Das verbotene Zimmer (Sam Hayes)

Verlag List, Mai 2011
Originaltitel: Tell-Tale, übersetzt von Carola Kasperek
Taschenbuch, 507 Seiten, € 8,99
ISBN 978-3548610252

Genre: Thriller


Klappentext

Endlose Gänge. Schwere Schritte. Kinder weinen. Eine Zeugin sagt aus – und muss für immer untertauchen...

Jahre später: Nina führt mit Mick und Tochter Josie ein sorgloses Leben. Bis ein Mann auftaucht, und Ninas Vergangenheit auf einmal wieder lebendig wird. Doch dann gerät Josie in Gefahr, und Nina steht vor dem schwersten Weg ihres Lebens!


Die Autorin

Sam Hayes wurde im englischen Coventry geboren. Nach dem Schulabschluss wollte sie Pilotin werden und lernte fliegen, war dann aber in anderen Berufen, u.a. als Privatdetektivin, Buchhalterin und Kellnerin, tätig. Sie lebte in Australien und den USA, bevor sie schließlich mit ihrem australischen Ehemann und den drei Kindern in ihre westenglische Heimat zurückkehrte. Für ihre Kurzgeschichten hat sie mehrere Preise erhalten, ihr erster Roman Blutskinder war sowohl in Deutschland als auch in England auf Anhieb erfolgreich.


Rezension

Da Avas Vater sich nicht mehr um sie kümmern kann, kommt sie in das Roecliffe Kinderheim. Des Nachts passieren dort unheimliche Dinge. Kinder werden von fremden Männern geholt und wurden nie wieder gesehen. Aus reinem Überlebensinstinkt kümmern sich die anderen Kinder nicht weiter darum, sondern teilen danach die Sachen des verschwundenen Kindes auf. Ava hatte bisher Glück, aber als sie die Verantwortung für die kleine Betsy übernimmt, kann sie die Augen nicht mehr lange davor verschließen. Sie versucht alles, um Betsys Leben zu erleichtern. Nina führt indess mit dem Maler Mick eine glückliche Ehe, ihre gemeinsame Tochter Josie benimmt sich wie ein typischer Teenager, die ihre Zeit lieber mit ihrer besten Freundin und dem PC verbringt. Zusätzlicher Anreiz bietet das Internet Spiel Afterlife, dem beide Mädchen völlig verfallen sind. Nina ist Maskenbildnerin und hat eine eigene Firma, die gerade bei einer großen Filmproduktion mitwirken soll. Vor irgendetwas hat sie aber eine riesige Angst, sie wird immer paranoider und hysterischer, kann sich allerdings Fremden gegenüber nicht anvertrauen. Irgendetwas Schlimmes ist in ihrer Vergangenheit passiert, nur sie allein kann ihrer Meinung nach ihre Familie beschützen, was sie zu merkwürdigen Handlungen treibt.

Aus dem Roecliffe Kinderheim ist mittlerweile ein Internat geworden. Frankie tritt dort ihre Stelle als Assistentin der Hausmutter an, die sich nicht nur um die Ordentlichkeit der Schülerinnen kümmert, sondern ihnen auch mit Rat und Tat zur Seite stehen soll. Allerdings ist sie sehr schüchtern, es fällt ihr schwer, zu vertrauen. Zu dem jungen Lehrer Adam fühlt sie sich hingezogen, kann mit ihm aber auch nicht reden. Sie gewinnt sein Vertrauen, als sie nicht schweigt, nachdem eine Schülerin ihn wegen Belästigung denunzieren will. Adam schreibt ein Buch über das ehemalige Kinderheim und bittet Frankie, ihm bei den Recherchen zu helfen. Sie stoßen dabei auf eine Mauer des Schweigens, denn über die vergangenen Taten möchte keiner mehr reden.

Haben die drei Frauen etwas miteinander zu tun? Was ist wohl aus Ava geworden, als sie zu alt war, um weiterhin im Kinderheim zu bleiben? Konnte sie Betsy beschützen? Ava und Frankie erzählen aus der Ich Perspektive, lediglich der Teil Ninas betreffend wird neutral erzählt. Außerdem ist Frankies Teil noch in der Gegenwartsform gehalten, was anfangs zu Verwirrungen führt. Von Kapitel zu Kapitel ändert sich die Perspektive, alle drei Frauen bekommen viel Raum, in dem sie sich entfalten und den Leser an ihrem Schicksal teilhaben lassen. Der Stil ist recht einfach, aber doch packend, schnell will man wissen, was wirklich passiert, wenn die Kinder in das verbotene Zimmer geholt werden. Man kann es sich zwar denken, aber die vollständigen Ausmaße und Konsequenzen bleiben erst einmal im Dunkeln. Allerdings wirken Nina sowie Frankie ziemlich paranoid und hysterisch, besonders Ninas Beschützerinstinkt ist stark ausgeprägt, sie engt ihre Tochter ein, ohne ihr erzählen zu können, warum. Auch als sie eine Polizistin bittet, ihr zu helfen, ohne nähere Angaben zu machen, fällt es dem Leser schwer, Mitleid zu empfinden, denn wie soll jemand ohne Angabe von Gründen handeln? Natürlich offenbaren sich ihre Gründe, aber man fragt sich willkürlich immer wieder, ob Nina nicht überreagiert.

Mit der Pädophilie packt Sam Hayes ein heißes Eisen an, sie versteht es, die Schutzlosigkeit der Opfer darzustellen, Erklärungen für die Abgestumpftheit der anderen zu finden. Kinder ohne Eltern haben selten eine Lobby, schon gar nicht in früheren Jahren, an wen hätten sie sich den wenden sollen? Die eigentlichen Taten bleiben trotzdem noch im Dunkeln, die Autorin verzichtet auf allzu sehr Detailgenauigkeit und richtet ihren Fokus eher auf die Konsequenz der Taten. Irgendwann werden auch die Kinderschänder wieder aus dem Gefängnis entlassen – was dann? Was passiert mit den Opfern, wenn sie auf ihre Schänder treffen? Besonders wenn es ein ganzer Ring war, deren Mitglieder selbst geachtete Größen der Gemeinde sind. Wurden überhaupt alle erwischt? Das Ende lässt keine Fragen offen, wirkt aber doch zu sehr an den Haaren herbeigezogen, hier hat die Autorin zu viel gewollt. Kann sich ein Mensch wirklich so lange verstellen, ohne dass man seine dunkle Seite erahnt? Unbefriedigt lässt es den Leser zurück, der sowieso erst einmal diese schwere Kost verdauen muss, denn auf den letzten Seiten, wenn die Zahnräder ineinandergreifen, fährt Sam Hayes noch schwere Geschütze auf.


Fazit

Ein Pädophilenring in einem Kinderheim, alle schließen die Augen und freie Auswahl für die Mitglieder, ein Schlaraffenland für Missetäter. Was aber passiert, wenn ein Stein ins Getriebe kommt? Drei Frauen erzählen ihre aufrüttelnde Geschichte und erinnern den Leser mit jedem Satz, gut auf die eigenen Kinder aufzupassen und die Augen vor der Welt nicht zu verschließen, Hinweise erkennen und verstehen lernen.


Pro und Contra

+ gruseliges Setting
+ spannender Erzählstil
+ wechselnde Perspektiven
+ interessantes Thema
+ was haben die drei Frauen miteinander zu tun?

- hysterische und paranoide Charaktere
- Ende zu überzogen
- überflüssiges Drumherum

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5