Der Duft von Erde und Zitronen (Margherita Oggero)



Deutsche Verlags-Anstalt
gebunden, mit Schutzumschlag
312 Seiten; 19,99 EUR
ISBN: 978-3421045539

Genre: Belletristik

Klappentext

Ein Mädchen in einem Versteck – ein Fenster in die Welt – ein Buch, mit dem das Leben beginnt.

Wie eine Gefangene lebt Imma in der Wohnung ihrer Tante im Norden Italiens, weit weg von ihrem Heimatdorf bei Neapel. Die Dreizehnjährige ist in großer Gefahr und muss sich verstecken. Doch ihr Wunsch nach Freiheit wird immer größer, bis sie sich schließlich stundenweise hinausschleichen kann und den jungen Buchhändler Paolo kennenlernt. Seine Bücher eröffnen Imma eine neue Welt und geben ihr den Mut, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.


Rezension

„Der Duft von Erde und Zitronen“ – das ist der Duft von Immas Mutter. Immas Mutter, die ihre Ehe mit einem fröhlichen Taugenichts so unglücklich gemacht hat, dass sie sich schließlich wie eine Schlafwandlerin von einem Auto überfahren ließ. Immas Mutter, die nicht da sein kann, um ihrer Tochter in höchster Gefahr beizustehen – und die doch immer dabei ist, unsichtbar, aber deutlich zu spüren. Nicht nur für Imma, auch für den Leser funktioniert sie wie ein Bindeglied, zwischen verschiedenen Geschichten, verschiedenen Zeiten, verschiedenen Orten, deren Zusammenhänge man erst nach und nach versteht.

Einer der wichtigsten Orte ist Immas neapolitanisches Heimatdorf. Von hierher stammt der Duft der Erde und der verwilderten Zitronenbäume, aus einem urwüchsigen, traditionellen Italien, wie es sich die Touristen erträumen. Aber darunter liegt ein anderer Geruch; süßlich, metallisch, nichts für Touristennasen. Blut fließt unter den Zitronenbäumen, sickert in die Erde, nicht nur einmal, sondern beinahe regelmäßig. Denn die Menschen in Immas Heimat beherrschen ihr Schicksal nicht selbst; sie werden beherrscht, notfalls mit Gewalt. Von den Männern mit den schicken Autos und den teuren Häusern, den „ehrenwerten Geschäftsleuten“, die alle Fäden in der Hand halten und gehorsames Schweigen fordern dafür, dass sie nicht zu heftig an ihnen reißen. Ihre Macht dringt in alle Lebensbereiche, in allen Familien. Sie verjagt Imma aus ihrem vertrauten Zuhause, lässt sie zu einem Flüchtling werden im eigenen Land. So lange, bis es ihr gelingt, die lähmende Angst zu besiegen.

Indem sie Immas Geschichte und die Geschichte ihrer Familie erzählt, gelingt der Autorin Margherita Oggero etwas Seltenes: Sie macht fühlbar, begreifbar, was zumindest für die deutschen Leser sehr fremd ist. Die Mafia ist für die meisten Deutschen etwas, von dem Spielfilme handeln, vielleicht gelegentlich die Abendnachrichten. Etwas weit Entferntes, beinahe Mystisches, das oft genug romantisch verklärt wird. Wie man tatsächlich mit ihr, unter ihr, lebt, jeden Tag, ein ganzes Leben lang – das ist kaum vorstellbar. Oggero zeigt es uns, in wunderbaren kleinen Bildern und Szenen; zeigt uns, wie man sich an das Verbrechen und seine Macht gewöhnt, wie es zu einem fast normalen Bestandteil des Alltags wird. Ein Staat im Staat, ein Gesetz neben dem Gesetz, manchmal nützlich, immer gefährlich und niemals außer acht zu lassen …

Oggero erzählt uns vom Leben unter solchen Umständen, aus ganz verschiedenen Perspektiven, und obwohl die Mafia das große Hintergrundthema des Buches ist, verliert die Autorin doch nie ihre Figuren darüber aus den Augen. Sie zeichnet sie sorgfältig und liebevoll, mit viel Verständnis für menschliche Schwächen und Bedürfnisse, aber ohne jeden Sozialkitsch. Jede Figur hat dabei ihre ganz eigene Geschichte, die immer spürbar ist, selbst, wenn sie nur angedeutet wird; und alle Einzelgeschichten stehen miteinander in Beziehung. So entsteht ein sehr dichtes Geflecht, dessen Fäden am Anfang nicht immer leicht zu verfolgen sind. Vor allem die vielen italienischen Namen, die für deutsche Ohren oft ähnlich klingen, sind die ersten 50 Seiten über eine Herausforderung. Aber je weiter man liest, je mehr man von den Personen und ihren Geschichten erfährt, desto deutlicher grenzen sie sich voneinander ab, so dass relativ schnell keine Verwechslungsgefahr mehr besteht. Bald folgt man jedem der Geschichtenstränge quasi atemlos, denn jeder ist spannend und anrührend. Man feiert und weint mit den Figuren, sie werden wie Nachbarn, die seit 20 Jahren nebenan wohnen; Menschen, von denen man vielleicht nicht alles weiß, aber doch alles Wichtige ahnt. Und man kann nicht anders, als ihnen allen sehnlich den Mut zu wünschen, den Imma, der Teenager, schließlich aufbringt, als sie sich gegen die „ehrenwerte Gesellschaft“ stellt.


Fazit

„Der Duft von Erde und Zitronen“ von Margherita Oggero ist ein fesselndes, sehr menschliches Buch, das in zarten Bildern von der Liebe und vom Leben unter der Mafia erzählt – und davon, wie man die Freiheit wiedererlangt, die durch Angst und Gewalt genommen wurde. Unbedingt empfehlenswert, nicht nur für Italienfans!


Pro und Kontra

+ wunderbar zart und doch bodenständig geschrieben
+ sehr lebendige Figuren
+ psychologisch präzise konstruiert
+ anrührend, aber nie melodramatisch
+ spannend!!!

Wertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Sprache: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5