Das Spiel der Götter - Die Gärten des Mondes (Steven Erikson)

Originaltitel: Gardens of the Moon A Tale of the Malazan Book of the Fallen 1
Originalverlag: Bantam Press, 2000
Aus dem Englischen von Tim Straetmann 
Taschenbuch, Klappenbroschur, 800 Seiten,
€ 9,99 [D] | € 10,30 [A] | CHF 14,90
ISBN: 978-3-442-26909-9

Genre: Fantasy


Klappentext

Für Sergeant Elster war stets klar, dass er dem malazanischen Imperium treu ergeben ist, egal wie schlecht er von seiner Herrscherin behandelt wurde. Auf ihren Befehl begibt er sich in die feindliche Stadt Darujistan, um deren Eroberung vorzubereiten. Doch als er und sein Trupp eintrifft, schwebt bereits die finstere Festung Mondbrut wie eine schützende Hand über der Stadt – und der Plan der Imperatrix zur Vernichtung Mondbruts kann sehr leicht auch Elster und seine Leute mit in den Tod reißen.

LESEPROBE


Rezension

Im November erscheint der erste Band des Spiels der Götter – zwölf Jahre nach der deutschen Erstveröffentlichung - in einer neuen Auflage. Verheißungsvolle Worte zieren das dezent gehaltene Cover:

„An diesem Meisterwerk muss sich jeder epische Fantasy-Roman messen!“

Sie stammen vom US-amerikanischen Fantasyautor Glen Cook, dessen Chronicles of the Black Company-Romane mittlerweile zu den Klassikern des Genres zählen, in Deutschland aber nie vollständig erschienen sind.

Derzeit zählt Steven Eriksons Spiel der Götter (im Original: A tale of the Malazan Book oft he Fallen) – zusammen mit George R. R. Martins Lied von Eis und Feuer – zu den dominierenden und einflussreichsten Fantasyserien auf dem internationalen Buchmarkt. Dabei geht Erikson allerdings völlig andere Wege als sein US-amerikanischer Kollege. Da erscheint es geradezu zwingend, dass sich am Spiel der Götter – mehr noch als am „Lied“ – die Geister der Leser scheiden. Für seine Fans setzt Erikson Maßstäbe in Sachen epischer Breite und Komplexität, seine Kritiker bemängeln hingegen den schwierigen Einstieg, den verwirrenden Erzählstil und nicht zuletzt den inflationären Gebrauch von Superlativen in Bezug auf Magie und übermächtige Darsteller in diesem Spiel der Götter – denn der deutsche Titel ist durchaus Programm.

Die Handlung des ersten Romans ist in der Tat verworren und vielschichtig, da hinter der Fassade des vordergründigen Eroberungsfeldzuges viele Nebenhandlungen angesiedelt sind, die ineinandergreifen und dem Roman so eine gewisse Vielschichtigkeit verleihen. Den großen Rahmen gibt ein Feldzug des malazanischen Imperiums gegen die letzten freien Städte auf dem Kontinent Genabackis vor. Die Stadt Fahl fällt trotz erbitterter Gegenwehr und trotz der Unterstützung durch die fliegende Festung Mondbrut des fremden Volkes der Tiste Andii nach einer grausamen Schlacht, die auch vielen Malazanern das Leben kostet. Nun richtet sich der Blick des Imperiums und seiner Herrscherin, der Imperatrix Laseen, auf das weiter südlich gelegene Darujhistan.
Die Herrscherin sich einige Jahre zuvor an die Macht geputscht und den alten Imperator Kellanved, den Begründer des Reiches, beseitigt. Nun sieht sie die Gelegenheit, dessen letzte Getreue zu eliminieren. Die Brückenverbrenner, eine Eliteeinheit der malazanischen Armee, wird vor den Toren Fahls fast vollständig vernichtet. Nur wenige Mitglieder der ehemals stolzen Truppe überleben und wittern eine Verschwörung gegen sich und die übrigen Anhänger des alten Imperators. Sie geraten zwischen die Fronten eines grausamen Ränkespiels zwischen den Granden des Imperiums, in dem sie sich entscheiden und ihre Loyalität unter Beweis stellen müssen. Denn die Eroberung Darujhistans steht nun unmittelbar bevor, und so werden die Brückenverbrenner unter Führung ihres Sergeanten Elster damit betraut, die Stadt zu unterwandern und auf diese Weise unter die Kontrolle des Imperiums zu bringen. Doch andere Parteien, unter ihnen die Tiste Andii, wollen dies auf alle Fälle verhindern. Und während sich in Darujhistan ein Bandenkrieg zusammenbraut, holt das Imperium außerhalb der Stadtmauern bereits zum nächsten Schlag aus…

Die politischen Machspielchen ziehen bald weite Kreise und rufen andere Mächte auf den Plan. Die Motive der einzelnen Beteiligten sind nicht leicht zu durchschauen, und es ist schwer zu sagen, welche geheimen Bündnisse und Übereinkünfte getroffen wurden oder noch getroffen werden, damit die einzelnen beteiligten Parteien ihre Ziele durchsetzen können.

Einer der wichtigsten Beteiligten, an dessen Beispiel sich viel über Eriksons generellen Umgang mit seinen fremden Völkern und deren Magie erklären lässt, ist Anomander Rake, den Kommandant der schwebenden Festung Mondbrut. Er ist der Anführer des schwarzhäutigen Volkes der Tiste Andii, der zu einer Art Gottheit aufgestiegen ist (das Konzept des Aufsteigens zieht sich wie ein roter Faden durch die Bücher). Sein Volk sieht sich als Kinder der Mutter Dunkelheit (nicht im Sinne von „böse“) und ist mit dem Gewirr Kurald Galain verbunden, einer Art Parallelwelt, die sich einem „Element“ – in diesem Falle der Dunkelheit - zuordnen lässt. Von diesen Parallelwelten gibt es eine ganze Menge, und jede entspricht einer anderen „Urgewalt“, so etwa Licht, Feuer oder Eis. Sie scheinen zugleich die Quellen der Magie zu sein und mit einem bestimmten Volk in Verbindung zu stehen, von denen es eine große Zahl in Eriksons Universum gibt. Mit diesem einerseits verworren und detailliert ausgearbeiteten, andererseits kategorisierend und in meinen Augen stellenweise übertrieben wirkenden System muss man sich anfreunden können, wenn man seinen Spaß mit Erikson haben will.

Fliegende Festungen, die mit Massenvernichtungswaffen bestückt sind, Götter, die vom Himmel herabsteigen und Tote wieder zum Leben erwecken, Dämonenhäuser, die binnen kürzester Zeit aus einem Samen wachsen, Welten verbinden und gottgleiche Ungetüme verschlingen, Magier, die sich in Drachen verwandeln können, Armeen wandelnder Toter – all das sind Elemente, die in Eriksons Welt fast selbstverständlich erscheinen.
Diese Herangehensweise beeindruckt vor allem durch ihr Ausmaß (oder auch nicht), lässt das Nötige an Subtilität und gedanklicher Tiefe aber bisweilen vermissen. Stattdessen hat man den Eindruck, als wolle Erikson stets noch einen Superlativ obendrauf setzen, stets ein noch mächtigeres Wesen einführen. So wirkt es oftmals so, als seien die namensgebenden Götter dieses „Spiels“ in Wirklichkeit Götter aus der Maschine. Diese Herangehensweise mutet gigantomanisch an, das lässt sich kaum leugnen.
Erikson gab als eines seiner Vorbilder die Ilias des griechischen Dichters Homer an, und in der Tat wirkt es so, als wolle er antike Helden- und Göttersagen auf eine Fantasywelt projizieren – und zwar nicht mit m kritischen Augen eines heute lebenden Menschen, der vieles in Frage stellt und nach dem wahren Kern sucht, sondern als jemand, der voll und ganz in die durchaus gewaltige Mythen- und Sagenwelt involviert ist. Leider hat das zur Folge, dass die Welt häufig surreal anmutet und kaum greifbar erscheint.

Dafür versteht sich Erikson darauf, Spannung aufzubauen und neugierig zu machen, strapaziert die Geduld des Lesers bisweilen bis ans Äußerste. Er liebt es, Rätsel einzustreuen und den Leser daran knabbern zu lassen. Die Hintergründe muss man sich in all ihrer Breite selbst erschließen. Das kann sich durchaus lohnen, da sie wirklich gut durchdacht, groß angelegt und mit vielen stimmigen Details versehen ist. In den folgenden Romanen erhält man einen immer tieferen Einblick und erkennt, dass Erikson in dieser Hinsicht in anderen Größenordnungen denkt als viele seiner Kollegen. Die geographischen, vor allem aber die geschichtlichen Dimensionen sind durchaus beeindruckend und lassen erkennen, dass der Autor Archäologie studiert hat.

Auch die Sprache, derer sich Erikson bedient, hat ihre Stärken und Schwächen. Es gelingt ihm, große Ereignisse bildgewaltig und in schillernden Farben zu schildern, während er sich mit den leiseren Tönen manchmal schwerer tut. Einige Szenen, die zur Überleitungen dienen und in denen wenig passiert, fallen im Vergleich zu diesen Spektakeln deutlich ab. Man gewinnt den Eindruck, als habe er hier abkürzen wollen und wenig Motivation an den Tag gelegt. Schade, denn Erikson kann eindeutig mehr.

Die Charaktere sind allesamt in Grautönen gehalten. Und das bezieht sich nicht nur auf ihre Gesinnung, sondern auch darauf, dass viele von ihnen noch eher farblos bleiben und augenscheinlich nur dazu dienen, dem Leser einen Blick auf andere Nebenschauplätze zu ermöglichen. Vor allem zwei Dinge sind es, die den Zugang zu ihnen und damit auch zum Buch an sich enorm erschweren: Zum einen der Perspektivwechsel, der in einer überaus hohen Frequenz stattfindet und Erikson oftmals einfach nicht die Zeit lässt, sich intensiver mit den jeweiligen Personen zu befassen. Zum anderen scheut er anscheinend genau davor zurück, denn in längeren Passagen, die aus der Sicht eines Protagonisten geschrieben sind, vermeidet er es – gewollt oder ungewollt – in das Innenleben seiner Protagonisten einzudringen. Zwar beschreibt er oft ihre umfangreichen inneren Monologe, doch eine indirekte Charakterisierung findet dadurch nur selten statt. Persönliche Meinungen, Erinnerungen, Anspielungen auf Gewohnheiten oder gar Ansätze von Selbstreflexion sucht man oft vergebens. Und auch eine direkte Charakterisierung durch andere Personen bleibt aus. Selten kommt es vor, dass man mitbekommt, wie sich ein Soldat Gedanken über seinen Kameraden macht, der ebenfalls zu den vermeintlichen Hauptpersonen zählt. Ansatzpunkte sind durchaus vorhanden, doch Erikson reduziert die Interaktionen zwischen den Charakteren meist stark, beschränkt sich vor allem auf die Dialoge und reißt die emotionale Ebene nur vorsichtig an. Das ist schade, denn einige Personen wirken in der Tat sehr interessant. So hat man jedoch das Gefühl, dass Erikson sein durchaus vorhandenes Potential nicht voll und ganz ausschöpft.

Wird das Buch nun Glen Cooks großen Worten gerecht? Ja und nein. Denn Erikson beweist in seinem Auftaktroman zwar, dass sich darauf versteht, breit angelegte und vielschichtig aufgebaute Werke zu schreiben, die in einer Welt enormen (hier aber bislang nur rudimentär erkennbaren) Ausmaßes spielen, doch noch wirkt vieles eher planlos. Und wo der eine epische Tiefe erkennen mag, sieht der andere vor allem ein Feuerwerk von Effekten, das davon ablenken soll, dass emotionaler und gedanklicher Tiefgang dieses Werkes noch Luft nach oben lassen. Das Buch regt zum Nachdenken an, doch vor allem über den weiteren Verlauf der komplexen und verworrenen Handlung und weniger über generelle Dinge, die sich auch auf unsere Welt übertragen ließen. So breit angelegt und gut durchdacht Eriksons Handlung mitsamt der Jahrtausende umfassenden Vorgeschichte auch sein mag, und so sehr sein Erzählstil den Leser auch (gewollt oder ungewollt) zum Mitdenken zwingt – es wird schwer, allein daraus ein Kriterium für den geistigen Anspruch seiner Serie abzuleiten.
Und nicht zuletzt sollte man bedenken, dass Erikson die Chronicles of the Black Company-Romane zu seinen Vorbildern zählt und Cooks Zitat auf dem Cover vielleicht auch als Dank dafür gedacht ist, dieser Serie wieder zu mehr Bekanntheit verholfen zu haben.

Was ist Eriksons Werk nun? Der Maßstab für epische Fantasy schlechthin oder ein gewaltiges Blendwerk, das eher mit Quantität als mit Qualität überzeugen kann? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Mit seinem Auftaktroman präsentiert Erikson den Lesern ein Werk voller Ideen – viele gute, aber auch einige eher platte -, das zu unterhalten weiß und neugierig auf mehr macht, wenn man die anfängliche Durststrecke von gut 300 überwunden sich damit abgefunden hat, dass man zu Beginn nur die Hälfte aller Anspielungen verstehen kann. Denn Erikson macht sich einen Spaß daraus, dem Leser Informationen vorzuenthalten oder an völlig unerwarteter Stelle zu präsentieren, so dass man sie zum Teil gar nicht richtig einordnen kann. Diese Geheimniskrämerei wirkt teilweise gezwungen und nicht immer logisch, da man als Leser den Eindruck gewinnen kann, der Autor mache einen Weg um Enthüllungen, die nun eigentlich folgen müssten, weil er den Leser weiterhin zappeln lassen will.

Wer dieser Vorgehensweise nicht viel abgewinnen kann, braucht dennoch nicht davor zurückzuscheuen, die Folgebände zu lesen, denn Erikson scheint aus seinen Fehlern gelernt zu haben. Zwar gewinnen viele Charaktere auch im zweiten und dritten deutschen Roman (die dem geteilten zweiten Band der Originalausgabe entsprechen) nur langsam an Farbe und Konturen, und noch immer vertröstet Erikson den Leser mit ausbleibenden Erklärungen, doch insgesamt wirken die Folgebände in sich wesentlich schlüssiger und weitaus weniger sprunghaft als dieser erste Teil. Wer hingegen von Anfang an mit Eriksons Hang zur Gigantomanie zu kämpfen hatte und auf den die Welt mit all ihrer Magie und den fremdartigen Kreaturen überladen wirkt, der wird es auch in den nachfolgenden Romanen nicht leichter haben.


Fazit

Insgesamt ist "Die Gärten des Mondes" ein durchaus ambitionierter Versuch, Fantasy in neue Bahnen zu lenken, der allerdings noch an verschiedenen Kinderkrankheiten leidet. Erikson schöpft aus dem Vollen und verarbeitet zahlreiche ungewöhnliche Ideen, übertreibt es damit andererseits aber auch des Öfteren. Manchmal ist weniger einfach mehr. Doch auch Erikson ist lernfähig und steigert sich, und so kann man es bei ihm getrost auf einen zweiten Versuch ankommen lassen, ehe man sich ein Urteil erlaubt.


Wertung:

Charaktere 3/5
Handlung: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5


Dies ist eine Rezension von Mithras aus dem Fantasy-Forum - herzlichen Dank!


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