Hotline (Jutta Maria Herrmann)

Knaur, 1. Auflage November 2014
Taschenbuch, 336 Seiten
9,99 € (D) | 10,30 € (A)
ISBN: 978-3-426-51456-6
Leseprobe

Genre: Psycho-Thriller


Klappentext:

Einer von euch hat Schuld auf sich geladen, und ihr müsst nun alle dafür büßen …

Keine Polizei - never ever. So lautet die unumstößliche Maxime der Beichthotline. Aber was tun, wenn eine Anruferin ankündigt, ihr neugeborenes Kind lebendig zu vergraben? Ein schlechter Scherz, konstatiert Chris, Initiator der Hotline, als seine Freunde und Kollegen statt einer Kinderleiche eine lebensgroße Puppe auf dem Friedhof ausgraben. Dann meldet sich die mysteriöse Anruferin erneut und verkündet, dies sei erst der Anfang ...


Rezension:

Wir leben in einer Zeit, in der moralische Werte immer mehr zu einer Floskel verkommen, in der Gewaltbereitschaft, insbesondere von jungen Menschen, immer brutalere Auswüchse annimmt, in der das Recht des Stärkeren die gesellschaftlichen Strukturen bestimmt.
(Seite 41)


Mit der sogenannten Beichthotline hat sich Chris zusammen mit seinen Freunden Rick, Konrad und Paula einen kleinen Traum erfüllt. Leider läuft das Geschäft nach einem kurzen Aufschwung mehr schlecht als recht, sodass einige ernste Gespräche zwischen den Teilhabern anstehen. Doch bevor Chris alles hinschmeißt, will er noch einmal an die Grenzen gehen und versuchen, über Funk und Fernsehen auf seine Hotline aufmerksam zu machen, die vor allem eine Devise hat: Niemanden zu verurteilen. Und in den meisten Fällen ist dies auch völlig unnötig, denn viele der Anrufer brauchen meistens nur jemanden zum Reden und um ihrem Ärger über Nachbarn oder ähnlichem Luft zu machen. Ganz anders verhält es sich jedoch, als Rick während einer Nachtschicht einen seltsamen Anruf von einer jungen Frau erhält, die ankündigt, ein neugeborenes Baby lebendig begraben zu wollen. Ohne Rücksprache mit seinen Kollegen zu halten, informiert er die Polizei, die jedoch nicht viel ausrichten kann oder will. Nach einer hitzigen Diskussion tut auch das Team diesen Anruf als einen schlechten Scherz ab – bis die junge Frau wieder anruft und konkret wird. Doch als die Gruppe am Schauplatz des angeblichen Verbrechens ankommt, findet sie dort lediglich eine vergrabene Puppe. Keiner der vier ahnt, dass hinter dem Ganzen ein perfides Spiel steckt und dass sie alle zum Mitspielen gezwungen werden, weil sich einer aus ihrem kleinen Kreis vor Jahren eine unverzeihliche Schuld aufgeladen hat.

Der Sprung vom Krimi zum Thriller scheint nicht unbedingt groß, doch die Schwierigkeiten stecken im Detail. Nach einigen Krimikurzgeschichten legt Jutta Maria Herrmann nun ihren ersten Thriller vor und beweist, dass sie das Handwerk des Thriller-Schreibens durchaus beherrscht. In Hotline findet der geneigte Leser fast alles, was sein Herz begehrt – kryptische Nachrichten, perfide Ideen, angekündigte Morde, undurchsichtige Charaktere. Wem das nicht genug ist, der darf sich gerne auch von der nicht unbedingt geschickt eingeflochtenen Liebesgeschichte oder der deutlichen Gesellschaftskritik unterhalten lassen. Im Großen und Ganzen ist dieses Debüt also durchaus ein gelungenes Werk, allerdings müssen auch einige Abstriche gemacht werden. Abgesehen von den besagten und für die Story relevanten Anrufen braucht die Geschichte eine relativ lange Aufwärmphase, in welcher der Lesefluss streckenweise eher zäh vorangeht. Es wird viel geplänkelt, mit irrelevanten Informationen um sich geworfen und die Charaktere erhalten nur unzureichende Gelegenheiten, sich dem Leser näher zu bringen. Vor allem auf die Nebencharaktere, die auch im weiteren Verlauf keine große Rolle spielen, hat die Autorin teilweise zu viel Energie verschwendet, die den Hauptcharakteren eher hätte zugutekommen sollen, welche insgesamt eher blass bleiben. Dadurch hangelt sich der Leser gerade im ersten Drittel von Seite zu Seite, ohne dass wirkliches Lesevergnügen aufkommen möchte. Man muss Jutta Maria Herrmann jedoch zugestehen, dass sie es trotzdem irgendwie schafft, den Leser bei Laune zu halten – an den richtigen Stellen bekommt der Spannungsbogen wieder genug Aufwind, um doch am Ball bleiben zu wollen.

Wenn man das erste Drittel hinter sich gelassen hat, kann man sich getrost in die Geschichte fallen lassen, die dann langsam Fahrt aufnimmt. Mitunter überschlagen sich die Ereignisse, bis man schließlich nach dem zweiten Drittel schon mit ziemlicher Sicherheit ahnt, wohin das Ganze am Ende führen wird. Zugegeben, die Autorin versucht, auf den letzten Seiten noch ungeahnte Überraschungen einzubauen, was ihr allerdings nur bedingt gelingen möchte. Der Ansatz ist deutlich zu erkennen und kann sicherlich in folgenden Büchern noch weiter ausgebaut werden, für Hotline wirkt dieses Ende jedoch sehr gestellt und kann nur bedingt überzeugen, obwohl so mancher Leser sicherlich etwas anderes erwartet hätte. Das Konzept von Jutta Maria Herrmann funktioniert also, ist aber in jedem Fall ausbaufähig. Und dass man sich auf mehr freuen kann, lässt das relativ offen gehaltene Ende hoffen.


Fazit:

Mit Hotline liefert Jutta Maria Herrmann nach einigen Krimikurzgeschichten ihr Thriller-Debüt und kann damit durchaus punkten. Zwar schwächelt der Roman an einigen Stellen, ist dafür aber an anderen überraschend überzeugend. Insgesamt scheint sich die Autorin im Krimi- und Thriller-Genre wohl zu fühlen und stellt auf eine angenehm gesellschaftskritische Art unter Beweis, dass sie in dieser Literatur-Sparte in jedem Fall gut aufgehoben ist. Man darf gespannt sein, was noch folgen wird – ein gewollt offenes Ende, das auch als finaler Abschluss funktioniert, lässt zumindest ein wenig Hoffnung zu, dass man die Charaktere schon bald wieder zu Gesicht bekommen könnte.


Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5