Golem und Dschinn (Helene Wecker)

Hoffmann und Campe Verlag (August 2013)
gebunden, mit Schutzumschlag
624 Seiten, € 24,99
ISBN: 978-3-455-40367-1

Genre: Fantasy


Klappentext

New York, 1899: Hier begegnen sich Chava und Ahmad, eine Frau aus Ton und ein Mann aus Feuer, deren Schicksal seit Jahrhunderten unauflöslich miteinander verknüpft ist.

Chava ist ein Golem, zum Leben erweckt von einem skrupellosen Rabbi. Sie kann die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen um sich herum spüren. Als ihr Meister stirbt, muss sie sich allein in New York zurechtfinden.
Ahmad ist ein Dschinn, der eingeschlossen in einer Kupferflasche auf Umwegen nach Manhattan gelangt. Seine Neugier und seine Leidenschaft sind ihm schon einmal zum Verhängnis geworden.
In der Welt der Menschen suchen sie nach Liebe und Freundschaft und müssen sich gegen einen übermächtigen Feind zur Wehr setzen.


Rezension

Was schon die traumhafte Aufmachung von „Golem und Dschinn“ verheißt, erfüllt sich auch im Inneren: In den wimmelnden Straßen des New Yorks der Jahrhundertwende begegnen sich zwei fantastische Wesen und lernen einander näher kennen. Und für beide ist diese magische Stadt gleichermaßen fremdartig wie faszinierend – auch, wenn Golem und Dschinn unterschiedlicher nicht sein könnten.

Der Golem Chava, von einem reichen Auswanderer als Ersatz für eine Ehefrau gekauft, erwacht im Zwischendeck eines Ozeandampfers, der in Richtung neue Welt unterwegs ist, zum Leben. Als ihr Meister kurz darauf stirbt, findet sich Chava, die einzig dafür erschaffen wurde, ihrem Meister zu dienen, in New York wieder. Ihres Lebenszweckes beraubt, irrt sie durch die Straßen: Denn ein Golem ist an den Willen seines Meisters gebunden.
Etwa zur gleichen Zeit wird ein Dschinn aus seinem Flaschengefängnis befreit, in das er vor Jahrhunderten am anderen Ende der Welt eingesperrt wurde. Und ebenso wie Chava ist auch Ahmad überwältigt von New York. Doch darüber hinaus haben die beiden wenig gemeinsam; sehr schön arbeitet Helene Wecker die Besonderheiten und Charakteristiken ihrer beiden eigentümlichen Figuren heraus, bevor sie sie aufeinander treffen lässt. Mit Liebe zum Detail und viel Fanasie klärt sie den Leser über die Eigenschaften von Golems und Dschinns auf. Und das ist auch gut so, denn allzu oft begegnet man diesen Vertretern der Phantastik in Büchern ja normalerweise nicht. So erfährt man zum Beispiel, dass Dschinns Feuerwesen sind, stolz, impulsiv und eigensinnig, die während ihres langen Lebens meist in selbst gewählter Einsamkeit die Wüste durchstreifen. Golems hingegen scheinen das genaue Gegenteil zu sein. Erdwesen, aus Lehm geschaffen: Bedacht, zaghaft, rational.
Doch als Chava und Ahmad sich in der Fremde begegnen, verbindet sie sogleich etwas, denn auch wenn jeder von ihnen Freunde in New York gefunden hat, können sie nur einander ihre Geheimnisse anvertrauen. Und so entwickelt sich eine Beziehung, die schnell im Mittelpunkt der Handlung steht. Daneben gibt es jedoch auch noch weitere Charaktere, die sich perfekt in das sorgsam gestaltete Gesamtbild einfügen: Ein Kunstschmied, ein Rabbi, sowie viele weitere liebevoll gezeichnete Charaktere ergänzen das New Yorker Stadtpanorama und füllen es mit Leben.
Erst recht spät widmet sich Wecker hierbei der eigentlichen Geschichte – einer mystischen Verflechtung zwischen ihren phantastischen Protagonisten. Allerdings geht die bis hierhin stattfindende Exposition durchaus als eigene Geschichte durch, denn in dem Mikrokosmos des jüdischen Viertels von New York gibt es jede Menge interessante Gestalten mit eigenen Interessen, Verflechtungen und Geschichten. Geschichten, die das Buch wunderbar ergänzen und sich völlig unangestrengt einfügen, sich mit der übergeordneten Geschichte zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen.
Während man auf diese Weise New York mit „neuen“ Augen kennen lernt, baut sich im Hintergrund ganz langsam eine weitere, phantastische Ebene auf, die Helene Wecker sehr bedacht und sorgfältig Stück für Stück in den Vordergrund rückt, bis schließlich alle Fäden zu einem überraschend gut funktionierenden Gesamtbild zusammenlaufen. Und auch, wenn das Erzähltempo hierbei stets sehr moderat bleibt, sich die eine oder andere Länge erahnen lässt, so ist es doch Weckers erzählerischem Talent zu verdanken, dass man sich dabei nicht langweilt.


Fazit

„Golem und Dschinn“ ist ein magisches Debüt, das vor toller Kulisse eine interessante Geschichte entfaltet. Hierbei nimmt sich Helene Wecker viel Zeit für Handlungsaufbau und Charakterentwicklung.


Pro & Kontra

+ „magisches“ Setting
+ tolle Charaktere
+ interessante und fantasievolle Vertreter des Figurenrepertoires der Phantastik
+ sehr schön erzählt
+ tolle Aufmachung

o recht langsames Erzähltempo

- kein Leseband: bei dieser Aufmachung eigentlich Pflicht

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5