Ferne Tochter (Renate Ahrens)

Knaur, 1. Auflage Oktober 2012
Taschenbuch, 288 Seiten
€ 9,99 [D] | € 10,30 [A]
ISBN: 978-3-426-51093-3
Leseprobe

Genre: Belletristik


Über das Buch:

Der Anruf dauert höchstens drei Minuten, doch er verändert alles. Das neue Leben, das Judith sich in Rom aufgebaut hat, gerät ins Wanken. Sie wird eingeholt von dem, was sie vor zwanzig Jahren, nach einer verhängnisvollen Entscheidung, hinter sich gelassen hat – Hamburg, die Eltern, ihre Jugendliebe.

In Rom arbeitet Judith als Restauratorin von Fresken der Renaissance; Engel sind ihre Spezialität. Mit Francesco führt sie eine glückliche Ehe, nur Kinder sind ihnen versagt geblieben. Von ihrem früheren Leben ahnt er nichts. So hatte es bleiben sollen. Nie mehr, das hatte Judith sich geschworen, wollte sie nach Hamburg zurückkehren.
Aber jetzt muss sie zurück, muss sich ihrer Vergangenheit stellen – dem Tod des Vaters, der kranken Mutter und dem Menschen, an den sie die letzten zwanzig Jahre jeden Tag gedacht hat. Wie soll sie ihrem Mann erklären, dass ihr gemeinsames Leben auf einer Lüge basiert?


Rezension:

Jeden Tag denkt Judith an das Leben, das sie vor Rom geführt hat. Jeden Tag beschäftigt sie sich mit den Menschen, die sie bei ihrem Weggang vor zwanzig Jahren in Hamburg zurückgelassen hat. Und jeden Tag ist sie sicher, damals den einzig richtigen Schritt gemacht zu haben. Sie bereut keine ihrer Entscheidungen und genießt ihr Leben in Rom, ihre Ehe mit Francesco, ihre Arbeit als Restauratorin. Die Gedanken an ihre Vergangenheit beschäftigen sie, schränken sie jedoch nicht in ihrem Leben ein. Bis zu dem Tag, an dem der Anruf einer alten Freundin sie völlig aus dem Gleichgewicht bringt. Denn Judith wird durch ihn nicht nur von ihrer Vergangenheit eingeholt, sondern muss auch um ihre Gegenwart und Zukunft in Rom bangen – denn ihr Mann weiß nichts von ihrer Vergangenheit in Hamburg. Oder zumindest kennt er nicht die wahre Geschichte, und da ihm Familie über alles geht, gäbe es einen riesigen Vertrauensbruch, sollte Francesco jemals die Wahrheit erfahren. Judiths Gegenwart beruht auf einem Lügengebilde, das durch diesen einen Anruf mächtig ins Wanken gerät, und für Judith steht nicht nur ihre Ehe auf dem Spiel. Denn ihre Vergangenheit birgt mehr Geheimnisse als nur eine falsche Geschichte über ihr Elternhaus …

Klappentext und Titel verraten schon vor Beginn der Lektüre recht deutlich, was den Leser erwartet. Und tatsächlich hält Ferne Tochter nicht viel bereit, das für Überraschung sorgt. Renate Ahrens trumpft vor allem durch sehr detailreiche Beschreibungen der beiden Schauplätze auf, mit liebevollen Kleinigkeiten bringt sie dem Leser sowohl Rom als auch Hamburg so nahe, dass man während des Lesens fast das Gefühl bekommt, selbst vor Ort zu sein. Wenn man ohnehin schon Ortskenntnisse hat und die jeweiligen Plätze oder Gegenden tatsächlich kennt, bekommt der Roman eine besondere Intensität, wodurch es dem Leser leichter fällt, sich in die Gedanken der Protagonistin hineinzuversetzen. Die Autorin hat allerdings auch sehr spezielle und für die jeweilige Stadt typische Gegenden ausgesucht, was bei dem einen oder anderen wohl auch die Reiselust weckt, um auf den Spuren der erzählten Geschichte zu wandeln.
Sprachlich bewegt sich Renate Ahrens dabei auf sehr sicherem Terrain, es gibt keine nennenswerten Auffälligkeiten in ihrem Stil – sie bleibt schlicht und verständlich, was den an sich schwierigen Stoff des Romans sicherlich unterstreicht und ihm zugute kommt. Allerdings würde ein kleines Wortspiel oder eine sprachliche Besonderheit an der einen oder anderen Stelle auflockernd wirken; so bleibt Ferne Tochter weitestgehend einseitig und kann leider auch auf sprachlichem Niveau nicht viel Neues oder Spannendes bieten.
Dazu kommt, dass die Geschichte inhaltlich sehr viele Möglichkeiten hätte, die von Renate Ahrens jedoch nur zu einem kleinen Bruchteil genutzt werden. So bleiben die Hintergründe nur angerissen und auch einige der Charaktere, die in Judiths Vergangenheit eine große Rolle gespielt haben müssen, bekommen nicht die Chance, dem Leser ihre Version der Story zu erzählen. Vieles wird lediglich kurz angesprochen, selbst die Ferne Tochter bleibt nur oberflächlich, obwohl sie für die gegenwärtige Situation mitverantwortlich ist. Dadurch geht für den Leser einiges verloren, manche Fragen bleiben auch nach Ende des Buches offen und man fragt sich, ob es einen eigenständigen Roman für die Vorgeschichte geben wird oder man als Leser einfach damit leben muss.

Als Gesamtwerk betrachtet kann Renate Ahrens mit ihrem Roman sicherlich kurzweilig unterhalten. Die einfach gehaltene Sprache macht ein schnelles und durchgängiges Lesen leicht, die Story selbst bietet viele Momente zum Nachdenken, doch das Nachhallen der offenen Fragen übertüncht eigentlich die meisten wenigstens teilweise aufgeklärten Punkte. Die Grundidee bietet viel mehr Potential, als von der Autorin letztendlich umgesetzt wurde, was schade ist, denn dieser Roman hätte gerne noch hundert oder zweihundert Seiten mehr haben dürfen, wenn dadurch alle Charaktere und wichtigen Hintergründe ihre Chance gehabt hätten, sich voll und frei zu entfalten. Vielleicht nimmt sich Renate Ahrens beim nächsten Roman etwas mehr Zeit und Platz zum Ausarbeiten weiterer Einzelheiten.


Fazit:

Ferne Tochter beinhaltet eine eigentlich sehr komplexe Geschichte, der die wenigen Seiten nicht wirklich gerecht werden können. Vieles wird von Renate Ahrens leider nur angeschnitten, dürfte aber aus Sicht des Lesers gerne näher betrachtet und umschrieben werden, um auch ausreichende Erklärungen und Hintergründe zu liefern. Angerissene Charaktere verblassen in der Erinnerung, was zur Geschichte passt, den Leser jedoch nicht wirklich zufrieden stellt. Die Botschaft des Buches kommt trotzdem rüber: Dass Verzeihen nicht immer leicht, das Leben für jahr(zehnt)elangen Groll aber zu kurz ist.


Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5