Zorn und Morgenröte (Renée Ahdieh)

Lübbe one (Februar 2016)
Hardcover mit Schutzumschlag
397 Seiten, 16,99 EUR
ISBN: 978-3-8466-0020-7

Genre: Fantasy / orientalisches Märchen / Jugendbuch


Klappentext

Jeden Tag erwählt Chalid, der grausame Herrscher von Chorasan, ein Mädchen. Jeden Abend nimmt er sie zur Frau. Jeden Morgen lässt er sie hinrichten. Bis Shahrzad auftaucht, die eine, die um jeden Preis überleben will. Sie stehen auf verschiedenen Seiten und könnten unterschiedlicher nicht sein ... Und doch werden sie magisch voneinander angezogen.


Rezension

Der junge Kalif von Chorasan hat ein grausames Herz. Jeden Tag erwählt er eine Braut und jeden Morgen lässt er sie mit einer Seidenschnur hinrichten. Das Volk hasst den grausamen Herrscher, der aus seiner Verrücktheit heraus ihm die Schwestern und Töchter nimmt. Auch Shahrzads beste Freundin Shiva fiel Kalif Chalid zum Opfer, woraufhin sie sich geschworen hat, den Tod ihrer Freundin zu rächen. Shahrzad meldet sich freiwillig als Braut für den Kalifen und ist die erste, die das Morgenrot erlebt. Das gelingt ihr, indem sie Chalid mit einer Geschichte fesselt, sodass dieser ihre Hinrichtung aufschiebt. Doch bald geht es nicht mehr nur um Geschichten und Shahrzad erkennt, dass Chalid kein boshafter Irrer sondern eine geplagte Seele ist …

“Zorn und Morgenröte“ basiert auf dem persischen Märchen um Scheherazade, die die Geschichten aus Tausend und einer Nacht erzählt, um ebenso wie Shahrzad dem Tod zu entkommen. Allerdings erzählt Shahrzad in Renée Ahdiehs Roman nur wenige Geschichten. Denn Chalid entwickelt recht schnell Interesse an seiner widerspenstigen Königin, die alles versucht, um dem Tod zu entgehen. Ihre Waffen sind ihr feuriges Temperament und ihr ehrlicher Charme. Shahrzad spürt schnell, dass mehr hinter dem Wahnsinn des Kalifen steckt als reine Boshaftigkeit, doch sie wird auch davon überrumpelt, dass Chalid nicht das Ungeheuer ist, das sie in ihm gesehen hat.

Leider macht Renée Ahdieh den Fehler, bereits im ersten Kapitel aufzudecken, dass Chalid aus einem Zwang heraus handelt. Dadurch beraubt sie ihre Leser der Möglichkeit, ihn ebenfalls als Monster wahrzunehmen und zusammen mit Shahrzad sein wahres Wesen zu entdecken. Man ahnt dadurch auch, worauf die Geschichte hinausläuft und es geht nur noch um die Details. Die Handlung konzentriert sich stark auf Shahrzad und Chalid und ihre Liebe, die aus Hass und Misstrauen erwächst. Während man Shahrzads widerstreitende Gefühle gut nachvollziehen kann, bleibt Chalid lange Zeit kühl und unnahbar, was ihn jedoch umso interessanter macht. Die Autorin hätte diesen Aspekt noch besser ausreizen können, denn Chalid lässt etwas zu früh hinter seine kalte Fassade blicken.

Die Nebenhandlungen werden in „Zorn und Morgenröte“ nur grob umrissen. Während Shahrzad im Palast der Gnade des Kalifen ausgesetzt ist, setzt ihr Kindheitsfreund Tarik alles daran sie zu retten. Dafür will er sogar eine Armee aufstellen, die Chorasan angreift. Tarik handelt dabei meist überstürzt und entpuppt sich als Hitzkopf, der erst handelt und dann nachdenkt. Auf den Leser wirkt er recht unsympathisch, weil er Chalids Konkurrent ist und von Renée Ahdieh nicht wirklich facettenreich dargestellt wird. Auch Shahrzads Vater will seine Tochter retten und wendet sich dunkler Magie zu. Sein Weg wird nur fetzenhaft wiedergegeben. Der einzige Nebencharakter, der überzeugt, ist Hauptmann Jalal, der mit seiner charmanten und aufrichtigen Art die Leserherzen erobert. Die Geschichte um Shahrzad und Chalid findet schließlich ein jähes Ende, dessen Dramatik aufgesetzt wirkt – und das offen bleibt.

Das Setting des Romans überzeugt dagegen auf ganzer Linie. Es gibt zwar nur wenige Schauplätze, doch diese entfalten sich in einem wunderbaren Kopfkino. Die Autorin hat einen sehr schönen und emotional aufgeladenen Stil, außerdem legt sie viel Wert auf Details und bringt alle Sinne in die Wahrnehmung des Palastes und seiner Gärten ein. Auch beschreibt sie die Kleidung der Charaktere sehr schön und nutzt orientalische Begriffe, die im Anhang knapp erklärt werden. Dadurch fühlt man sich tatsächlich in ein Märchen aus Tausend und einer Nacht versetzt. Schade, dass Renée Ahdieh diese wirklich gute Idee nur als seichtes Jugendbuch umgesetzt hat. Junge Leserinnen, die Liebesgeschichten zwischen Feinden mögen, werden auf ihre Kosten kommen. Dazu ist „Zorn und Morgenröte“ ein wunderschön gestaltetes Hardcover mit metallisch schimmerndem Reliefdruck und farblich passendem Lesebändchen - und vielleicht kann die Autorin in den kommenden Bänden mehr überzeugen.


Fazit

Tolle Idee, traumhaftes Setting und eine mittelmäßige Umsetzung, die nur darauf abzielt, junge Leserherzen zum Stolpern zu bringen. „Zorn und Morgenröte“ wirkt wie eine seichte Mischung aus „Aladdin“ und „Die Schöne und das Biest“ und konzentriert sich ganz auf die beiden Protagonisten, die immerhin mit jeder Menge Temperament beziehungsweise einer düsteren, geheimnisvollen Aura überzeugen können.


Pro und Contra

+ orientalisches, märchenhaftes Setting
+ Shahrzad überbrodelndes Temperament
+ Chalids düstere, kalte Aura
+ starke Protagonisten
+ Hauptmann Jalal
+ emotional aufgeladener Schreibstil
+ stimmungsvolle Details
+ traumhaftes Hardcover

- schwache Nebencharaktere
- Nebenhandlung nur grob umrissen
- überhastetes, offenes Ende

Wertung: sterne3.5

Handlung: 3/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5

Tags: orientalische Fantasy