Was reden die Leute: 58 Begegnungen mit Thomas Bernhard (Hrsg. Sepp Dreissinger)

Müry Salzmann (Februar 2011)
384 Seiten; 29,00 Euro
ISBN: 978-3990140345

Genre: Sachbuch


Inhalt

Wer war Thomas Bernhard? Misanthrop oder Gesellschaftsmensch? Zyniker oder warmherzig? Wie erinnern sich die, die ihm nahe kamen, heute? Über 60 Menschen hat Sepp Dreissinger, Fotograf, Filmemacher und Bernhard-Maniac, vor seiner Filmkamera zum Reden gebracht: vom Bruder Peter Fabjan zum Burgschauspieler Gert Voss, vom Ohlsdorfer Nachbar Johann Maxwald zur Hamburger Freundin Ingrid Bülau, vom Suhrkamp-Lektor Raimund Fellinger zum Tierpräparator Alfred Höller.

Ein Großteil dieser faszinierend verschiedenartigen Statements ist hier nachzulesen. Nicht wenige ähneln den Tiraden des Sprach- und Redekünstlers und geben noch zwanzig Jahre nach seinem Tod einen lebendigen Nachhall seiner Persönlichkeit. Eingeleitet vom Bernhard-Experten Manfred Mittermayer, setzt sich aus dem vielstimmigen Chor eine Nahaufnahme der „Sphinx von Ohlsdorf“ zusammen, die auch für Liebhaber und Kenner Neues und Überraschendes bereithält.


Rezension

Sepp Dreissinger wurde in Feldkirch geboren, studierte Musik am Salzburger Mozarteum und lebt als Fotograf sowie Filmemacher in Wien. Nach zahlreichen, verschiedenen Ausstellungen, auch schon vorangegangene Bücher über den „Frost“-Autor, präsentiert er nun pünktlich zum achtzigsten Lebensjahr von Thomas Bernhard, eine Sammlung unterschiedlicher Erzählungen und Berichte über einen der bedeutendsten Schriftsteller sowie Lyriker Österreichs.

>> „Was reden die Leute über mich?“, fragt der Maler Strauch in Frost. „Sagen sie: der Idiot? Was reden die Leute?“ Thomas Bernhard hat diese Stelle aus seinem Debütroman (1963) dem Text auch als Motto vorangestellt. Was sein erster großer Protagonist hier anspricht, sollte gleichzeitig zur prägenden Struktur seiner Prosabücher werden. <<

Schon im Vorwort bringt Manfred Mittermayer (Generalsekretär der Internationalen Thomas-Bernhard-Gesellschaften) den Inhalt dieses beinahe vierhundertseitige Sachbuches über Thomas Bernhard absolut passend sowie zitatwürdig auf den Punkt: der vorliegende Band entlehnt gewissermaßen die Strategie der Annäherung, wie wir sie aus den Büchern des Autors kennen, erklärt er voll spürbarer Euphorie. Da redet stets einer über einen anderen und führt uns an diesen faszinierenden Menschen heran, indem er dessen endlosen Monolog zitiert. Fotograf und Filmemacher Sepp Dreissinger jedoch ließ nicht nur – wie in vorangegangen Werken über Thomas Bernhard – einen einzelnen Beobachter zu Wort kommen. Nein – früh fasziniert vom zuletzt in Wien lebenden Autor waren Vorbereitung und Leidenschaft außergewöhnlich groß und umfassend. Fünf Jahre Arbeit, über einhundert Stunden verarbeitetes Filmmaterial und unzählige Monate Arbeitsaufwand lassen „Was reden die Leute – 58 Begegnungen mit Thomas Bernhard“ zu einem höchst subjektiv gestalteten, gar einzigartigen Portrait werden. Eines mit vielen unterschiedlichen Schilderungen und Wahrheiten. Denn Sepp Dreissinger interviewte nicht nur Kollegen, Freunde und die engste Familie sondern sammelte ebenso Meinungen aus dem breit gefächerten Umfeld des Schriftstellers. Zwischen zwei bis etwa elf Seiten pro Erzähler werden hierbei den einzelnen Sichtweisen zugestanden. Soziale Sphären prallen aufeinander: Kellner, Dorfgenossen, Nachbarn, Aristokraten, Künstler, unter anderem aber auch Journalisten berichten leidenschaftlich oder aber auch nüchtern über einen der größten Literaten Österreichs. Rundum gelungen; rundum vielseitig, um ein möglichst breites, gar dreidimensionales Bild von Thomas Bernhard zu erschaffen.

Ist es Theater, ist es Leben, ist es Schein oder Sein?

Präsentiert wird diese wichtige Sammlung in einer außerordentlich würdigen Optik: ein edelgraues Hardcover, schwarz bedruckt, sowie eines der letzten, von Sepp Dreissinger aufgenommen Bilder als Coverumschlag. Jedem Sprecher wird ein distanziert gestalteter Text als Vorstellung zugestanden, betont durch ein authentisches, aus dem Leben gegriffenes Farbfoto. Im Februar dieses Jahres wäre Thomas Bernhard achtzig Jahre alt geworden – für seine Fans lebt der österreichische Schriftsteller und Lyriker dennoch weiter: „Was reden die Leute – 58 Begegnungen mit Thomas Bernhard“ beweist damit berührend wie wenig vergessen wird, wie schön sowie wichtig Erinnerungen sind – auch weniger angenehme – und, dass der Tod die wirklich Großen nie zum Schweigen bringen kann.

Um sich selber spüren zu können, brauchte er die Reaktion des anderen, daher sein Aggressivsein. Als ich ihm eines Tages naiverweise ein Buch von einem Psychiater über die Grundformen der Angst gegeben habe, hat er es mir am nächsten Tag zurückgegeben und gesagt: "Das interessiert mich nicht." Für ihn war Psychiatrie als Therapieansatz im Sinn von Neurosenbekämpfung kontraproduktiv.

(Seite 374)


Fazit

Ein Buch voller unterschiedlich einfachen, aber auch vielseitigen Personen. Voller Leben, voller Vergangenheit und Meinungen – für Fans des Autors ein Muss und für all jene, die Thomas Bernhard als Mensch und Schriftsteller näher kennenlernen wollen, wärmstens zu empfehlen!


Pro und Kontra

+ vielseitige Monologe verschiedener Sprecher
+ authentisch, berührend und grandios recherchiert
+ hochwertiges Hardcover & Farbfotos
+ stimmungsvolle Detailarbeit inkl. Zeittafel

Wertung:

Monologe: 5 / 5
Verständlichkeit: 5 / 5
Lesespaß: 5 / 5
Preis/Leistung: 4,5 / 5