Marcus Reichard (02.04.2009)

Interview mit Marcus Reichard

Literatopia: Hallo Marcus! Schön, dass Du Zeit für ein Interview gefunden hast. Stell Dich doch allen Lesern kurz vor. Wer bist Du und was schreibst Du?

Marcus Reichard: Hallo und vielen Dank für die Möglichkeit zum Interview! Zu meiner Person: Ich bin vierzig Jahre alt, in München geboren und lebe seit ein paar Jahren in der Schweiz, wo ich hauptberuflich als Psychotherapeut arbeite. Im Februar 2009 veröffentlichte ich bei Hoffmann und Campe den Fantasy-Roman „Das Siegel der Finsternis“, der den Auftakt zu einem mehrbändigen Zyklus bildet.

Literatopia: Gratulation zu Deinem Debüt „Das Siegel der Finsternis“! Kannst Du uns einen kurzen Abriss zur Story geben? Was erwartet den geneigten Leser?

Marcus Reichard: Die Geschichte ist ein High-Fantasy Roman mit den „klassischen“ Elementen. Der junge Tenan, der sich in der Ausbildung zum Comori, zum Wasserzauberer befindet, findet am Strand seiner Heimatinsel Gondun einen mysteriösen Kristall, der das Geschick des Inselreichs Algarad bestimmen könnte. Denn der Stein hat Macht über die gefährliche Schattenwesen, die in den Grauen Sphären hausen. Der Todesfürst Achest trachtet danach, den Kristall an sich zu bringen, um die absolute Herrschaft über Algarad zu gewinnen. Also wird Tenan von seinem Meister entsandt, den Stein vor den Schergen des Todesfürsten in Sicherheit zu den Rittern des Ordens von Dan zu bringen. Tenan macht sich also auf eine abenteuerliche Quest , die ihn quer durch Algarad führt und in deren Verlauf er Freunde gewinnt, aber auch mit gefährlichen Feinden konfrontiert wird. Der erste Band öffnet den Vorhang für die weiteren Geschehnisse, die sich im Verlauf des zweiten und dritten Bandes in eine andere Richtung weiterentwickeln werden.

Literatopia: Die Meinungen scheinen insgesamt sehr unterschiedlich. Wie zufrieden bist Du selbst mit dem Roman? Gibt es Dinge, die Du, rückblickend betrachtet, anders angegangen wärst? Wenn ja, welche und warum?

Marcus Reichard: Die Rezensionen und das Feedback der Leser auf meinen Roman entwickeln sich erfreulich positiv. Natürlich kann (und will) ich nicht jeden zufriedenstellen, und so wird es immer Menschen geben, denen das Buch nicht so gut gefallen hat – damit kann ich leben. Sachlich gut begründete Kritik kann sehr bereichernd sein. Ich selbst bin sehr zufrieden mit dem Buch, es ist das, was ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt machen wollte und selbst gerne lesen würde.
Was würde ich anders machen? Schwierig zu beantworten, da ich schon mitten in den Arbeiten zum zweiten Band stecke und nicht zurückblicke, um mir die „was-wäre-wenn...“-Frage zu stellen. Lass es mich zukunftsorientiert ausdrücken: wenn ich dem Fantasy-Genre nach Abschluss des Zyklus weiterhin treu bleibe (was ich mal annehme), werde ich mein Augenmerk in anderen Büchern vielleicht auf einen älteren Protagonisten lenken, mit dem sich eine andere Altersgruppe identifizieren kann. Aber bei der Geschichte zu „Das Siegel der Finsternis“ habe ich ganz bewusst die Entwicklung des Helden Tenan im Fokus gehabt, die sich im zweiten und dritten Band fortsetzen wird. Ich hätte sie nicht anders erzählen können.

Literatopia: Wie bist Du eigentlich zu Hoffmann und Campe gekommen? Hast Du länger nach einem Verlag gesucht oder sofort einen Treffer gelandet?

Marcus Reichard: Ich hatte immer wieder Anläufe gemacht und Verlage angeschrieben, aber letztendlich war es meine Literaturagentin, die den Kontakt zu Hoffmann und Campe herstellte. Der Verlag suchte nach einem deutschen Fantasy-Autoren, da man dieses Genre neu ins Verlagsprogramm aufnehmen wollte, und so war ich zur rechten Zeit am rechten Ort.

Literatopia: Wie war es für Dich, als Du „Das Siegel der Finsternis“ das erste Mal als Buch gebunden in Deinen Händen gehalten hast? Was geht einem da durch den Kopf?

Marcus Reichard: Ich kannte dieses erhebende Gefühl bereits ein wenig von den Veröffentlichungen meiner CDs her (ich habe früher Musik gemacht), aber hinter diesem Buch steckt ungleich mehr Arbeit. Als ich das fertige Buch in den Händen hielt, war ich einerseits glücklich, dass die lange Zeit des Schreibens am ersten Buches nun ihren Abschluss gefunden hatte und das „Baby“ endlich geboren war (und wie hübsch ist es zudem noch geworden!), andererseits war es ein Luftholen, um den nächsten Level und somit den zweiten Band angehen zu können. Es war wie eine wohlverdiente kurze Rast mit dem Wissen, dass noch ein langer und spannender Weg bevorsteht.

Literatopia: Das Cover wirkt düster und ist vom Gesamteindruck gelungen. Durftest Du bei der Gestaltung des Buchumschlages aktiv mitwirken oder hast du diese Arbeit hauptsächlich dem Verlag „Hoffmann und Campe“ überlassen? Warum ein Schwert? Wäre der Meledos (Siegel der Finsternis) nicht passender gewesen?

Marcus Reichard: Die Arbeit wurde hauptsächlich vom Verlag geleistet. Das Cover drückt recht gut die düstere Stimmung der Grauen Sphären aus, in der die Schattenwesen wohnen. Warum ein Schwert gewählt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich denke mir, dass dadurch das Genre der High-Fantasy sofort deutlich gemacht werden sollte.

Literatopia: Die Seefahrt ist ein wichtiger Bestandteil Deines Buches. Wie zeitaufwändig waren Deine Recherchen? Hast Du Dich an historische Möglichkeiten gehalten, oder auch phantastische Manöver eingeflochten?

Marcus Reichard: Der Bereich der Seefahrerei verlangte die meiste Recherchearbeit. Ich musste mich mit verschiedenen Arten von Wasserfahrzeugen, Entfernungen, Geschwindigkeiten und entsprechenden Fachausdrücken aus der Seefahrerei auseinandersetzen. Eine wertvolle Hilfe dabei waren einige historische Romane, darunter die von Patrick O’Brian, von denen „Master and Commander“ ja auch verfilmt wurde. Historische Manöver (z.B. in Schlachten) waren bis jetzt keine Vorbilder für mich.
Mir ist daran gelegen, dass die Seefahrt in Algarad soweit wie möglich unter realen Bedingungen ablaufen könnte, und die Magie oder Phantastik nicht als Allgemeinplatz verwendet wird, der alles erklären kann. Aber ich habe auch einige Begriffe selbst erfunden (z.B. riesige Schlachtschiffe, die Dronth-Brecher, Arthsegel), um den aus unserer Welt bekannten Gegebenheiten eine neue Dimension zu geben.

Literatopia: Dein Buch ist voller Zauber und Magie. Hat es Dir Spaß gemacht Übersinnliches aufzugreifen oder war es eher ein notwendiges Übel, um den Hintergrund am Laufen zu halten?

Marcus Reichard: Mystik und Magie interessieren mich auch privat, wobei ich für das Buch viel Recherchearbeit aufwendete und mich mit den verschiedenen mystischen Traditionen der Welt beschäftigte. Der Orden von Dan und die Ausbildung der Novizen hat durchaus Parallelen zu bestehenden esoterischen oder weltanschaulichen Überlieferungen. Man muss als Autor bloß aufpassen, dass man nicht zu viel Magie und Zauber in die Geschichte packt, sonst wird die Handlung unglaubwürdig. Die Charaktere sollen ja schließlich noch mit echten Hindernissen zu kämpfen haben und nicht gleich alles mit einem Fingerschnippen „wegzaubern“ können.

Literatopia: Von der Idee zum fertigen Manuskript. Wie viel Zeit ist bis dahin vergangen? Gab es Pausen oder Durststrecken, die Du überwinden musstest bis Tenan die Hauptstadt Algarads erreichen konnte?

Marcus Reichard: Vom Vertragsabschluss bis zum druckfertigen Manuskript vergingen ca. zwei Jahre. Als ich den Vertrag unterschrieb, hatte ich zwar die Story in ihren Grundzügen schon im Kasten und die ersten zwanzig Kapitel geschrieben, aber ich änderte während des Schreibprozesses noch vieles, sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Durstrecken gab es keine, aber ich kann mich erinnern, dass ich sehr fließend ab der Szene vorankam, als Tenan und seine Gefährten Atala erreicht hatten. Von dort bis zum Schluss ging das Schreiben sehr schnell voran. Vermutlich lag das daran, dass ab diesem Zeitpunkt alle Akteure in die Geschichte eingeführt worden waren und ich nicht mehr viel Neues erklären musste, sondern die Story im Fokus halten konnte.

Literatopia: Der klassische Fantasyanteil Deines Buches wirkt hoch. Wie sehr begeistert Dich diese Klassik? Dürfen wir in der Fortsetzung eine Abweichung erwarten oder bleibst Du diesem Schema treu?

Marcus Reichard:
Ich werde dem Genre der High-Fantasy für den Algarad Zyklus treu bleiben, wobei die düsteren Elemente im zweiten und dritten Band wohl mehr Raum einnehmen werden.
An High-Fantasy fasziniert mich, dass ich den Leser und die Figuren durch verschiedene Schauplätze meiner Welt führen kann, also ein breites Spektrum verschiedener Kulturen und Orte beschreiben kann. Außerdem gefällt mir, dass Technik in diesem Genre eine relativ geringe Rolle spielt und (zwischen-)menschliche Werte eine besondere Bedeutung haben.

Literatopia: Wann wird der zweite Teil Deiner Trilogie erscheinen? Kannst Du uns schon ein Bisschen über den Inhalt verraten? Wird Tenan seine Heimat Gondun tatsächlich wiedersehen?

Marcus Reichard: Momentan bin ich mit dem Schreiben des zweiten Bands beschäftigt, der voraussichtlich 2010 erscheinen wird. Tenan hat seine Mission mehr oder minder erfolgreich erledigt. Aber es gibt viele Dinge, die im Unklaren liegen. Algarad ist in größerer Gefahr denn je. Was wird aus dem Siegel der Finsternis? Und natürlich die Frage: wird Tenan seine Heimatinsel Gondun wiedersehen? Er steht an einem Punkt, an dem viele Wege abzweigen, keiner kann beurteilen, ob es der Richtige oder Falsche sein wird. Welchen wird Tenan wählen? Er wird mit Dingen konfrontiert werden, die bedrohlich für ihn sein werden. Manches davon liegt in einer düsteren Zukunft, manches aber auch in Tenans Vergangenheit. Tenan wird vor Entscheidungen gestellt und mit dunklen Mächten konfrontiert, die seinen Weg beeinflussen könnten.

Allgemeine Fragen

Literatopia: Wie bist Du zum Schreiben gekommen? Hast du Dir schon immer Geschichten ausgedacht oder es einfach irgendwann einmal ausprobiert und gemerkt: "Das ist es!"?

Marcus Reichard: Zum Schreiben kam ich schon sehr früh. Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war las ich einen Fantasy-Roman für Jugendliche, an dessen Titel ich mich nicht mehr erinnere. Kurze Zeit später dann den „Herr der Ringe“ . Ich war maßlos enttäuscht, dass es keine Fortsetzung zu beiden Büchern gab. Also kreierte ich meine eigene Fantasywelt, zeichnete Karten, erfand Namen und Schauplätze. Seitdem habe ich diese Welt, die ich Algarad nannte, ständig weiterentwickelt, so dass sich an der ursprünglichen Geschichte und am Gesamtkonzept vieles geändert hat. Aber ich habe auf diese Weise den Vorteil, auf einer mittlerweile recht durchdachten Historie aufbauen zu können.

Literatopia: Was inspiriert Dich? Welche Orte suchst Du auf, wenn Du über das Schreiben nachdenken willst? Kannst Du überall und jederzeit zur Feder greifen, ober braucht Deine Kreativität ab und an besondere Streicheleinheiten?

Marcus Reichard: Ich brauche einen Platz, an dem ich in Ruhe arbeiten kann, vorzugsweise in meinem Büro oder aber auch an einem Ort in der freien Natur. Manchmal schnappe ich mir meinen Laptop oder einen Block und fahre an den Bodensee, wo ich wohne, setze mich an eine geschützte Stelle und schreibe. Wenn ich daheim arbeite, ist Musik hilfreich, um mich in die entsprechende Stimmung zu versetzen. Ich höre dann am liebsten orchestrale Soundtracks von John Williams oder CDs von Steve Hackett, dem ehemaligen Genesis-Gitarristen. Er schafft es, eine lyrische Musik zu kreieren, die Bilder und Empfindungen aufsteigen lässt, die mich für die Geschichten Algarads inspiriert.

Literatopia: Hast Du Vorbilder? Welche Bücher / Autoren liest Du gerne?

Marcus Reichard: Historische Fantasy in der Tradition Marion Zimmer Bradleys fasziniert mich sehr stark. Seit meiner Jugend hat mich Otfried Preußler beeinflusst, dessen klaren Sprachstil ich sehr schätze. Ursula K. LeGuins Erdsee-Romane waren sicher ebenfalls wichtig für mich, weniger wegen der offensichtlichen Parallelen eines Inselreichs, in dem beide Geschichten angesiedelt sind, sondern wegen der philosophischen Ausrichtung der Autorin, die vom Buddhismus geprägt ist.
Ich habe erst in letzter Zeit durch wieder angefangen, aktuelle Fantasy zu lesen, so z.B. Trudi Canavan und Alison Croggons Pellinor-Saga, auch Morgan Howalls „Königin der Orks“ gefällt mir recht gut. Ich gebe aber zu, dass ich aufgrund des Schreibens eher selten zum Lesen komme.

Literatopia: Einen Roman zu schreiben ist sehr zeitaufwändig und ebenso intensiv. Bleibt Dir neben dem Schreiben, Deiner Arbeit und Deiner Familie noch Platz für andere Hobbys?

Marcus Reichard: Ich verbringe meine momentan leider etwas spärlich gesäte Freizeit hauptsächlich mit meiner Freundin und Familie und Freunden. Wir haben beide anspruchsvolle Jobs und sind froh, wenn wir mal Zeit für uns haben und das Schreiben oder unsere Hauptberufe nicht so großen Raum einnehmen.
Früher habe ich semiprofessionell Musik gemacht, spielte in Progressive-Rock Bands und habe einige CDs im Bereich Entspannungs- und Meditationsmusik veröffentlicht, die unter Pseudonym erschienen sind. Seitdem ich mich neben meiner Arbeit als Psychotherapeut noch beruflich mit dem Schreiben beschäftige, habe ich für das aktive Ausüben von Musik nur noch wenig Zeit. Vielleicht kommt mal wieder eine Phase, in der ich mehr Zeit dafür habe. Möglich, dass ich zum Algarad-Zyklus irgendwann mal Musik schreibe, aber das ist ein Projekt, das in weiter Zukunft liegt.

Literatopia: Wo siehst Du Dich in zehn Jahren? Wirst Du dem Fantasy-Genre treu bleiben oder planst Du auch anderes auszuprobieren? Wenn ja, was?

Marcus Reichard:
Auf längere Sicht werde ich dem Fantasy-Genre treu bleiben, und wenn der Algarad-Zyklus entsprechend gut vom Publikum aufgenommen wird, könnte ich mir vorstellen, noch einige Geschichten zu erzählen, die in Algarad spielen. Immerhin gibt es eine weitgehend im Dunklen liegende Vorgeschichte.
Da mich das Mittelalter fasziniert, wäre es auch möglich, dass ich mich dem Bereich des historischen Romans zuwende. Oder ich bewege mich ins krasse Gegenteil und schreibe Science-Fiction, denn ich bin – obwohl ich Technik in der Fantasy nicht sehr schätze - sehr technikverliebt. Aber bevor ich spekuliere, wo ich in zehn Jahren stehe, setze ich erstmal alle Kräfte ein, um im Jahr 2012 den dritten Band des Algarad-Zyklus zu vollenden.

Literatopia: Dankeschön für das Interview!


Über den Autor

Marcus Reichard wurde 1968 in München geboren. Er studierte Psychologie in Konstanz, war Komponist und Musiker in verschiedenen Bands. Heute lebt er in der Schweiz, wo er als Psychologe arbeitet. Das Siegel der Finsternis ist sein erster Roman und Auftakt zu einer großen Fantasy-Trilogie.

Literatopia-Gewinnspiel: "Das Siegel der Finsternis"

Zur Rezension


Dieses Interview wurde von Angelika Mandryk für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.