Henni Liz Borßdorff (27.10.2014)

Interview mit Henni Liz Borßdorff

henni lizLiteratopia: Hallo, Henni! Erzähl uns doch bitte zuerst etwas von Dir. Wer verbirgt sich hinter den Worten? Und wie hat das mit dem Schreiben bei Dir angefangen?

Henni Liz Borßdorff: Draußen war Sturm. Es regnete in Strömen, jemand hatte den Autoreifen des Wagens meines Vaters zerstochen, weil dieser  vor einer Einfahrt stand, das Telefon streikte und man konnte weder den Notdienst noch ein Taxi rufen. Wie umsichtig, dass meine Eltern die Reise zu guten Geschäftspartnern wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft  zusammen mit einer befreundeten Krankenschwester  unternommen hatten. Sicher ist sicher. So kam ich zwischen  Nachmittagskaffee mit Tarte Citrone und einem an sich opulent geplanten Abendessen, auf das Mama der Umstände halber verzichtete, etwas vorzeitig zur Welt. Um dem bürokratischen Papierkram aus dem Weg zu gehen, meldete mich Papa  am Standesamt in Essen an. In Essen bin ich aufgewachsen, bin mit 18 nach Aachen aufgebrochen, wo ich alles Mögliche studiert habe, und nun pendel ich zwischen Essen, Aachen und Norddeutschland hin und her.

Mit zehn Jahren schrieb ich ein Kinderbuch für meine kleine Schwester: Teddy Puschelohr und seine Freunde. Das herzergreifende Werk existiert immer noch…  

Als meine eigenen Kinder klein waren, erfand ich jede Menge Geschichten. Wie von selber setzte ich mich eines Tages vor ein leeres Blatt und kritzelte eine Skizze, versah sie mit Namen, malte Verzweigungen, die wie ein Kanalsystem aussahen, nahm ein neues Blatt und dann noch eins, bis der ganze Küchentisch voller Notizzettel mit beschrifteten Kanälen war.

In unregelmäßigen Abständen verfasste ich eine abenteuerliche Story – einen Vorläufer des „Winterjungen“.

Irgendwann schrieb ich komplette Bücher, die unter anderem Namen veröffentlicht sind.

Und eines Tages kehrte ich zum „Winterjungen“ zurück – genau genommen nach einem Skitag in den Dolomiten auf einer einsamen Hütte am Ende der Welt am San Pellegrino Pass. Wieder nur mit einem Notizblock bewaffnet, weil ich ohne Laptop verreist war.

Nach weiteren 2 Jahren war der Gesamtplot der Blizzard-Trilogie fertig und der Roman „Winterjunge“ fand im Oldigor-Verlag sein Zuhause.

Literatopia: Kürzlich ist mit „Blizzard – Winterjunge“ Dein Debütroman erschienen. Was kannst Du uns darüber verraten?

Henni Liz Borßdorff: Ein Junge verschwindet. Er flüchtet vor seinem Vater, der oft alkoholisiert ist und ausrastet. Zurück lässt er seine verzweifelte Mutter, seine tief traurige Zwillingsschwester und einen kleinen Bruder.

30 Jahre später. Lu Kranich ist 14 und hat zwei Probleme: Sie ist sehr blass und wird einfach nicht braun. Und es klappt nicht mit dem Verlieben. Sie ist die Nichte des vor 30 Jahren verschwundenen Jungen. Seine Zwillingsschwester ist Lus Tante. Sie schickt ihr eines Tages ein höchst ungewöhnliches Päckchen – und damit verändert sich Lus Leben schlagartig und und es wird kompliziert: Sie verliebt sich so heftig und so grundsätzlich, wie sie es nie, nie, nie für möglich gehalten hätte…

Literatopia: In der Verlagsbeschreibung steht, dass sich Deine Protagonistin Nacht für Nacht in einer Welt wiederfindet, die aus der Zeit gefallen ist – was bedeutet „aus der Zeit gefallen?“

Henni Liz Borßdorff: Es gibt ein Dorf, dem die Zeit mit ihrer Schnelllebigkeit, der modernen Technik und der Alltagshektik nichts anhaben kann  – die Zeit geht sozusagen über das Dorf hinweg. Und genau dieses Dorf scheint auf Lu gewartet zu haben.

Literatopia: Deine Protagonistin Lu stammt wie Du aus dem Ruhrgebiet. Wie viel von Dir steckt in ihr?

Henni Liz Borßdorff: In Lus Alter war ich so blass, dass man mich Sahnetörtchen genannt hat. „Winterjunge“ spielt unter anderem in Essen – und – ja: Ich hatte als sehr junges Mädchen eine Zeitlang ebenfalls das Gefühl, alle Welt würde sich verlieben, bloß ich nicht…

blizzard winterjungeLiteratopia: Gab es auch für Dich damals einen Winterjungen?

Henni Liz Borßdorff: Ja – den gab es. Ich war gerade 17. Die politischen Verhältnisse gaben uns keine Chance. Mehr möchte ich nicht dazu sagen.

Literatopia: Freust Du Dich schon darauf, das erste gedruckte Buch in der Hand zu halten? Und hast Du davor lange nach einem Verlag gesucht oder eher einen Glückstreffer gelandet?

Henni Liz Borßdorff: Das erste Buch ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Und sobald es „Winterjunge“ auch gedruckt gibt, mach ich ein Fass auf – ist doch klar! Mit der Verlagssuche habe ich eine Literaturagentur beauftragt – bis ich plötzlich ganz und gar zufällig die Verlegerin von Oldigor bei Facebook traf. Wir stammen beide aus Essen…

Literatopia: Du hast früher Deinen Vater oft auf Geschäftsreisen nach Skandinavien begleitet und Dich unter anderem in die Stadt Rovaniemi verliebt. Was kannst Du uns über diesen für Dich besonderen Ort erzählen?

Henni Liz Borßdorff: Ich hab das Zeug zur Märchentante. Und  in Rovaniemi-Weihnachtsstadt ist so richtig der Winter zu Hause, dass ich mir die „Schneekönigin“ von Hans-Christian Andersen und die winterlichen Geschichten von Astrid Lindgren noch besser vorstellen kann. Außerdem liebe ich Schnee und Kälte, weil es mir da gut geht und ich keinen Heuschnupfen haben muss. Ich bin einfach auf alles allergisch außer auf Zypressen – das haben die vielen Tests ergeben. Und manchmal träume ich davon, dass mal Schluss sein muss mit den endlosen Hyposensibilisierungen. OK – Helgoland wäre vielleicht auch noch eine Alternative. Da blüht nicht viel…   

Literatopia: Was fasziniert Dich an der Märchenwelt Hans Christian Andersens? Und welches Werk des dänischen Schriftstellers hat Dich am meisten beeindruckt?

Henni Liz Borßdorff: „Die Schneekönigin“ ist mein Favorit. Ich liebe auch „Die wilden Schwäne“ und „Däumelinchen“.  Ich habe mich immer mit den Figuren identifiziert. Ich war abwechselnd Gerda oder die kleine Schwester der in Schwäne verwandelten Brüder. Die Geschichten von Andersen haben sich wie Gemälde in meinen Kopf geschlichen, die mein inneres Auge jederzeit betrachten kann. Und immer spielen sich Andersens Geschichten draußen ab. „Die kleine Meerjungfrau“ war ich natürlich auch – aber im Gegensatz zu der Originalgeschichte  habe ich in meiner Phantasie nicht auf den geliebten Prinzen verzichtet…

Literatopia: Wie gehst Du beim Schreiben vor? Planst Du Deine Geschichten schon vor dem eigentlichen Schreibprozess von Anfang bis Ende durch oder lässt Du Dich auf dem Weg überraschen?

Henni Liz Borßdorff: Den Plot habe ich fest geplant. „Winterjunge“ ist ja der erste Band der Blizzard-Trilogie und die Gesamthandlung steht – inklusive dem Schluss, den ich bereits formuliert habe.

By the way: man weiß natürlich nie, was sich Lu Kranich so alles einfallen lässt – und ob sie sich nicht doch lieber anders entscheidet… Mal im Ernst: Meine Figuren führen ein Eigenleben. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht eines Tages laut mit ihnen unterhalte…

Literatopia: Also hat Dich Lu während dem Schreiben das eine oder andere Mal überrascht? Und kannst Du Dir jetzt schon vorstellen, Lu hinter Dir zu lassen und über andere Charaktere zu schreiben?

Henni Liz Borßdorff: Ich habe Lu bei mir, vor mir, neben mir. Wir unterhalten uns, denn ich schreibe am Folgeband – zeitweilig auch schon an Band 3.

Literatopia: Was liest Du persönlich gerne? Welche Genres tummeln sich in Deinem Bücherregal? Und hast Du vielleicht ein Lieblingsbuch, das Du unseren Lesern empfehlen magst?

Henni Liz Borßdorff: Als nicht mehr ganz so kleines Kind war „Die Rote Zora“ mein Lieblingsbuch. „Schlemihl oder der verkaufte Schatten“ von Chamisso kann ich empfehlen. In „Winterjunge“ kommen Schlemihls besondere Stiefel vor. Und Schlemihl ist ein so liebenswerter Pechvogel…

Literatopia: Gibt es in „Winterjunge“ noch weitere Anspielungen auf andere Werke außer Schlemihls Stiefel?

Henni Liz Borßdorff: Ja. „Timm Thaler oder das verkaufte Lachen“ wird ebenfalls erwähnt. Es ist ein spannendes Buch von James Krüss.

Literatopia: eBooks erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, doch viele halten auch an „richtigen“ Büchern fest. Was bevorzugst Du persönlich?

Henni Liz Borßdorff: Ich lese inzwischen gerne elektronisch – aber meine Bekannten und Verwandten favorisieren das gedruckte Buch. Ein Grund mehr, dass „Winterjunge“ schleunigst greifbar wird – ganz im wörtlichen Sinn!

Literatopia: Was können wir in Zukunft von Dir erwarten? „Winterjunge“ ist ja als Trilogie geplant, kannst Du uns schon etwas über den zweiten Band verraten?

Henni Liz Borßdorff: „Wintermädchen“ heißt der zweite Band – und er ist als Manuskript schon fast fertig. Lu ist nun 15. Sie gerät in Lebensgefahr, genau wie die Menschen der aus der Zeit gefallenen Welt. Und die Liebe zu ihrem „Winterjungen“ wird äußerst riskant…

Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Henni!

Henni Liz Borßdorff: Gerne!!!


Autorenfoto: Copyright by Henni Liz Borßdorff


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia.de geführt. Alle Rechte vorbehalten.