Lilith (Christoph Marzi)

 

Heyne (November 2005)
Paperback, Broschur, 688 Seiten, 14,00 EUR
ISBN-10:3-453-52135-8

Genre: Fantasy


Inhalt

„Die Welt ist gierig und manchmal verschwinden Menschen in ihrem Schlund, ohne jemals wiedergesehen zu werden …“

Es geschehen seltsame Dinge in London. Vier Jahre nach den Ereignissen, die das Waisenmädchen Emily Laing die Uralte Metropole haben entdecken lassen, bewahrheiten sich die Worte des Lichtlords: Alles wird irgendwann wieder leben. Im Dunkeln regen sich mysteriöse Gestalten, Menschen verschwinden vom Angesicht der Erde und seltsame Träume suchen Emilys Freundin Aurora heim. Und so steigen die beiden Waisenmädchen in Begleitung des mürrischen Alchemisten Wittgenstein und des Elfen Maurice Mickelwhite erneut in die geheimnisvolle Welt unterhalb Londons hinab. Eine Welt bevölkert von Wiedergängern, ägyptischen Gottheiten, gefallenen Engeln, goldenen Vögeln und sprechenden Ratten. Und eine Welt in großer Gefahr. Wer ist die geheimnisvolle Frau, deren Erscheinen immer mit großer Not und grauenhaften Verbrechen verbunden ist? Welche Rolle spielt der Junge, in dessen Augen sich Emily verloren hat? Die Spur führt sie über Paris hinab in den düsteren Abgrund, wo inmitten des Wüstensands die Asche einer Frau gefunden werden muss, die man einst Lilith nannte.

(aus dem Buch)


Rezension

Eine logische Schlussfolgerung, wenn ein Buch sehr erfolgreich war und noch dazu in dem unerschöpflichen Fundus des Fantasy-Genres angesiedelt ist, ist ein Folgeroman. Nicht selten wird von Beginn an eine Reihe geplant, aber das gehört eben dazu und wird von der Fangemeinde auch gefordert.
Allerdings ist das ein zweischneidiges Schwert, denn die Wahrscheinlichkeit, einen Zweit-Erfolg zu verbuchen, ist sehr hoch, aber gleichzeitig muss man sich als Autor und Verlag auf eine Leserschaft einlassen, die die Erwartungen entsprechend dem ersten Teil weit hochgeschraubt hat. Und als reiche das nicht, stehen die Vorbehalte im Raum, das Buch sei lediglich schnell nachgeschoben worden, um den Geldregen zu verlängern. Da „Lilith“ zwar gleich dick ist wie der Vorgänger, man jedoch eine größere Schrift auf weniger Seiten vorfindet, bleibt ein fahler Beigeschmack übrig und die Bedenken über unnötige Folgebücher werden nicht gerade aus dem Weg geräumt.

Christoph Marzi gelingt es leider nicht, seine mit „Lycidas“ selbst gesetzte Messlatte noch zu übertrumpfen. Zum einen liegt es daran, dass das Augenmerk von Emily Laing auf ihre Freundin Aurora wandert, die Emilys Platz im Herzen der Leser einfach nicht ersetzen kann. Das Schicksal der früheren Randfigur ist zwar überraschend und dramatisch, entfaltet aber nicht die gleiche Wirkung.
Zum andern verlagert Marzi das Geschehen hauptsächlich nach Ägypten und wagt sich sogar in einem 133 Seiten langen Tagebucheintrag in eine längst vergangene Zeit. Vor der Ideenvielfalt des Autors kann man sich nur verbeugen, aber dieser Exkurs bietet scheinbar nicht annähernd so viel Potenzial wie die Inspirationsquellen zuvor und schafft es einfach nicht, die nötige Spannung aufzubauen. Besonders der Tagebucheintrag gestaltet sich langatmig, von den letzten Seiten einmal abgesehen, trägt aber immerhin zur Auflösung bei.

Christoph Marzis Art mit Worten zu spielen ist individuell und angenehm frei von Hektik, aber was bei „Lycidas“ zu einem malerischen Erlebnis geführt hat, zieht bei „Lilith“ die an sich schon teils zähen Passagen noch weiter in die Länge.
Dennoch, wenn man sich in Gedanken vom ersten Teil lösen kann und „Lilith“ als eigenständiges Buch betrachtet, schneidet der Roman insgesamt gut ab. Die Geschichte ist weit entfernt vom immerwährenden Fantasy-Alltag, spinnt die Geschichte um Emily Laing weiter und wartet mit vielen guten Passagen auf, die den Leser verzaubern. Malerische Orte werden mit interessanten Mythen verbunden und von Christoph Marzi erneut zu etwas völlig Neuem geformt.


Fazit

Trotz der eigentlich interessanten Geschichte um Aurora Fitzrovia, der Experimentierfreudigkeit des Autors und der innovativen Geschichte kann sich „Lilith“ einfach nicht an den Vorgänger herantasten. Wer den ersten Teil gelesen hat, sollte aber den zweiten auf jeden Fall nicht verpassen, und sei es nur, um den wieder sehr guten dritten Band – so viel sei schon mal verraten – lesen zu können.


Pro & Kontra

+ in sich stimmige Geschichte, die nicht versucht, den ersten Teil zu kopieren
+ hebt sich weiterhin vom Einheitsbrei ab

o individueller Schreibstil

- reicht nicht an den Vorgänger heran
- zum Teil sehr zäh

Bewertung:

Handlung 3/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 4/5


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