Die Stadt der verschwundenen Kinder (Caragh O´Brian)

Hardcover: 462 Seiten, € 16,99
Verlag: Heyne (April 2011)
ISBN-13: 978-3453528000

Genre: Science Fiction


Klappentext

Jeden Monat müssen die ersten drei Neugeborenen an den Mauern der Stadt abgegeben werden. So lautet das uralte, unbarmherzige Gesetz. Doch was verbirgt sich dahinter? Für die junge Gaia gibt es nur einen Weg, das herauszufinden: Sie begibt sich heimlich in die verbotene Stadt …


Rezension

Caragh O´Brien wuchs in Minnesota auf und studierte Literatur und Kreatives Schreiben. Nach dem Studium begann sie als Highschool-Lehrerin zu arbeiten und entdeckte nebenbei das Schreiben von aufwändigen Romanen für sich. „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ ist ihr erstes Jugendbuch und hat in den Vereinigten Staaten sowie in Großbritannien zu Recht für viel Aufsehen gesorgt.

>> Gaia wusste, dem Baby würde es gut gehen. Sie wusste, die Mutter würde noch andere Kinder haben. Vor allem aber wusste sie, das Gesetzt verlangte von ihr, dass sie dieses Baby an der Mauer der Enklave ablieferte, sonst wäre ihre Leben und das der Mutter verwirkt. Gaia wusste das alles, und dennoch wünschte sie, es wäre anders … <<

Gaia Stone ist sechzehn Jahre alt, als sie in einer verwirrenden Nacht nicht nur als Hebamme ihr erstes Kind auf die Welt holen darf, sondern beinahe zeitgleich ihre Eltern verliert. Gefangen genommen von der Enklave und erstmals, wie es scheint, zum Verhör abgeführt. Doch einer der beängstigenden, dunkel gekleideten Soldaten macht ihr Hoffnungen, im Tausch gegen eine ganz bestimmte Liste. Eine, die Gaias Mutter geführt haben soll und über Leben und Tod bestimmen kann. Bald wird der sechzehnjährigen Hebamme klar, dass es nur einen Weg geben kann, um ihre Familie zurückzugewinnen. Und Captain Grey, so kühl und gleichgültig er auch wirken mag, ist schlussendlich einer der wenigen Menschen, die fähig sind, ihr zu helfen …

Düster soll sie also sein, die Zukunft. Romanreihen wie unter anderem „Die Tribute von Panem undCassia & Ky demonstrieren gut den in Übersee schon längst funktionierenden Markt der momentan modern gewordenen Science Fiktion: eine Mischung aus Alpträumen, Liebe, kontrollierenden Gesellschaftssystemen und lodernder Romantik. Und auch wenn Caragh O´Briens Jugendroman zu Beginn im Hinblick auf amouröse Emotionen eher wenig erhoffen lässt, so fügt sich ihr Konzept dennoch sehr gelungen in das derzeit so heiß begehrte Treiben des Genres. Eine Tatsache, die sich weder durch Buchumschlag, inneren Klappentext, noch in den ersten einhundert Seiten wirklich verrät. Stattdessen wird der Ernst der Lage aufgegriffen und vorangetrieben – Babys werden geboren und kurz darauf von den Hebammen hinter die Mauern einer verbotenen Stadt gebracht. Die einfache Bevölkerung hat diese grausame Regel der dort lebenden Oberschicht bereits akzeptiert. Denn nach beinahe dreihundert Jahren Klimakollaps, sind sie abhängig von deren Vorräten. Abhängig von allem, was sie bekommen können, um ihre meist in Armut lebendend Familien über die Runden zu bringen, im Tausch für so manches Kind. Gaia und ihren Eltern geht es nur ein bisschen besser. Sie verdienen als Hebammen gut und tun ihr Möglichstes, während der Vater sein Talent als Schneider verdingt. Als Gaias Familie jedoch zerrissen wird, lernt man auch die anderen Seiten des sonst eher fügsamen, vernarbten Mädchens kennen. Denn nun muss sie erkennen, dass nur noch wenig zu verlieren, viel aber zu gewinnen ist. Heimlich beginnt Gaia einen Plan zu schmieden und begibt sich dafür in die verbotene Stadt. Ein Wettkampf gegen die Zeit beginnt, kurz drauf wird eine hochschwangere Frau in aller Öffentlichkeit exekutiert und es gibt nur eine einzige Möglichkeit ihr ungeborenes Kind zu retten und dieser erschreckenden Realität zu entfliehen. Doch Gaia hat nicht mit Captain Grey gerechnet.

Er ist vorerst ihr Gegenspieler. Ein kluger, kühler und junger Mann, der selbst sehr viele Geheimnisse verbirgt und Gaia schlussendlich festnehmen muss. Auch er scheint nur die Aufzeichnungen ihrer Mutter zu wollen. Sie sind Gaias einzige Hoffnung auf Leben, doch je mehr Gaia diese Gesellschaft erlebt umso weniger ist sie sich sicher, ob diese Menschen es verdient haben gerettet zu werden. Denn das abgesonderte Leben der Höheren fordert nun einen furchtbaren Preis. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist dem Leser klar, dass „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ ein Roman ist, der händeringend nach eine Fortsetzung verlangt. Informationen fehlen und Liebe entsteht. Eine unaufdringliche, zarte Verbindung zwischen zwei Menschen, deren Bewunderung füreinander auch nachzuvollziehen ist. Gaias Abenteuer, ihre langsam entfachenden Gefühle für Captain Grey und der ausgeschmückte Hintergrund sind perfekt abgestimmt auf die Leserwünsche und Bedürfnisse Jugendlicher. Dennoch wirkt dieses Buch auch erwachsen, weniger verträumt und schwärmerisch als üblich, dafür jedoch umso überzeugender. Hier wird nicht auf Tränendrüsen gedrückt, nicht tief in Trickkisten gegriffen. Solche Vorgehensweisen sind in diesem Roman gar nicht notwendig, um ganz unterschiedliche Herzen erreichen zu können. Wundervolle Charaktere, eingebettet in einer mistreißenden Geschichte, ein außerordentlich gefühlvoller Stil und jede Menge Spannungen bestimmten das Rezept einer bunten Mischung, die gerade in den letzten einhundert Seiten mehr und mehr zu begeistern versteht.

Nur das Mangeln an Hintergrunddetails (die im nächsten Band noch kommen könnten) und die wenig ausgeschmückte, doch aber eigentlich sehr spannende, emotionale Grundfrage, ob es nicht auch notwendig wäre, anders zu reagieren und diese Gesellschaft – mit allen Fehlern die sie hat – zu retten, stößt etwas säuerlich auf. Mehr wäre in diesen beiden Punkte, selbst für einen ersten Band, möglich gewesen. Doch diese Mankos verzeiht man, schlussendlich einfach nur begeistert, richtig gern. Eine Fortsetzung dieses Jugendbuches erscheint erst in den kommenden Monaten im Original. Die Übersetzung wird demnach leider viel zu lange auf sich warten lassen. Einfach schade. Denn man möchte so gerne wissen, wie es weiter geht.


Fazit

„Die Stadt der verschwundenen Kinder“ ist ein Roman ganz nach dem Geschmack jugendlicher Leser. Er behandelt wichtige, aber auch aktuelle Probleme, bietet spannende Unterhaltung und eine sich zart entfaltende Liebe ohne unerwünschten Kitsch. Gaia und Captain Grey hat man schnell ins Herz geschlossen und auch die kritisch untermalte Handlung ist interessant. Gespannt gilt es auf die Fortsetzung zu warten, die unzählige Möglichkeiten offen lässt.


Pro & Kontra

+ authentisch erstellte, ehrliche Figuren
+ düsterer Szenario ohne Gewaltorgien
+ wunderbare, liebenswerte Protagonisten
+ guter Spannungsaufbau & schönes Setting
+ schlicht sowie leicht verständlich erzählt

- teils ungenutztes Potenzial

Wertung:

Handlung: 4 / 5
Charaktere: 5 / 5
Lesespaß: 5 / 5
Preis/Leistung: 4,5 / 5