Die besseren Wälder (Martin Baltscheit)

Beltz (September 2013)
Hardcover mit Schutzumschlag
farbig illustriert, ab 12 Jahren
240 Seiten, 19,95 EUR
ISBN: 978-3-407-82033-4

Genre: Tierfabel / Jugendbuch


Klappentext

Ferdinand ist jung, sorglos und beliebt. Der Held der Herde, dem die Zukunft offen steht. Doch Ferdinand ist ein Wolf im Schafspelz: Als einziger hat er die Flucht seiner Familie in die besseren Wälder überlebt und wurde von Schafen großgezogen. Von seiner wahren Herkunft ahnt er nichts – bis eines Tages ein Mord geschieht. Ferdinand gerät unter Verdacht …


Rezension

Bei einer Wolfsfamilie kommt nur noch Gemüse auf den Tisch. Das Fleisch hat sich hinter Zäune zurückgezogen, die Schafe leben in den besseren Wäldern und töten alle Wölfe, die sich ihrem Zaun nähern. Doch die Wolfsfamilie hält das Leben in Armut nicht mehr aus, sie wagt einen Fluchtversuch. Gelangt im tiefsten Winter an den Zaun. Die Eltern werden erschossen, doch das Kind hat es über die Grenze geschafft und wird von zwei kinderlosen Schafen aufgenommen. Der Bock will es zuerst töten, doch die Schafsmutter hat das Kleine längst angenommen. Sie nennen den Wolfsjungen Ferdinand und von nun an ist er ein Schaf: Er isst Gemüse mit Freude und wird zum Mustersohn. Und er ist ein begnadeter Sänger. Hin und wieder merkt man, dass er anders ist, doch insgesamt ist Ferdinand ein vorbildhaftes Schaf. Bis dem Mädchen, in das er sich verliebt hat, die Kehle durchgebissen wird. Von einem Wolf – von ihm?

Martin Baltscheit begeistert von der ersten Seite an mit seiner bildhaften, ausdrucksstarken Sprache. Die Sätze sind kurz und meist auf den Punkt. Wölfe und Schafe wirken wie Menschen, tun aber trotzdem all das, was für beide Tierarten typisch ist. Die Wölfe sind dabei schlechter gestellt: Einst waren sie die großen Jäger. Raubtiere. Doch dann haben sich die Schafe bewaffnet. Nun haben die Wölfe fast nichts mehr, sie nagen am Hungertuch und leben in einem düsteren Teil der Welt. Die Schafe leben dagegen auf der Sonnenseite, in den besseren Wäldern, hinter Zäunen, die ihnen Sicherheit und Wohlstand bieten. Mit blauem Himmel und goldenen Wasserhähnen. Dass all das mit dem Blut der Wölfe erkauft wurde, verdrängen die friedlichen Schafe. Für was Wölfe und Schafe dabei stehen, kann jeder für sich selbst entscheiden. „Die besseren Wälder“ ist vielschichtig und tiefgreifend – ohne zu abgehoben zu werden. Die Sätze bleiben klar und jeder kann sie ganz einfach für sich selbst interpretieren. Und auch die Dialoge lesen sich knackig und pointiert.

Der grausame Mord bringt zusätzlich Spannung in die Geschichte: Ferdinand gerät unter Verdacht, schließlich wird er neben der Leiche gefunden, und auch wenn man ihm den Mord überhaupt nicht zutraut, fragt man sich, ob nicht doch der Wolf aus ihm herausgebrochen ist. Zudem stellt das Verbrechen einen Wendepunkt  dar. Die erste Hälfte des Romans widmet sich Ferdinands Kindheit / Jugend und all den Problemen, die seine Schafseltern bewältigen müssen, um ihren wölfischen Sohn in die Schafsgemeinschaft einzugliedern. In der zweiten Hälfte wird Ferdinand aus seinem behüteten Umfeld herausgerissen und lernt sich selbst dabei auf neue Art kennen. „Die besseren Wälder“ ist also auch ein Stück weit Identitätsfindung, was der jugendlichen Zielgruppe entgegen kommt. Auch wenn Ferdinand ein Wolf im Schafspelz und eine phantastische Figur ist, sind seine Probleme für junge Menschen aktuell und nachvollziehbar. Dazu ist Ferdinand einfach sympathisch, auch wenn oder gerade weil er oftmals etwas hilflos wirkt. Er ist sogar anständiger als so manches Schaf.   

„Die besseren Wälder“ wird von Illustrationen im Pop-Art-Stil aufgepeppt, die die Geschichte ergänzen. Sie verschmelzen mit dem Text zu einer untrennbaren Einheit und machen den Roman zu etwas ganz Besonderem. Allerdings ist Martin Baltscheits Stil auch sehr speziell und wird sicherlich nicht jedem gefallen. Doch auch, wenn die Illustrationen den eigenen Geschmack nicht treffen, kann man seine Freude an der kreativen Geschichte haben. Ein so schön gestaltetes Hardcover hält man zudem selten in den Händen!


Fazit

„Die besseren Wälder“ ist ein vielschichtiger Jugendroman, der große Themen an den richtigen Ecken anschneidet und in ein spannendes Fabelgewand kleidet. Der Wolf im Schafspelz bietet verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, verliert sich dabei aber niemals in angehobenem Geplänkel. Im Gegenteil: Martin Baltscheit schreibt kreativ, offen und auf den Punkt.


Pro & Contra

+ moderne, spannende Fabel
+ vielfältige Interpretationsmöglichkeiten
+ jugendliche Identitätsfindung
+ kreativer und pointierter Schreibstil
+ originelle Gestaltung

Wertung: 

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Gestaltung: 4/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


Interview mit Martin Baltscheit (Januar 2014)