Der schwarze See (Barbara Büchner)



Sieben Verlag, Fischbachtal 2009
192 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-940235-75-6
Preis: 14,90 € (D)
(Phantastik)



Hüte dich vor Dingen, die Menschen waren
und nicht mehr sind,
vor Dingen, die Menschen sein wollen
und keine sind,
und vor Dingen, die wie Menschen aussehen
und keine sind.


Schwüle Tage, drückende Nächte

Wie es genau dazu kam, dass die bescheidene Ortschaft Blauswede am See binnen weniger Monate von fast allen Einwohnern verlassen wurde und zu einer Geisterstadt verfiel, blieb der Öffentlichkeit verborgen. Es war auch nicht so, dass man einen bestimmten Grund angeben konnte. Hätte man die Einwohner einzeln befragt, so hätte die eine gesagt, dass sie schön längst lieber zu ihrer verheirateten Tochter gezogen wäre, und der andere, dass ihm die Luft so nah am Wasser nicht bekam [...]. Alles alltägliche und vernünftige Gründe. Das Seltsame war nur, dass plötzlich fast allen Einwohnern solche Gründe in den Sinn kamen, vom Bürgermeister Lutz abwärts bis zu dem armen Arthur Glass, der schon vorher nicht ganz richtig im Kopf gewesen war und seit den Ereignissen in diesem dunklen, glühenden August vollkommen den Verstand verloren hatte.
- aus dem Beginn des Buches

Birgit ist alles andere als begeistert, als ihre Mutter beschließt, Urlaub bei einer alten Jugendfreundin und deren Sohn Patrick im kleinen Dorf Blauswede zu machen. Hat sie doch einerseits nur die schlechtesten Erinnerungen an den Jungen und andererseits schon im Vorhinein Alpträume von dem Stausee, an dem sich die Ortschaft befindet, ganz zu schweigen davon, dass Ferien in diesem verschlafenen Nest ja nur Langeweile pur bedeuten können.
Zumindest einer dieser Vorbehalte ist nach ihrer Ankunft schnell aus dem Weg geräumt, denn Patrick ist seit ihrer letzten Begegnung zu einem Jugendlichen herangewachsen, der nicht nur äußerlich keine Ähnlichkeiten mehr mit der verwöhnten Nervensäge von damals hat – vielleicht, so denkt Birgit, könnte es ja doch noch ganz annehmbar werden. Doch bald zeigt sich, dass auch nicht all zu viel Langeweile zu erwarten sein dürfte: Seltsame Schatten huschen durch die Nacht, die Schwüle nimmt seltsame Dimensionen an und Patricks Freund Arthur konfrontiert sie mit absurden Theorien, die plötzlich mehr Bedeutung erlangen, als ihnen allen lieb ist ...

Alptraumhaft

Eine ungewöhnliche Mischung von Elementen ist es, mit der die Geschichte aufwartet und die es schwierig macht, sie einem Genre zuzuordnen: Von seltsamen Geräuschen im Funkverkehr über Botschaften aus dem scheinbaren Jenseits bis hin zu Science-Fiction-Bestandteilen klassischer und weniger klassischer Art werden die Jugendlichen mit so manchem konfrontiert, das ihre bisherige Weltsicht auf den Kopf stellt und dennoch ganz und gar nicht dem entspricht, was man bei solchen im ersten Moment esoterisch anmutenden Anklängen erwarten würde. Das mag im ersten Moment irritierend wirken, doch bald wird klar, weshalb sich die befremdlichen Anzeichen so vielfältig manifestieren.
Eine schwüle, dunkle Atmosphäre der allgegenwärtigen und doch nicht fassbaren Bedrohung ist es, die besonders über dem Beginn des Buches liegt und dafür sorgt, dass gerade er besonders gelungen ist, obgleich nicht viel zu geschehen scheint. Es sind die kleinen Unregelmäßigkeiten, die gekonnt zu einer dichten Stimmung verwoben werden, wie Bewegungen, aus dem Augenwinkel wahrgenommen, doch niemals genau anvisierbar – eine Komposition, die leider durchbrochen wird, als die Protagonisten dem Andersartigen gegenüberstehen. Mit der klaren Benennung der vorher geheimnisvollen Elemente verschwindet viel von dem Potential an Grusel und Spannung, zu schnell werden klare Verhältnisse geschaffen.

Fremd und altbekannt

Wer Barbara Büchners Bücher kennt, der weiß, dass ihre Stärke insbesondere in der Gestaltung von jugendlichen Charakteren mit ihren alltäglichen und weniger alltäglichen Sorgen liegt, ebenso wie darin, dass sie sich an Themen wagt, die nicht unbedingt einfach sind, und sie zu spannenden und gut zu lesenden Geschichten spinnt. Dieses Können blitzt auch hier durch und es gelingt ihr, die Protagonisten lebendig werden zu lassen – ebenso wie sie anfangs die Stimmung und die Verwischung der Grenzen zwischen Normalität und Phantastik überzeugend umsetzt. Auge in Auge mit dem Fremden vermag es den Leser schließlich durchaus zu faszinieren, auch wenn so manches menschliche Verhalten gar zu schnell auf sie übertragen wird. Als abgrundtief böse Gegenspieler taugen sie nur bedingt, was wiederum auszuspielen verabsäumt wurde. Zu viel wurde angerissen und nicht fortgeführt, zu viele Ansätze bleiben unvollendet, und so bleibt am Schluss nach dem Auftauchen nur zu altbekannter Figuren ein unbefriedigtes Gefühl.

Fazit

Ein gelungener, spannungsgeladener und atmosphärischer Beginn, ein befremdlich-interessanter Mittelteil mit originellen und vertrauten Elementen und ein Ende, das nicht wirklich abschließt, mit ein paar losen Fäden zuviel in der Hand zurücklässt: Es fällt schwer, über „Der schwarze See“ ein abschließendes Urteil zu fällen. Nachdem ich das Buch auch an einem Mitglied der jugendlichen Zielgruppe erprobt habe, erhielt ich eine sehr positive Rückmeldung – sowohl bezüglich Spannung als auch bezüglich Figurengestaltung und Lesespaß. Damit bleibt wohl ein Fazit: Für Jugendliche als unterhaltsam-spannende Lektüre empfehlenswert, ebenso für andere Leser, die über die eine oder andere Schwäche hinwegsehen können und sich gerne auf Phantastik jenseits der einfach klassifizierbaren Bereiche einlassen wollen.


Pro und Contra:

+ Atmosphärisch und spannungstechnisch gelungener Beginn
+ Unkonventionelle Verquickung und Gestaltung verschiedener Elemente
+ Lebendige Figuren (laut Testperson „besonders Arthur Glass“)
+ Interessante Ideen

- Manches zu vertraut
- Lose Fäden, die nicht weiterverfolgt werden
- Unbefriedigendes Ende

Bewertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3/5