Marie Sann (29.10.2011)

Interview mit Marie Sann

Literatopia: Hallo Marie! Kürzlich ist bei Splitter der Comic zu Kai Meyers „Frostfeuer“ erschienen, der von Dir gezeichnet wurde. Wie bist Du dazu gekommen? Hat man Dich angesprochen oder hast Du Dich quasi beworben? Und worum geht es im ersten Band?

Marie Sann: Ich bin 2010 während des Comicsalons in Erlangen zum Stand des Splitterverlages gegangen und habe dort mich und meine Arbeiten vorgestellt. Mein ursprünglich angestrebtes Ziel war es, den Verlag für ein von Guido Neukamm (mit ihm habe ich schon frühere Projekte zusammen gemacht) und mir neu erdachtes Comicprojekt zu begeistern. Leider passte die Story nicht wirklich zu ihrem Verlagsprogramm. Doch sie mochten meinen Stil und sahen eine andere Möglichkeit der Zusammenarbeit: Sie schlugen mir vor, einen Roman von Kai Meyer zu adaptieren. Da sagte ich natürlich nicht nein! :) Dass es die Geschichte "Frostfeuer" werden würde, ergab sich dann ein paar Wochen später. Ich freue mich sehr, die fantastische und spannende Geschichte zeichnen zu dürfen und das unglaubliche Abenteuer vom kleinen Mädchen Maus in Bildern erzählen zu dürfen. Die Geschichte spielt im Grandhotel Aurora Ende des 19. Jahrhunderts in Sankt Petersburg, in welchem die kaltherzige Schneekönigin und die sprudelige Zauberin Lady Spellwell aufeinandertreffen.

Literatopia: Wie lange hast Du (durchschnittlich) gebraucht, um eine einzige Seite des Comics komplett fertig zu stellen? Und gibt es einzelne Bilder, die Dir besonders viel Zeit abverlangt haben oder die Du auch mehrmals zeichnen musstest?

Marie Sann: Für eine Comicseite habe ich nicht mehr als drei Tage Zeit. Länger darf ich an einer Seiten nicht sitzen, denn es sind Deadlines einzuhalten und parallel arbeite ich noch an anderen Projekten.
Es ist meistens so, dass jede Seite ein oder zwei Highlightbilder hat. Denen widme ich dann mehr Zeit als dem Rest der Seite. Das sind dann Bilder, die besonders wichtig für die aktuelle Handlung sind oder die es einfach unbedingt verdient haben, weil es das Motiv hergibt.

Literatopia: Hast Du die Romanvorlage von Kai Meyer gelesen? Falls ja, wie stark hat sie Deine Zeichnungen beeinflusst? Und inwiefern war Kai Meyer eigentlich in die Entstehung des Comics involviert?

Marie Sann: Ja, ich habe natürlich vor dem Zeichnen des Comics den Roman gelesen und mir das Hörbuch während des Entwerfens der Charaktere und des Settings angehört. Es liegt schon in Kai Meyers wunderbarem Schreibstil, die Charaktere und die Räume in denen diese sich bewegen, sehr detailliert zu beschreiben. Gleich beim Lesen entstanden unmittelbar Bilder in meinem Kopf und das habe ich zu Blatt gebracht.
Für das Adaptieren des Romans ist Yann Krehl verantwortlich. Er liefert mir das Skript, welches mir beschreibt, was auf den einzelnen Comicseiten passieren soll und das ist dann meine direkte Vorlage.
Uns allen, Yann, dem Verlag, Kai und mir, ist es besonders wichtig, so nah es geht am Roman zu bleiben. In der Findungsphase, als Charaktere und Settings visualisiert wurden, habe ich mit Kai jeden Entwurf abgestimmt und so ist es auch bei allen Comicseiten. Kai guckt über jede rüber, so ist garantiert, dass immer die Nähe zum Roman und zu den Vorstellungen des Autors garantiert ist. Ich muss aber auch sagen, dass die Zusammenarbeit mit Kai, Yann und dem Verlag sicher auch so gut läuft, weil wir sehr ähnliche Vorstellungen haben und die Chemie zwischen uns gut stimmt. Das ist eine nicht zu unterschätzende Vorraussetzung für eine gute längerfristige Zusammenarbeit, denke ich.

Literatopia: Bei Tokyopop ist vor einiger Zeit Dein Manga „Krähen“ in zwei Bänden erschienen. Kannst Du kurz umreißen, worum es geht? Und inwiefern hat Guido Neukamm daran mitgewirkt?

Marie Sann: "Krähen" ist in zwei Bänden 2009 und 2010 erschienen und erzählt die Geschichte der jungen Ice, ein Mädchen, das als Krähe geboren wurde (ein Volk, das einiges gemein mit seinen Verwandten aus dem Vogelreich hat und alles tun würde, um Gold und Geschmeide in seine Finger zu bekommen), versucht aus den alten Traditionen seines Volkes auszubrechen und beginnt einen Kampf gegen seine eigene Herkunft. Ich hatte sehr viel Spaß an dem Projekt. Das lag nicht wenig an der angenehmen Zusammenarbeit mit dem Comiczeichner Guido Neukamm, den ich 2006 bei einem Dreh für den Kinderkanal zum Thema Manga und Comic kennengelernt habe. Wir sind sehr gute Freunde und ein gutes Team. Bei diesem Projekt hat Guido als Autor fungiert, was auch für ihn Neuland aber eine spannende Sache war.

Literatopia: Wie würdest Du Deinen Mangastil einordnen? Setzt Du beispielsweise eher auf harte Kontraste oder eine feine Linienführung und viele Schattierungen? Und was findest Du leichter zu zeichnen – Mangas oder Comics?

Marie Sann: Ich war auf jeden Fall sofort fasziniert von dem neuartigen Stil, als ich die ersten Anime-Serien im Fernsehen sah und habe natürlich (da ich ja ohnehin ständig zeichnete) auch versucht, Figuren in dem Mangastil aufs Papier zu bringen. Mir war aber nie wichtig, die Charaktere genauso aussehen zu lassen, wie sie es in diesem oder jenem Manga taten. Natürlich zeichnet man anfangs ab, um den Stil zu verinnerlichen. Aber mit der Zeit habe ich mich mehr und mehr von den Vorlagen gelöst und meinen eigenen Stil gefunden. Das sieht man auch ganz gut in "Krähen", denke ich. Es war mir nicht wichtig Tusche und Rasterfolie, das hierzulande oft als unbedingtes Medium für Mangazeichnungen angesehen wird, zu verwenden. Ich merkte, dass es meinen Figuren und der Geschichte gut tut, einen Bleistift als Medium zu verwenden. Und das war die richtige Entscheidung. Die Vorwürfe, es wäre doch kein richtiger Manga, wenn es nicht mit Tusche und Rasterfolie gemacht ist, konnte ich verkraften.... Ich meine was ist schon ein "richtiger" Manga? Kann eine Deutsche überhaupt einen "richtigen" Manga zeichnen? Wäre er richtiger, hätte ich das erwartete Medium benutzt? Oder reicht es nicht einfach, wenn man sich auf den Comic (ob man ihn nun Manga nennt oder nicht) einlässt und Spaß am Betrachten und Lesen hat?
Ich denke man muss flexibel sein und sich und seine Arbeit immer kritisch betrachten. So sieht man was einem selbst und seinen Zeichnungen gut tut. Man kann nicht sagen, ob Mangafiguren leichter zu zeichnen sind. Es gibt unheimlich detaillierte Mangazeichnungen wie auch sehr reduzierte. Dasselbe gilt für Comiczeichnungen anderer Stile. Man kann es also nicht pauschalisieren.

Literatopia: „Sketchbook Berlin“ war Dein erstes Mangaprojekt. War für Dich sofort klar, dass es in Deiner Heimatstadt spielen soll? Und welche Berliner Einflüsse finden sich im Manga?

Marie Sann: Ja, das stand relativ schnell fest. Ich sah keinen Grund dafür, warum ein deutscher Comic im japanischen Zeichenstil auch unbedingt in Japan spielen muss. Ich selbst war leider noch nicht dort und müsste somit die Figuren in eine Welt setzen, von der ich bisher nur gehört oder gelesen hätte. Berlin kenne ich sehr gut. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Ich habe meine Lieblingsplätze in dem Comic miteinfließen lassen und zeige an einigen Stellen für Berlin typische Dinge. Außerdem finde gerade die Kombination des japanisch anmutenden Stils und des deutschen Schauplatzes spannend.

Literatopia: Wie bist Du eigentlich zum Comiczeichnen gekommen? Hat man schon in der Schule Dein Talent erahnt oder hast Du das Zeichnen erst in Deiner Grafikdesignausbildung für Dich entdeckt? Und was würdest Du Leuten raten, die in dieser Richtung etwas machen wollen?

Marie Sann: Gezeichnet habe ich schon immer unheimlich viel. Seitdem ich gelernt habe einen Stift zu halten, war ich fasziniert davon eigene Figuren und Welten zu entwerfen. Meine Eltern haben mich schon früh darin unterstützt, was mir sehr gut getan hat. Im Kindergarten habe ich ganz viele Disneyfiguren abgezeichnet. Ich habe aber auch schon recht früh versucht, reale Dinge zeichnerisch wiederzugeben. Mit 12 hat mich wie gesagt der Mangatick gepackt und ich habe viel getan, um mir den Stil anzueignen. Ich habe mich aber nie nur auf eine Sache beschränkt, sondern auch immer wieder zum Beispiel Aktzeichnen oder Naturstudien gemacht. Es ist meiner Meinung nach wichtig, sich für vieles zu interessieren und sich daran auszuprobieren, sonst bleibt man irgendwann stehen. Dass ich mit dem Comiczeichnen begonnen habe, kam eher zufällig. Als ich 16 war fragte mich der Tokyopop Verlag ob ich nicht Lust hätte, einen Manga zu zeichnen (Sketchbook Berlin) und ich war interessiert. Bis dahin hatte ich ausschließlich einzelne Illustrationen gemacht.
Was ein Comiczeichner (egal nun welcher Stil) unbedingt mitbringen muss, ist, neben dem zeichnerischen Können, die Fähigkeit Geschichten erzählen zu können (Storyboard) und das Arbeiten unter Druck (Deadlines einhalten). Das wird oft unterschätzt. Es gibt viele gute Zeichner. Aber das allein reicht leider für den harten Beruf als Comiczeichner nicht aus.

Literatopia: Du warst dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse anzutreffen und hast fleißig signiert. Was bleibt Dir von diesem Jahr besonders in Erinnerung? Wie lange sitzt Du an einer Signatur mit Zeichnung? Und gab es auch den ein oder anderen ungeduldigen Fan?

Marie Sann: Das war die erste Buchmesse in Frankfurt für mich und ich hatte eine ganz tolle Zeit dort. Natürlich ist es immer großartig, mit den Lesern in Kontakt zu kommen und direktes Feedback zu meinen Arbeiten zu bekommen. Aber auch die Kontakte zum Verlag und den Kollegen sind schön. Und man lernt auf solchen Veranstaltungen immer wieder neue nette Leute kennen. Leider vergeht die Zeit jedes Mal viel zu schnell.
Das Signieren macht mir immer sehr viel Spaß. Ungeduldige oder gar unfreundliche Leser sind mir bisher noch nicht begegnet. Für eine Zeichnung nehme ich mir etwa 2 bis 5 Minuten. Ich muss mich dabei immer nach der Nachfrage und der Länge der Schlange richten. Dieses Mal war das erste Mal, dass Kai Meyer und ich zusammen das erste "Frostfeuer" Comicbuch signiert haben. Da tat sich eine kleine Schwierigkeit auf: Kai war mit einem Autogramm im Gegensatz zu mir nach ein paar Sekunden fertig. Aber so blieb ihm noch zusätzliche Zeit mit seinen Fans zu reden. Die haben sich gefreut. Und ich hatte ein schönes Hörspiel parallel zum Zeichnen. ;)

Literatopia: In Deiner Kreativität scheinst Du recht vielseitig zu sein. Neben einem Modebuch gibt es auch Postkarten, Märchenbilder und modellierte Figürchen von Dir. Was davon ist beruflich relevant? Und welche Art von Auftragsarbeiten erledigst Du für die Bravo, Universal Music, Nintendo und Co?

Marie Sann: Wie schon erwähnt ist es mir sehr wichtig, viel auszuprobieren und mich nicht nur auf einen Stil oder eine Technik zu beschränken. Die Projekte, von denen ich zur Zeit lebe, beschränken sich aber auf Comiczeichnungen und Kinderbuchillustrationen. Ich bin aber sehr offen und liebe neue Herausforderungen. Daher freue ich mich auch über Auftragsarbeiten anderer Thematiken oder Medien.

Literatopia: Auf Deiner Homepage schreibst Du, dass Du gerne einmal an einem Videospiel mitwirken würdest. Was genau könntest Du beitragen? Und für welche Art von Spielen würdest Du gerne einmal etwas machen? Rollenspiele oder gar Jump’n’Runs?

Marie Sann: Ja, da ich selbst unheimlich gern zocke, liegt der Wunsch nicht fern, selbst auch einmal ein Spiel mitzugestalten. Besonders interessiert mich hier die Arbeit als Characterdesigner oder Backgroundartist. Mein großer Traum ist, einmal an einem schönen Point-and-Click-Adventure mitzuarbeiten, mit 2D Grafik und viel Liebe zum Detail.

Literatopia: In der Fanart-Rubrik auf Deiner Homepage findet sich ein Bild von Bayonetta. Ist das genau die Art von Games, die Du gerne zockst? Und welche Videospielcharaktere haben es Dir außerdem angetan?

Marie Sann: Das Bayonetta-Bild ist als Geschenk für jemanden entstanden. Es hat mich gereizt die Figur zu zeichnen, ich habe aber nur kurz in das Spiel reingespielt.
Ich bin ein großer Fan der oben schon erwähnten Adventures, wie zum Beispiel Monkey Island oder Day of the Tentacle. Ich finde es ehrlich gesagt schade, dass mittlerweile fast alles in (meiner Meinung nach leider oft noch viel zu schlechten oder lieblosen) 3D-Grafik gehalten ist. Ein aktuelles Game mit 2D Grafik ist eher eine Rarität.
Konsolenspiele, die ich sehr mag sind zum Beispiel Heavy Rain, Castlevania und unbedingt die Uncharted Reihe.

Literatopia: Auch von Tim Burtons „Alice im Wunderland“-Umsetzung gibt es ein passendes Fanart von Dir. Wie hat Dir sein Film gefallen? Welche weiteren Alice-Umsetzungen kennst Du? Und welche gefällt Dir am besten?

Marie Sann: Hihi, ja das Bild könnte etwas selbstverliebt wirken: Ich als Alice neben dem tollen Johnny Depp als Mad Hatter. Ich habe aber eine Entschuldigung dafür. Das Bild habe ich für einen Wettbewerb angefertigt, der anlässlich des Releases des Films ausgerufen wurde. Thema war es, sich als Alice in die Szenerie des Filmes zu setzen.
Den Film habe ich sehnlichst erwartet. Als großer Burton- und Alice-Fan waren meine Erwartungen hoch. Vielleicht etwas zu hoch. Ich fand den Film nett. Aber nicht umwerfend. Ich mag immer noch am meisten die frühe Disneyumsetzung. Vielleicht auch, weil sie mich schon als kleines Kind so fasziniert und gegruselt hat. Einfach toll.

Literatopia: Aktuelle Infos zu Deinem Schaffen finden sich unter anderem auf Deinem Blog. Was postest Du dort beispielsweise? Und hast Du darüber hinaus Kontakt zu Deinen Fans?

Marie Sann: Ich bemühe mich regelmäßig etwas in meinem Blog zu posten. Oft sind es neue Zeichnungen (meist Skizzen oder Werke in Arbeit), Infos zu neuen Projekten oder Berichte von Events und Signierstunden. Außerdem findet sich auf meiner Blogseite immer ein Terminkalender mit den Events auf denen ich als nächstes anzutreffen bin. Ich bemühe mich, auf Kommentare in meinem Blog stets zu antworten. In letzter Zeit bin ich aber auch bei Facebook sehr aktiv.

Literatopia: Bist Du auch ein leidenschaftlicher Comicleser? Was tummelt sich alles in Deinen Regalen? Und kannst Du auch guten Romanen etwas abgewinnen?

Marie Sann: In meinen Regalen finden sich haupttsächlich Bildbände von klassischer Malerei über Comics bis zu moderner Kunst. Ich würde gerne mehr lesen, doch die Zeit und Ruhe die ich dafür bräuchte fehlt mir leider.

Literatopia: Was wird uns in Zukunft von Dir erwarten? Wird sich im Mangabereich wieder etwas tun? Und sind weitere Comicumsetzungen von Romanen geplant? Oder lässt Du in der Hinsicht erst einmal alles auf Dich zukommen?

Marie Sann: Das ist das Schöne an dem Job: man weiß nicht, was noch alles auf einen zukommt!
Und ich bin einfach gespannt und empfange jedes reizvolle Projekt und die neuen spannenden Zusammenarbeiten, die sich damit vielleicht ergeben, mit offenen Armen. :)

Literatopia: Vielen Dank für das schöne Interview, Marie!

Marie Sann: Danke auch. Es hat mich sehr gefreut!


Autorenfotos und Artworks: Copyright by Marie Sann

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Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.