Die dunklen Gassen des Himmels (Tad Williams)

Klett-Cotta (Juli 2013)
Originaltitel: The Dirty Streets of Heaven
Bobby Dollar Band 1
Hardcover mit Schutzumschlag
576 Seiten, 22,95 EUR
ISBN: 978-3-608-93834-0

Genre: Urban Fantasy


Klappentext

Bobby Dollar ist ein Engel – und als Engel weiß er alles über die Sünden der Menschen. Er ist nämlich Anwalt. Anwalt für die Seelen, um die zwischen Himmel und Hölle gekämpft wird.

Der Auftakt der neuen Trilogie von Tad Williams um Bobby Dollar, die an Spannung und Witz nicht zu überbieten ist.

Interview mit Tad Williams (2013)


Rezension

Bobby Dollar ist ein lausiger Engel, allerdings macht er seinen Job als himmlischer Anwalt gut: Nach dem Tod eines Menschen übernimmt er die Rolle des Verteidigers und führt dem Richter, einem hohen Engel, Beweise für den guten Kern der Seele vor. Doch er hat auch stets einen Gegenspieler: einen höllischen Ankläger, der jede unlautere Tat auf den Tisch bringt, sei sie noch klein. Ziel von Himmel und Hölle ist es, so viele Seelen wir möglich für ihre Seite zu gewinnen. Wer ein guter Mensch war, hat dank Anwaltsengeln wie Bobby nichts zu befürchten, doch manchmal gibt es auch Seelen, die die Hölle verdient haben. Zumindest denkt Bobby so, denn er stellt die himmlische Ordnung in Frage. Doch er hat schon vor Langem gelernt, solche Gedanken für sich zu behalten. 

In seiner Freizeit hängt Bobby gerne in seiner Lieblingsbar, dem Compasses, ab – zusammen mit anderen himmlischen Anwälten, die allesamt so gar nicht ins Bild eines Engels passen. Sie sind eben erdverbunden und genießen die Vorzüge eines menschlichen Körpers. Auch Alkohol und Sex gehören dazu. Die Welt ist irgendwie trotz leiser Zweifel in Ordnung, als Bobbys bester Kumpel Sam einen Anwaltsazubi zugeteilt bekommt. Einen milchgesichtigen Engel, der direkt aus dem Archiv kommt und damit niemals eine Vorbildung genossen hat. Und dann verschwindet plötzlich eine Seele. Sie ist  bei ihrer Verhandlung einfach nicht da, was sogar den höllischen Ankläger aus der Fassung bringt. Dieser wird am Tag danach tot aufgefunden und Bobby in den Himmel berufen, um sich einen mächtigen Anschiss abzuholen. Und dann soll er auch noch einem Höllenfürsten etwas gestohlen haben ...

Die ganze Geschichte ist ein einziger Schlamassel: Bobby Dollar ist eigentlich ein guter Kerl, auch wenn er an den Plänen des Himmels zweifelt. Doch seinen Job hat er bisher immer gut gemacht. Warum will ihm irgendjemand etwas anhängen? Ist es was Persönliches, was nicht verwunderlich wäre, oder ist er einfach ein Bauernopfer? Bobby ist ein typischer Noir-Charakter, samt losem Mundwerk und coolen Aktionen, wenn er beispielsweise Silberkugeln schießend vor einer teuflischen Bestie flieht. Dabei hat er manchmal unglaubliches Glück, allerdings macht es ihn umso sympathischer, dass er verletzbar ist. Denn er gesteht dem Leser oftmals, dass er eine Scheißangst hat. Doch er ist nicht der Typ, der sich verkriecht oder lange nachdenkt. Er muss einfach etwas tun und dieser blinde Aktionismus kostet ihn mehrmals fast den Kopf.

Tad Williams erzählt seinen Roman aus Bobbys Sicht, der die verzwickte Geschichte mit Sarkasmus und Kopfschütteln vorträgt, als würde er sie an der Bar einem Kumpel erzählen. Unterstrichen wird dieser Stil durch diverse Kommentare, die sich direkt an den Leser richten und erklären, wie Himmel und Hölle zusammenhängen, oder dass es für Bobby normal ist, kopflos zu handeln. Spritzige Dialoge runden den coolen Stil perfekt ab. Der Übersetzerin ist es dabei gelungen, den derben Humor ins Deutsche zu übertragen (was gar nicht so einfach ist), sodass das wahnsinnige Leseerlebnis dem Original recht nahekommt. Tad Williams verzichtet diesmal auf seine typischen Ausschweifungen und erzählt die Story locker und rasant. Nahezu jede Szene trägt unmittelbar zur Handlungsentwicklung bei und so kommt man kaum dazu, das Buch einmal zur Seite zu legen.

Die Idee von Himmel und Hölle baut auf christlichen Glaubenselementen auf und wird phantastisch ausgeschmückt: Während die Anwälte als erdverbundene Engel in Menschenkörpern stecken, sind die himmlischen Engel ätherische Wesen, die man in weiblich, männlich oder beides beziehungsweise keins von beidem einteilen kann. Sie sind sprichwörtlich schrecklich schön, ebenso wie die himmlische Stadt, die an einen harmoniedurchtränkten, leuchtenden Garten Eden erinnert. Bobby fühlt sich dort allerdings nicht wirklich wohl. Die höllischen Kreaturen zeigen dafür gerne, woher sie kommen und wie viel Bosheit in ihnen steckt. Schon in menschlicher Gestalt geben sie sich gerne hässlich (oder auch betörend schön, wenn sie jemanden verführen und verderben wollen). Als Ankläger setzen sie auf ein abstoßendes und einschüchterndes Aussehen und sind recht unsympathische Gesellen.

Tad Williams stattet auch seine Nebencharaktere mit individuellen Merkmalen aus, wobei ein paar Gestalten schon extrem skurril sind: Fatback beispielsweise, der von der Hölle beschissen wurde und nun am Tag als Schwein im Menschenkörper lebt und in der Nacht als Mensch im Schweinekörper. Er versorgt Bobby mit wichtigen Informationen, die dem Anwaltsengel auf der Suche nach der Wahrheit das Leben retten könnten. Oder ihn erst auf die richtige Spur bringen. Dann gäbe es da noch Foxy Foxy, einen Albinoasiaten, der wahrscheinlich so etwas wie ein Geist ist – und ein Hehler. Die Gräfin von Coldhands hingegen ist eine finstere Dämonin, die ebenfalls in den Fall mit der verschwundenen Seele verwickelt ist. Obwohl er ein Engel ist, findet Bobby die eiskalte Gräfin verdammt heiß. 

„Die dunklen Gassen des Himmels“ ist als Hardcover von gewohnt hervorragender Qualität erschienen. Klett-Cotta versteht es einfach, schöne Bücher zu machen. Ein Lesebändchen wäre jedoch wünschenswert gewesen. Und preislich liegt das Buch im oberen Segment, wobei man langfristig auf deine Taschenbuchausgabe hoffen kann. Wer Hardcover mag, kann hier jedoch bedenkenlos zugreifen, denn der Inhalt garantiert für spaßige Lesestunden mit vielen Überraschungen.


Fazit

„Die dunklen Gassen des Himmels“ bietet Lesespaß pur: ein himmlischer Anwalt mit menschlichen Schwächen, widerwärtige Dämonen, eine komplexe Story voller Überraschungen und eine gehörige Portion schwarzer Humor – das sind die Zutaten für ein cineastisches Leseerlebnis, wie es nur Tad Williams kreieren kann. Die Geschichte um Bobby Dollar glänzt mit Witz, Charme und knackigen Dialogen. So muss Urban Fantasy sein: actionreich, übernatürlich und wahnsinnig unterhaltsam!


Pro & Contra

+ supersympathischer Protagonist mit Ecken und Kanten
+ facettenreiche Nebencharaktere
+ origineller Weltentwurf
+ actionreich mit vielen Wendungen
+ schwarzer Humor
+ lockerer, unfassbar guter Schreibstil 
+ gelungene Übersetzung
+ tolle Hardcoverausgabe

o manche Nebencharaktere sind fast schon zu skurril

Wertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3,5/5

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Tags: Urban Fantasy, Tad Williams, Engel