Die mechanische Welt (Andreae)

die mechanische welt

Splitter-Verlag (März 2010)
Hardcover mit Schutzumschlag: 144 Seiten, 19,80 €
ISBN: 978-3-86869-108-5

Genre: Science Fiction


Klappentext

"Aufgepeitscht von Cocktails und vom Tanzen schien sich jeder zu Ausgelassenheit zwingen zu wollen. Da dies nicht gelang, wurden sie noch verbissener, tanzten noch wilder, tranken noch mehr. Stunden später war das Fest in ein großes Spektakel ausgeartet, einen zynischen, bedrohlichen Mummenschanz."

Auf der Mekaton, einem riesigen Ozeandampfer, ist das Leben der Passagiere ein nicht enden wollendes Fest; keiner denkt an morgen. Da beschließt Phileon, nicht länger mitzuspielen und die Welt draußen zu erforschen. Doch damit zieht er sich die Feindschaft der anderen zu, und plötzlich gilt er als gefährlicher Verbrecher...


Der Autor

Jean- Baptiste Andreae, Jahrgang 1964, studierte an der Kunstakademie Bordeaux Werbegrafik. 1993 startete er zusammen mit dem Szenaristen Mathieu Gallie die Trilogie "Mangecoeur" (deutsch: "Herzfresser", bei Splitter (alt))- die auf Anhieb Aufsehen erregte. Der erste Band erhielt den Prix du Lion in Brüssel, den Prix de Dessin in Sierre und den Alph' Art Jeunesse in Angouleme 1995. Ebenfalls mit Gallie schuf er das zweibändige Werk "Wendigo" eine Indianerlegende.


Rezension

Wie würde das Leben der Menschen wohl aussehen, wenn alles, was als alltäglich gilt, - Städte, Dörfer, Geschäfte, sogar Geld- auf einen Schlag nicht mehr existieren würde? Jean- Baptiste Andreae, der für Die mechanische Welt sowohl als Zeichner als auch als Autor die Verantwortung übernimmt, zeigt eine Möglichkeit auf, wie die Welt der "Menschen" eines Tages aussehen könnte. Ein riesiges Schiff, eine atemberaubende Feier, kein Schmerz und niemand wird von lästigen Sorgen geplagt. Ein Paradies möchte man meinen. Doch der schöne Schein ist trügerisch und verbirgt die eigentliche Gefahr, von der die Passagiere nichts wissen. In Wirklichkeit ist die Mekaton, jenes riesige Schiff, ein gut getarntes Gefängnis, das seine Insassen, in Person des Oberbefehlshabers Feinvogel, welcher eine Kreuzung aus Mensch und Adler ist, in allen Belangen zu kontrollieren weiß. Den Passagieren, nicht nur Menschen, sondern auch Tieren, Robotern und anderen Wesen ist es untersagt, die Feierlichkeiten zu unterbrechen oder den Dampfer zu verlassen. Eine Diktatur, gepaart mit einer riesigen Portion Gehirnwäsche, sorgt dafür, dass fast alle diesen Regeln unterworfen sind. Nur Phileon, ein Wesen bestehend aus Mensch und Rhinozeros, möchte nicht mehr sklavisch den Gesetzen Folge leisten und beschließt das Schiff zu verlassen. Doch er ist nicht allein. Miss Edmee und Bruno, Mutter und Sohn, schließen sich mehr oder weniger freiwillig Phileons Vorhaben an und schaffen es tatsächlich an "Land" zu gelangen. Doch geschieht dies natürlich nicht unbemerkt. Feinvogel sendet eine Gruppe von Söldnern aus, die die Verfolgung der kleinen Gruppe aufnehmen soll. Auf ihrer Flucht lernen sie nicht nur das harte Leben außerhalb des Schutzes eines großen Schiffes kennen, sondern auch eine Gruppe von Menschen, der sie sich anschließen und so sogar in eine riesige Roboterstadt, Mechapolis, gelangen. In Mechapolis erwartet sie eine Überraschung, mit der sie in der Form nicht gerechnet hätten.

Die mechanische Welt überrascht den Leser mit vielen, neuen Wesen, bei denen man meist erahnen kann, welcher Seite sie angehören wollen. Auf der einen sind Phileon und seine Freunde, die dem determinierten Handlungsablauf für ein besseres Leben durchbrechen möchten; auf der anderen finden sich die Gegenspieler wie Feinvogel, die dem Gesetz treu bleiben und es mit aller Härte durchsetzen. Jeder Charakter basiert auf bestimmten menschlichen Eigenschaften, die alle gebündelt auf einem Schiff zu finden sind. Andreae erzählt eine solide Geschichte, die gut nachvollziehbar ist und der rote Faden ist jeder Zeit sichtbar. Auch die Situationswechsel zwischen Phileon und Feinvogel gelingen, sodass der Leser beide Handlungsstränge miteinander in Verbindung setzen kann. Phileon und seine Freunde entführen uns in eine Phantasie-Welt, die bei näherer Betrachtung nicht so realitätsfern ist, wie man vielleicht zunächst glauben mag. Motive und Handlungen sind nachvollziehbar, denn es wird deutlich, dass sich Phileon ein anderes, freies Leben wünscht und Feinvogel derjenige ist, der außer seinen Regeln und Gesetzen nichts hat. Die Menschen, auf die die Protagonisten treffen, stellen den Selbsterhaltungstrieb des Menschen dar und gleichzeitig wird deutlich, welche Schwierigkeiten daraus resultieren. Mechapolis ist eine futuristisch gestaltete Metropole, die faszinierend und erschreckend zugleich wirkt. Roboter und Menschen leben hier Hand in Hand; nicht nur in Feindschaft. Alles in allem ist der Comic sehr lehrreich, phantasievoll und dank seiner Charaktere äußerst sympathisch.

Leider gibt es auch hier einige Dinge, die nicht ganz gelungen sind. Die Geschichte wird in drei verschiedenen Bänden erzählt, die zwar einen fließenden Übergang bilden, trotzdem etwas zu abgehackt wirken. Ein ums andere mal wären einige Seiten an Handlung und Hintergrundinformationen besser gewesen. Beim Beenden des Comics hat man das Gefühl alles verstanden zu haben, im Nachhinein treten jedoch Lücken auf, die leider nicht gefüllt werden. Die auftretenden Charaktere, egal ob gut oder böse, sind in ihrem Wesen nachvollziehbar, aber dennoch Rohdiamanten, an denen man etwas mehr Schleifarbeit hätte vornehmen müssen. Man erfährt nicht allzu viel aus ihrer Vergangenheit, so bleibt oftmals unklar warum sie sind, wie sie sind. Darüber hinaus ist die Geschichte relativ einfach konstruiert. Die Handlungen bauen aufeinander auf, zeigen  nicht viel Tiefe. Die Geschehnisse werden sehr oberflächlich behandelt und laufen als zu schneller Film vor dem geistigen Auge ab. Das Szenario rund um das Schiff und die Welt außerhalb des Dampfers zeigt ein ungeheuer großes Pensum an Möglichkeiten sowohl Verlauf als auch Charaktere auszubauen, doch leider schöpft Andreae nicht genügend aus diesem Topf und erzählt nur das Nötigste, um die Geschichte plausibel zu machen.

Anders als die fehlenden Hintergründe in der Geschichte als Ganzes, heben die Zeichnungen den Gesamtband wieder auf höchstes Niveau. Sie sind einfallsreich, phantasievoll, fantastisch und bei jedem Wesen, egal wie es auch aussehen mag, sehr realistisch. Jede Zeichnung hat eine Geschichte zu erzählen, die einen kleinen Baustein für den Gesamtverlauf bildet. Die Panels sind nicht klassisch, sondern individuell gestaltet, sodass der Leser spüren kann, wie viel Energie und Liebe der Zeichner in sie gesteckt hat. Die Farben sind sehr kräftig und melancholisch zugleich; die Zeichnungen jeder Situation angepasst und größtenteils für den Handlungsablauf verantwortlich.


Fazit

Die mechanische Welt ist eine individuelle, sympathische Antwort auf Fragen, die sich auf die Zukunft der Menschheit beziehen. Liebevoll gestaltete Zeichnungen und eine solide Geschichte entführen den Leser in eine vielleicht nicht ganz abwegige Welt.


Pro/Contra

+ innovative und detaillierte Zeichnungen
+ individuelle Antwort auf Zukunftsfragen
+ melancholisch und dynamisch

- wenig Hintergrundinformationen

Bewertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Zeichnungen: 5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5