Silenus (Robert Jackson Bennett)

Piper (Oktober 2012)
Kartoniert, 576 Seiten
ISBN: 978-3-492-26870-7
€ 12,99 [D]

Genre: Fantasy / Horror / Thriller


Klappentext

Silenus. Wie eine Rauchschwade hängt dieses Wort in der eisigen Winterluft. Auf längst verblassten Eintrittskarten prangt dieser Name in geschwungenen Lettern. Von verwaschenen Theaterplakaten lächelt ein Gentleman mit Zylinder und kalten, blauen Augen herab. Der 16-jährige George durchstreift das Land auf der Suche nach diesem Mann. Doch Silenus und seine Schausteller gleichen einem Phantom. Warum fliehen sie von Stadt zu Stadt? Weshalb vermag sich niemand an ihre Show zu erinnern? Und welche Gefahr geht von den seltsamen Herren in Grau aus? Als George das Geheimnis von Silenus entschlüsselt, hat er sich längst in ein unheimliches Netz verstrickt, aus dem es kein Entkommen gibt.


Rezension

Als George seine Kündigung bekannt macht, ist die Überraschung und Empörung groß, denn der erst 16-jährige ist ein begnadeter Pianospieler und überaus wichtig für die Schausteller des Keith-Albee-Circuit. Es gibt viele Meinungen zu den Gründen, denn seine Rolle ist vergleichsweise gering, so auch seine Bezahlung und auch wenn George irgendwo anders ohne weiteres das Doppelte verdienen würde, ist der Grund, der ihn dazu bewegt, von einem Tag auf den anderen seine Sachen zu packen, doch ein ganz anderer. Sechs Monate lang hatte er keine Spur finden können, doch endlich ist es soweit: Der große Silenus und seine einmalige Truppe haben einen Auftritt und George wird dort sein, wenn sie auf der Bühne stehen. Er möchte einen Platz bei den besten Vaudevill-Künstlern der Welt haben und seinen Vater, Silenus, kennen lernen. Außerdem möchte er hinter das Geheimnis der vierten Nummer kommen, denn niemand, der diese Show zu Gesicht bekommen hat, kann sich an sie erinnern. Es soll sich aber herausstellen, dass er George nicht der einzige ist, der auf der Suche nach den Schaustellern ist. Männer in grauen Anzügen folgen ihm und George merkt schnell, dass deren Gründe ganz anderer Natur sind.

Mit „Mr. Shivers“ begann Robert Jackson Bennett 2011 seine Karriere als Autor. Der Debütroman hinterließ weitgehend – so auch hier bei Literatopia – gemischte Gefühle. Während der finstere „Narbenmann“ und die flüssige Sprache sehr gelungen waren, trübten einige unnötige Längen den Lesegenuss. Mit „Silenus“ meldet sich der erst 30-jährige nun zurück und dass sein zweiter Versuch beinahe perfekt wird, hätte man sich kaum zu hoffen gewagt. Bennetts zweites Werk kann man nur schwer einem Genre zuordnen, denn der Autor hat sich der „speculative fiction“ verschrieben. Einer Mischung aus Horror, Science-Fiction und Urban-Fantasy, was den Inhalt für den ein oder anderen einerseits sehr speziell macht, aber andererseits jedem etwas aus seinem Lieblingsgenre bietet. Der Einstieg ist sehr ruhig erzählt und bietet keine Überraschungen, denn noch befindet sich der Hauptprotagonist, George – und ebenso der Leser – in einer normalen, ihm bekannten Welt. Alles bewegt sich noch in gängigen Bahnen und George ist mit seinen 16 Jahren, wie jeder Pubertierende, sowieso das Zentrum der Welt. Er glaubt alles zu wissen, was es zu wissen gibt, aber nach dem Zusammentreffen mit Silenus und den anderen bunten Figuren der Truppe bekommt er Einblicke hinter den Vorhang der vermeintlichen Realität. Ab dem Zeitpunkt, an dem das Geheimnis über die Welt und die Aufgabe der Truppe gelüftet wird, kommt man gar nicht mehr aus dem Staunen raus. Für einen winzigen Moment befürchtet man, dass man eine Religionsstunde über sich ergehen lassen muss und über die Macht Gottes aufgeklärt wird, aber das stellt sich nur als Fundament für eine beinahe schon epische Geschichte heraus. Und diese ist voller grandioser Ideen und einer Unzahl beängstigender Gestalten. Nach und nach entwickelt sich eine so dichte Atmosphäre, dass einem das Atmen schwer fällt. Ein wenig erinnern die Männer in Grau an eine fantastisch angehauchte Form der Agenten aus den „Matrix“-Filmen und diese sind genauso bedrohlich und undurchschaubar. Gleichzeitig bedient sich Bennett Figuren der klassischen Highland-Fantasy, die er jedoch gänzlich anders auslegt. Einzigartig ist dann auch, dass er all die Elemente an den Anfang des 19 Jahrhunderts verfrachtet. In eben jene Jahre, als die Kunst des Vaudevill-Theaters langsam in Vergessenheit geriet. Passender hätte eine Zeitepoche kaum gewählt werden können.

Ablenken von der Qualität dieses fantastischen Werks soll wohl die deutsche Aufmachung. Selten war ein Cover so misslungen und irreleitend wie die Darstellung des Pseudodämons, der einem vom Büchertisch entgegenstarrt und um den man einen großen Bogen schlagen will. Mal ganz davon abgesehen, dass Silenus nicht annähernd so aussieht, wie dargestellt, und es sich hier auch nicht um einen Thriller handelt, impliziert der deutsche Buchtitel, dass er der Hauptprotagonist ist. Dabei handelt es sich bei ihm eher um eine Randfigur oder zumindest als Teil eines ganzen Kollektivs von wichtigen Personen. Entsprechend hätte der Originaltitel „Die Truppe“ (engl.: The Troupe) – wie so oft – viel besser gepasst und hätte viel Platz für ein würdiges Coverbild gelassen. Zugegeben Silenus ist aber die interessanteste Figur. Er ist ein finsterer und grüblerischer Mann, der viel gesehen hat in seinen zahlreichen Jahren und man sieht es ihm an. Seine Jugend (in der er möglicherweise einmal so ausgesehen haben mag wie auf dem Titelbild) ist lange vorbei. Es umgibt ihn eine mysteriöse Aura und seine Magie scheint zu real, als dass es sich nur um Illusionen handeln könnte. Außerdem ist er nicht die Vaterfigur, die sich George gewünscht hätte. Anstatt auf ein tränenreiches Wiedersehen mit Reuebekundungen, stößt der verlorene Sohn auf das Gegenteil, was entsprechend viel Zündstoff für zwischenmenschliche Dispute bietet. Wie erwähnt sind aber auch die anderen Protagonisten wichtig und vor allem sehr gut gelungen. Da wäre zum einen Stanley, der es bevorzugt, auf eine Tafel zu schreiben, anstatt sich seiner Stimme zu bedienen. Eine unscheinbare, aber liebenswürdige Person, die immer an Silenus Seite verweilt. Colette, deren Tänze nicht nur die Zuschauer bezaubern, sondern George den Kopf zu verdrehen drohen. Franny, die dürre in Bandagen gewickelte Frau, die mit Tresoren jongliert und Stahlträger verbiegt, ohne mit der Wimper zu zucken. Um nur einige Personen zu nennen. Alle haben ihre Geheimnisse, erfreuen sich einer gesunden Charaktertiefe und bieten eine interessante Lebensgeschichte.


Fazit

Robert Jackson Bennett liefert mit seinem zweiten Roman eine epische Mischung aus Horror, Science-Fiction und Fantasy ab. „Silenus“ übertrifft alle Erwartungen - die man nach dem durchwachsenen Debüt eher niedrig gesetzt hat – bei weitem und mit Leichtigkeit und beweist wie viel Potential in der fantastischen Literatur noch steckt. Ohne Einschränkung empfehlenswert.


Pro und Kontra

+ toller Mix diverser Genre
+ unerwartete Wendungen
+ gelungene Charaktere
+ bekannte Elemente in neuem Gewand
+ berauschende Atmosphäre

Beurteilung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


Rezension zu Mr. Shivers