Alles, was bleibt (Annette Hohberg)

Verlag Knaur, März 2011
Hardcover, 352 Seiten, € 14,99
ISBN: 978-3426652275

Genre: Belletristik


Klappentext

Es waren siebzehn Fotos, für jedes Leo-Jahr eins. Wenn sie abends nicht schlafen konnte, ließ sie die Bilder ans Licht. Gab ihnen Ausgang, wie einem unwilligen Hund, den man Gassi führt. Sie blieb immer an denselben Orten stehen, manchmal kurz, manchmal länger, bevor sie weiterging – bis zum Ende ihrer Erinnerungsrunde.

In den Augen ihrer Freunde führen Gesine und Leo eine Ehe wie aus dem Bilderbuch. Bis Leo eines Tages den schicksalhaften Satz sagt, der ihr gemeinsames Leben aus den Angeln hebt: „Mir ist da was passiert...“ Der 50-Jährige hat sich in eine jüngere Frau verliebt. Gesine ist am Boden zerstört und tut das, was sie immer zusammen mit ihm gemacht hat: Sie kocht. Denn Kochen und gutes Essen waren für die beiden stets ein wichtiger Teil ihrer Beziehung. Sie reist in das gemeinsame Haus in der Normandie, im Gepäck jene siebzehn Fotos, die die Geschichte ihrer Liebe erzählen. In Frankreich findet Gesine zu sich selbst – und trifft beinahe eine tragische Entscheidung.


Die Autorin

Annette Hohberg arbeitet seit Jahren als Journalistin und war unter anderem Restaurantkritikerin beim Gault Millau und bei der Welt. Mittlerweile ist sie Ressortleiterin einer großen Publikumszeitschrift des Condé Nast Verlags in München. Annette Hohberg ist verheiratet und lebt am Starnberger See. Sie liest viel, kocht gern, liebt französische Filme und Musik und reist, wann immer ihr Zeit dafür bleibt.


Rezension

In dieser Woche hier hatte sie ihren Hass laufen lassen. Er durfte sich austoben und ihr all die Gefühle apportieren, die sie verloren geglaubt hatte. Sie ihr zu Füßen legen, darauf wartend, dass Gesine sie aufhob und neu auswarf. Und sie war ihm dankbar, vermochte er es doch, etwas in ihr entstehen zu lassen, das ihr bislang unbekannt gewesen war: Wut. Und erstaunt hatte sie begriffen, dass diese Wut ihr wieder Luft zum Atmen schenkte. (Seite 162)

Gesine wird nach siebzehn Jahren von ihrem Mann Leo wegen einer jüngeren Frau verlassen. Alles, was bleibt, sind ihre Erinnerungen und siebzehn Fotos, mit denen sie in die Normandie flüchtet, wo sie sich einst ein Ferienhaus zusammen gekauft haben. Dort lebt sie anhand der Fotos ihre Vergangenheit noch einmal nach, sie besucht Orte mit großer Bedeutsamkeit für sie beide und nimmt langsam Abschied von ihrem gewohnten Leben und ihrer Liebe. Bewusst stellt sie sich dem Schmerz, ihre Freunde Frank, Camille und Jean Luc stehen ihr dabei tatkräftig zur Seite. Da Leo Gastrokritiker für eine Zeitung ist, gibt es zusätzlich noch bestimmte Gerichte, die ihre Bedeutung auf den Seiten entfachen. Nicht nur ihre Bedeutung, auch ihre Zubereitung, ihre Herkunft und ihren Geschmack laden den Leser auf eine kulinarische Reise in die Vergangenheit ein. Damit man sich dieses Gefühl mit ins reale Leben nehmen kann, wird ihre Zubereitung bis ins kleinste Detail geschildert, inklusive der dazu passenden Weine. Wer einen schwachen Magen hat und ein realistisches Vorstellungsvermögen muss aufpassen, in Frankreich gilt nahezu alles als Delikatesse, bei der Beschreibung des Zustandes und der Sämigkeit von Kalbshirn stösst man schnell an seine Grenzen.

Sie hatte den Geschmack in diesem Sommer verloren, wie bei einer schweren Krankheit, wenn Zunge und Gaumen belegt sind. Jetzt war er zurück, vermeldete süß, salzig, bitter, scharf, sauer. Fast gierig ließ sie die Aromen des Lebens wieder in sich hinein. (Seite 163)

Bohemehaft wirken die Charaktere, sie nehmen ihren Platz im Leben auf eine ganz eigene Art ein. Gesine arbeitet in München zusammen mit Frank als Lebenshilfe Coach, für sie und Leo steht Genuss ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Beide kochen sensationell und aufgrund von Leos Beruf essen sie häufig auswärts in exklusiven Restaurants. Man bekommt den Eindruck einer gewissen Abgehobenheit, sie wollen alles und auf nichts verzichten. Frank ist schon immer in Gesine verliebt, zuverlässig und treu bleibt er als guter Freund an ihrer Seite, freudig jeden noch so kleinen Brotkrumen aufleckend, den Gesine ihm manchmal hinwirft. Camille und Jean Luc sind ihre Nachbarn in der Normandie, sie führen eine offene Ehe, in der Seitensprünge nichts Besonderes sind. Deshalb glauben sie auch weiterhin an eine Fortführung der Beziehung zwischen Gesine und Leo, er wird bestimmt schon bald erkennen, was er an Gesine wirklich hat. Vieles wirkt aber ziemlich oberflächlich, tiefe Gefühle empfinden sie hauptsächlich beim Essen. So nach und nach entdeckt Gesine aber, dass ihre Beziehung mit Leo schon etwas Besonders war, sie aber durchaus auch eine Menge Tiefen hatte. Bewusst denkt sie nicht nur an die schönen Erlebnisse ihrer Ehe, sondern nimmt Kontakt zu den wirklichen Tiefen auf, durchlebt sie noch einmal, um sich dann endgültig davon zu verabschieden.

Gesine macht es einem schwer, sie wirklich zu mögen. Zuerst ist sie niedergedrückt und unfähig, weiterzuleben, da ihre große Liebe sie verlassen hat. Bewundernswert, wie sie dann ihre Gefühle mit den Bildern in eine Schachtel packt und sie nach und nach wieder fliegen lässt. Durch diese Ausflüge in die Vergangenheit lernt man alle Beteiligten sehr gut kennen. Am langen Arm lässt Gesine Frank verhungern, sie weiß genau, was er für sie empfindet, ihren besten Freund will sie aber auf keinen Fall aufgeben, egoistisch füttert sie ihn mit kleinen Häppchen und bindet ihn fest an sich, so dass er unfähig ist, eine eigene Beziehung einzugehen. Nach Leos Auszug wirft sie ihm größere Brocken hin, ist aber nicht bereit, ihre Beziehung zu ihm in irgendeiner Form zu ändern. Camille und ihr Mann dienen ihr als Spiegel ihrer eigenen Gedanken, sie kann sie ungefiltert äußern, damit sie als Reflektion zurückkommen. Reduziert auf ihre tollen Beine, auf die die Autorin ständig hinweist, lernt sie viel zu schnell jemand Neues kennen, der ihrem Selbstbewusstsein schmeichelt und sich als Schoßhündchen anbietet. Zu guter Letzt ist da auch noch Leo, der einfach alles haben will und keine Zugeständnisse machen möchte. Er nährt Gesines Hoffnung mit seinen Äußerungen und zwingt sie gleichzeitig dazu, die Konsequenzen zu tragen und zu ziehen. Man kann einen Menschen nicht verlassen, ohne ihn zu verletzen, es ist hochmütig und herablassend, dem Verlassenen immer wieder ein Pflänzchen Hoffnung einzupflanzen. Die Charaktere nutzen sich gegenseitig aus und die Autorin pflastert ihnen den einfachsten Weg. Kaum braucht Gesine Bestärkung in ihrer Wirkung als Frau, läuft ihr auch schon ein attraktiver Mann über den Weg. Die Autorin impliziert eine große Oberflächlichkeit in Intimitäten, man bekommt den Eindruck, sie dienen lediglich zur Bestätigung des eigenen Selbstwertgefühls und sind lange nicht das, was sie eigentlich sein sollten, nämlich intim.


Fazit

Alles, was bleibt ist alles viel zu einfach. Kaum leidet man mit Gesine mit, da trifft sie schwups schon den nächsten Bewunderer. Über eine alte Liebe kommt man am besten mit einer neuen hinweg - was aber, wenn die nicht gerade parat steht? Natürlich watet Gesine durch ein Tal der Tränen, aber viel zu schnell arrangiert sie sich mit ihrem neuen Leben und findet neue Interessen und Freunde, wobei sie sich auf den Altbekannten weiterhin ausruhen kann. So eine Trennung und Verarbeitung kann man nur jedem wünschen, wenn es denn schon sein muss.


Pro und Contra

+ Aromen durchziehen das Buch
+ Rezepte am Ende
+ plastische Beschreibung Frankreichs
+ interessante Gerichte und ihre Zubereitung

o Gesines Umgang mit ihrem alten Leben

- oberflächlich und viel zu einfach
- Gesines Beziehung zu Frank
- Akzeptanz von Seitensprüngen
- am Schluß greift die Autorin noch einmal tief in die Klischeekiste

Wertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 2/5