Schmetterling aus Staub (Anna Palm)

Schwarzkopf & Schwarzkopf
Hardcover, 336 Seiten, 14,95 EUR
ISBN: 978-3-86265-251-8

Genre: Dystopie


Klappentext

Die Stadt, in der die 16-jährige Mika lebt, gleicht dem Paradies: Blumen blühen überall, die Menschen lächeln einander freundlich an und die Sonne scheint 365 Tage im Jahr. Dennoch ist Mika nicht glücklich. Seit sie vor acht Jahren am staatlich angeordneten Persönlichkeitstest teilnehmen musste, ahnt sie, dass die Realität außerhalb von Seelenheide ganz anders aussieht, als sie das Fernsehen glauben machen will.

Ihre Vermutung bestätigt sich, als eines Tages ein fremder Junge auf der Mauer in ihrem Garten sitzt. Aaron gehört zu den »Risi¬kos«, die als Kinder von ihren Eltern getrennt werden, weil sie sich zu Freidenkern entwickeln könnten. Die Regierung hat Angst vor ihnen, nennt sie Verbrecher – und sperrt sie ein. Aaron konnte fliehen und will nun das System stürzen, das ihn und Tausende andere aussortiert hat.

Mika ist vom ersten Moment an fasziniert von Aaron und begibt sich mit ihm auf die gefährliche Mission. Doch schon bald muss sie sich nicht nur mit Kopfgeldjägern auseinandersetzen, sondern auch mit Janna, die bei dem Test zum »Machtmenschen« erkoren wurde.


Rezension

Als die achtjährige Mika bei der Selektion antreten muss, ahnt sie schon, dass die Welt nicht so friedlich ist wie ihrer Heimat Seelenheide – denn dort leben nur Harmoniemenschen, die vom System wegen ihrer ruhigen Charaktereigenschaften zusammengeführt werden. Sie sind ruhig und ausgeglichen, bestellen Felder, backen Kuchen und unternehmen harmlose Aktivitäten. Mika ist anders, doch sie will von ihren Eltern nicht getrennt werden und gibt daher vor, alles Harmonische zu lieben. Wie durch ein Wunder kommt sie damit bei der Selektion durch und führt fortan das Leben eines Harmoniemädchens. Doch unter ihrer Oberfläche brodelt es – und schließlich bricht sie aus, als der Risikojunge Aaron auftaucht und ihr die Welt jenseits der symbolischen Mauern um Seelenheide zeigt. Ganz freiwillig begleitet ihn Mika jedoch zunächst nicht …

Aaron wurde bei der Selektion als „Risiko“ aussortiert und hat seine Jugend in Sturmbruch verbracht, wo die Risikomenschen nach Geschlechtern getrennt leben – um keine Risikonachkommen zu zeugen. Passiert es trotzdem einmal, geht der Staat massiv gegen schwangere Frauen vor. Das geht soweit, dass das Militär einer Schwangeren in den Bauch tritt und so ihr Kind tötet. Der ohnehin schon als Risiko eingestufte Aaron lässt diese grausame Welt hinter sich, um den Diktator Alemanias, Caesar, zu stürzen. Dabei hat er den Plan gefasst, dass ihm eine Revolution gelingen sollte, indem er von jeder Gruppe einen Mitstreiter rekrutiert: er als Risiko, dazu Macht, Harmonie und Ehrgeiz.

Anna Palms Dystopie basiert auf einer strikte Trennung verschiedener Charaktereigenschaften. Dabei gibt es nur vier Gruppen von Menschen, wobei jede einzelne ihr zugeordnetes Merkmal übertrieben auszuleben scheint. Die Harmoniemenschen sind träge und stets lächelnde Pfannkuchenesser, die Machtmenschen zerfleischen sich gegenseitig mit Worten, während die Risikomenschen rohe Gewalt anwenden. Die Ehrgeizmenschen sind hingegen Nerds, die nur für die Wissenschaft leben und denen ein soziales Umfeld fremd ist. Mika hat es mit der Zuteilung zu den Harmoniemenschen eigentlich gut getroffen. Sie lebt in einer glücklichen Familie, die sie sehr liebt und sie das auch spüren lässt. Einzig ihrer Adoptivschwester fällt es schwer zu lächeln, immerhin wurde sie bei der Selektion von ihren leiblichen Eltern getrennt.

Das oftmals traurige Gesicht ihrer Schwester bestätigt Mika in ihrer Überzeugung, dass das Gesellschaftssystem schlecht ist. Außerdem kann sie nicht sie selbst sein, muss ihr aufbrausendes Temperament unterdrücken und bei den psychologischen Untersuchungen lügen. Denn sie will für ihre Eltern ein Harmoniemädchen sein und hat zusätzlich große Angst davor, nach Sturmbruch verbannt zu werden. In ihrer Vorstellung ist dies nämlich die Hölle auf Erden. Vom System werden die Risikomenschen als kinderfressende Barbaren dargestellt und weitere Teile der Bevölkerung sitzen diesem Irrglauben auf. Doch die Risikos sind natürlich nicht so schrecklich, wie sie dargestellt werden. Und auch die anderen Menschen kann man nicht so einfach nach den vier Merkmalen einteilen.

Insgesamt ist der Gesellschaftsentwurf von „Schmetterling aus Staub“ spannend, leidet jedoch unter der unglaubwürdigen Umsetzung. Vieles wirkt übertrieben und unrealistisch: wie die Harmoniemenschen immer vor sich hin lächeln, wie die Ehrgeizmenschen allesamt ausgeprägte Stubenhocker sind und die Machtmenschen rücksichtslose Monster. Erklärungen für dieses extrem auf einzelne Charaktereigenschaften heruntergebrochene Verhalten fehlen leider und so verschenkt „Schmetterling aus Staub“ einiges an Schockpotential, weil man sich eine solche Zukunft einfach nicht vorstellen kann. Als Weltentwurf für einen gesellschaftskritischen Fantasyroman kann man die Selektion jedoch durchgehen lassen – eine gelungene Dystopie setzt dagegen auf das Weiterdenken aktueller Zustände, um dem Leser Bezugspunkte zu liefern. Der Gesellschaftsentwurf in „Schmetterling aus Staub“ scheint dagegen weit hergeholt – und man fragt sich permanent, warum so viele Menschen sich das gefallen lassen. Es wird zwar einmal angedeutet, dass es schon einmal Rebellen gab, aber von diesen liest man danach nichts mehr.

Der Schreibstil ist für eine so junge Autorin ausgesprochen gut, allerdings schwankt die Qualität der Sprache stark. Zwischen vielen sehr gelungenen Passagen finden sich immer wieder zu umgangssprachliche Begriffe und schiefe Vergleiche. Auch ist das Verhalten der Charaktere zu extrem, selbst wenn sie waschechte Risikos oder Harmoniemenschen sind. Jugendliche können die heftigen Emotionsausbrüche und trotzigen Reaktionen vielleicht nachvollziehen, doch erwachsene Leser werden sich damit schwer tun, dass sich die Protagonisten gegenseitig aufs Übelste beschimpfen. Und wieder zusammenfinden. Nach den Bösartigkeiten, die ausgesprochen wurden, kann man einfach kaum glauben, dass diese Personen noch einmal zusammenfinden. Im Finale greift Anna Palm diverse Handlungsfäden nochmals auf, was die Geschichte schön abrundet – der Leser wird mit seinen offenen Fragen nicht allein gelassen. Doch die Antworten sind teilweise haarsträubend, ebenso wie die Tatsache, dass vier Jugendliche in grenzenloser Naivität losziehen, um einen Diktator zur Strecke zu bringen.

Das Hardcover punktet mit einer ansprechenden Gestaltung, die Dystopiefans sofort ins Auge springen dürfte. Der blaue Schmetterling wurde mit einem glänzenden Reliefdruck aufgebracht und auch im Innenteil werden die Kapitel mit dem Schmetterlingsmotiv eingeleitet. Dazu gibt es das qualitativ hochwertige Buch zu einem guten Preis.


Fazit

„Schmetterling aus Staub“ wartet mit einem spannenden Gesellschaftsentwurf auf, der von übertriebenen Reaktionen seitens der Protagonisten und unglaubwürdigen Entwicklungen überschattet wird. Diese Jugenddystopie ist tatsächlich nur für jugendliche Leser geeignet, die die extremen Gefühlsausbrüche und heftigen Dialoge nachvollziehen können. Die dramatische Liebesgeschichte gegen alle gesellschaftlichen Konventionen dürfte junge Leserherzen auf jedem Fall höher schlagen lassen.


Pro & Contra

+ grundsätzlich spannender Gesellschaftsentwurf
+ charakterliche Entwicklung der Protagonisten
+ viele Szenen haben einen gewissen Charme
+ flüssiger Schreibstil mit originellen Formulierungen
+ schöne Gestaltung des Hardcovers

- extrem überzogene Reaktionen der Protagonisten
- sprachliche Patzer
- vieles erscheint zu weit hergeholt
- haarsträubendes Ende

Wertung:

Handlung: 2,5/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3/5


Interview mit Anna Palm (April 2013)

Tags: Jugenddystopie