In großen Wassern (Kit Whitfield)



Heyne Verlag (Januar 2012)
Taschenbuch, 544 Seiten, EUR 13,99
ISBN: 978-3-453-52670-9

Genre: Fantasy

Klappentext

Tauch ein in eine fantastische Welt!

Tief im Meer lebt das Volk der Wasserleute. Seit Jahrhunderten garantiert ein Pakt mit dem mächtigen Königshaus ihr Überleben. Als dieser in einer dunklen Zeit der Umstürze gebrochen wird, liegt das Schicksal der geheimnisvollen Meereswelt und ihrer Bewohner in den Händen zweier Menschen, die mehr als Welten trennen: Anne, die kluge und streng erzogene Enkeltochter des geschwächten Königs, und Henry, ein Kind des Meeres und ein Außenseiter …


Rezension

Die Welt der Tieflinge ist ein rauer Ort; ständig der Gefahr ausgesetzt, zu verhungern oder gar von Delphinen und anderen Meeresbewohnern angegriffen zu werden, sind die Tieflinge nur in der Lage zu überleben, indem sie stark und hart sind. Und nicht nur körperlich unterscheiden sie sich sehr von den Menschen an Land: Neben ihrer Körpergröße und dem Fischschwanz haben sie ein komplett anderes Weltbild, das vom schlichten alltäglichen Überlebenskampf geprägt ist.

In diese Welt wird Henry hineingeboren – ein Mischling, der mit seinen menschlichen Beinen und seiner schmächtigen Statur nur schwer mit seinem Schwarm mithalten kann. Das ist auch der Grund, warum ihn seine Mutter eines Tages verstößt und an einem Strand an Englands Küste zurücklässt, wo er von einem Menschen gefunden wird, der sich seiner annimmt.
Um dessen Motive besser zu verstehen, ist es notwendig, sich noch ein wenig genauer mit der Welt, die Whitfield für ihren Roman geschaffen hat, auseinander zu setzen.
Denn in dieser Welt können menschliche Könige, deren Königreiche am Wasser liegen, nur vernünftig regieren, wenn sie die Unterstützung der Tieflinge haben. Auch wenn diese Tatsache für die Geschichte, die Whitfield erzählen möchte, wichtig ist, so macht sie es sich mit deren Erklärung doch allzu einfach: Die Tieflinge können nämlich die Schiffe der „Landlinge“ angreifen und zerstören. Wie das funktionieren soll, darüber hält sich die Autorin bedeckt – und was bleibt ihr auch anderes übrig; ist es doch schwerlich vorstellbar, dass ein menschenähnliches Wesen ein Holzschiff mit bloßen Händen versenken soll.
Mit dieser Macht haben es die Tieflinge nach und nach geschafft, dass alle wichtigen Königshäuser aus Mischlingen von Landlingen und Tieflingen bestehen – Menschen wie Henry. Und hier schließt sich der Kreis zum Protagonisten – denn er als wild geborener Mischling stellt eine nicht unerhebliche Gefahr für das englische Herrscherhaus dar, kann er doch den Thron für sich beanspruchen. Denn die englische Dynastie ist durch eine lange Reihe von Inzuchtehen zur Aufrechterhaltung von Mischlingen, die als einzige den Thron besteigen dürfen, geschwächt.
Wenn man all dies erst einmal verdaut und hingenommen hat, bietet einem „In großen Wassern“ eine erstaunlich gut umgesetzte und authentische Geschichte über Königshäuser, Hofintrigen, Ränke und Machtspiele, die durch die ungewöhnliche Partei der Tieflinge eine weitere Dimension dazu gewinnt. Dabei erweist sich Whitfield als gute Erzählerin, die sich darauf versteht, dem Leser eine spannende und intelligente Geschichte zu präsentieren und den Fokus stets auf interessante Punkte zu lenken.

Der interessanteste Punkt dürfte dabei etwa ihre Gegenüberstellung der Sichtweise der Landlinge und der Tieflinge sein: Diese gelungene Analyse menschlicher Verhaltensweisen erfährt einen frühen Höhepunkt, als Henry von einem Menschen am Strand aufgesammelt wird, der ihn dann mit zu sich nach Hause nimmt – natürlich in der Hoffnung, einen zukünftigen Anwärter auf den Thron gefunden zu haben.
Meisterhaft schildert Whitfield nun, wie Henry mit der Welt der an Land lebenden Menschen konfrontiert wird. Eindrücklich schafft sie es dabei, dem Leser all die Schrecken und Absurditäten zu vermitteln, die einem Wasserbewohner an Land begegnen könnten. Hierbei lässt sie es sich auch nicht nehmen, der menschlichen Gesellschaft mitsamt ihrer Denkweise den Spiegel vorzuhalten.
Henry als Charakter wird seiner Rolle zwar gerecht, jedoch hätte man sich hier und da doch einen detaillierteren Einblick in seine Gedankenwelt gewünscht, um ihn noch besser zu verstehen. Ähnliches gilt für den zweiten Protagonisten – Anne, Angehörige des angeschlagenen Königshauses -, die eine so rasante Entwicklung durchmacht, dass ihre Glaubwürdigkeit darunter leidet.


Fazit

„In großen Wassern“ bietet interessante Ideen, die intelligent umgesetzt werden. Souverän erzählt Kit Whitfield ihre Geschichte von Königshäusern, Ränken und Komplotts – die Einbindung der „Tieflinge“ in dieses Gefüge verleiht der Geschichte eine zusätzliche Dimension. Allenfalls die Protagonisten könnten etwas glaubwürdiger sein.


Pro & Kontra

+ interessante Ideen
+ intelligent erzählt
+ Kontrast zwischen „Landlings“- und „Tieflingswelt“

- keine ausreichende Erklärung für die Macht der Tieflinge
- Protagonisten nicht immer glaubwürdig

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5