber hinaus weitere zukünftige Bücher betrifft, muss ich mich allerdings ein wenig zurückhalten, da ich plane, noch in diesem Jahr ein Antiquariat zu eröffnen, was mich zumindest in der Anfangszeit natürlich sehr in Anspruch nehmen wird.
Ansonsten habe ich schon Lust, noch dutzende Bücher neu herauszugeben.
Die Herausgabe dieser alten Werke liegt mir am Herzen, weil ich selbst während meiner Studien in den Bereichen des Okkultismus, der Hexenprozesse oder überhaupt der „dunklen Kulturgeschichte“ in Ermangelung brauchbarer Quelleneditionen oft an unüberwindbare Grenzen gestoßen bin.
Generell ist es mir bei einer Neuausgabe sehr wichtig, einen Mittelweg zu finden, um die Ausgabe sowohl für die Wissenschaft aufzuarbeiten, als auch dem „Laien“ ein problemlos zu lesendes Buch zu präsentieren.

Literatopia: Vielen Dank, Nicolaus, für diese ausführlichen Worte zur Daemonolatria!


Rezension zur "Daemonolatria" 

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Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.