Herbstlande (Fabienne Siegmund, Stephanie Kempin, Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser)

herbstlande

Verlag Torsten Low (2017)
Softcover, 361 Seiten, 14,90 EUR
ISBN: 978-3-940036-40-7

Genre: Phantastik


Klappentext

Sie musste Nathan retten – um jeden Preis!

Nachdem sich ihr sehnlicher Wunsch, mit ihrem Nathan ein Kind zu bekommen, nicht erfüllt, greift Scarlett Hayden in ihrer Verzweiflung zu einem alten Zauber: Wenn man in der Halloween-Nacht einen Wunsch in einer Kürbisfratzenflamme verbrennt, soll er sich erfüllen.

Doch in ihrer Ungeduld bricht Scarlett die wichtigste Regel: Sie wirft den kleinen Zettel mit dem großen Wunsch bereits Ende August in die Kürbisflamme und setzt so eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang: Nach einem Autounfall fällt ihr geliebter Nathan ins Koma. Von einem geheimnisvollen Wesen aus Kerzenflamme und Kürbismagie erfährt Scarlett von ihrer einzigen Chance, Nathan zu retten: Sie muss in die Herbstlande reisen und die Kürbiskönigin um Erlösung bitten.

So begibt sich Scarlett auf eine gefährliche und gleichsam fantastische Reise in die Gefilde der Länder September, Oktober und November, wo Laubdrachen und Mitternachtsraben, Fleder-Schrecken und Lygnisse, Spiegelwälder und Kürbiswichtel nur ein kleiner Teil der Dinge sind, die ihr begegnen ….


Rezension

Scarlett wünscht sich nichts mehr, als endlich schwanger zu werden. Ihr Lebensgefährte Nathan lässt keinen Zweifel daran, wie sehr er sich ein Kind von ihr wünscht - sein Drängen ist so stark, dass Scarlett fürchtet, ihn zu verlieren, wenn in ihrem Bauch nicht bald ein Baby heranwächst. Aus Verzweiflung verbrennt sie einen Wunsch in einem Kürbis, auch wenn sie nicht ganz an die Legende glaubt. Ein fataler Fehler, denn die Legende ist wahr und Scarlett hat ihren Wunsch viel zu früh an den Kürbisgeist gerichtet. Kurz darauf ereilt sie die Strafe der Kürbiskönigin: Das junge Paar erleidet einen Autounfall und Nathan fällt ins Koma. Scarlett erfährt, dass seine Seele in die Herbstlande entführt wurde, und fasst den Entschluss, ihn zurückzuholen …

Scarletts Reise in die Herbstlande erinnert ein wenig an den „Zauberer von Oz“ oder auch „Alice im Wunderland“. Die Protagonistin betritt eine magische Welt, die in drei Reiche unterteilt ist: den goldenen September, den roten Oktober und den grauen November. In jedem dieser Länder leben phantastische Wesen wie Laubdrachen, Mitternachtsraben, Muphris, Trolle oder auch riesige Spinnen mit menschlichen Gesichtern. Fast alle dieser Wesen warnen Scarlett davor, zur Kürbiskönigin zu gehen, so mancher versucht gar durch eine List, sie zur Umkehr zu zwingen. Doch Scarlett hält an ihrer Liebe zu Nathan fest und lässt sich nicht von ihrem schmerzvollen Weg abbringen.

Diese tiefe Liebe zu Nathan ist der Knackpunkt der Geschichte, denn sie ist nichts weiter als eine Abhängigkeit, die Scarlett langsam aber sicher zerstört. In den ersten Kapiteln lernt der Leser Nathan als kontrollsüchtigen, aufbrausenden Mann kennen, der Scarlett in einen goldenen Käfig sperrt und ihr seine Zärtlichkeiten aufzwingt. Entsprechend wenig Verständnis hat man für Scarletts Wunsch, ihn zu retten, auch wenn man ihre Schuldgefühle nachvollziehen kann. Ihre Liebe redet sie sich nur ein und ihre Beteuerungen, dass Nathan für sie der wichtigste Mensch ist, sind leere Worte, die man bald nicht mehr lesen mag. „Herbstlande“ entpuppt sich als eine Geschichte der Selbstfindung, scheitert jedoch an seiner psychisch labilen Protagonistin.

Scarlett ist ein blasser Charakter, weil sie von Nathan stets kleingehalten wurde. Sie hat keine Freunde mehr und ihr ganzes Denken dreht sich um Versagen und Schuld. Schließlich schafft sie es nicht, Nathan ein Kind zu schenken, und natürlich ist immer sie Schuld daran, wenn Nathan grob wird, weil sie ihn enttäuscht. Diese trüben Gedankenspiralen passen nicht zu einer magischen Reise, wie sie „Herbstlande“ erzählen will. Es gehört viel Mut dazu, die Protagonistenrolle in einem Fantasyroman mit einem so schwachen Charakter wie Scarlett zu besetzen, denn es fällt dem Leser schwer, ihre Motivation zu verstehen und Sympathie zu entwickeln. Wenn sich Scarlett spürbar weiterentwickeln würde, hätte dieses Wagnis erfolgreich sein können, doch leider bleibt Scarlett bis zum Ende blass.

Dass Scarletts Entwicklung auf der Strecke bleibt, könnte daran liegen, dass dieser Roman von vier Autoren verfasst wurde. Fabienne Siegmund widmet sich dem September, Stephanie Kempin dem Oktober und das Autorenduo Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser schließlich dem November. Alle liefern dabei gelungene Einzelkapitel ab, während Scarletts Entwicklung auf der Strecke bleibt. Während sie verschiedensten Fantasywesen begegnet, bleibt sie eigentlich immer dieselbe. Immer wieder wird sie gewarnt und immer wieder bleibt sie blind für das, was mit ihr geschieht. Die Autoren konzentrieren sich dabei stärker auf die Gestaltung ihrer Herbstländer als auf die Protagonistin und den roten Faden.

“Herbstlande“ wurde von Jana Damaris Reich illustriert, deren Zeichenstil märchenhaft, aber auch etwas kindlich ist – womit er durchaus zur Geschichte passt. Denn diese ist trotz erwachsener Protagonistin und dem Abhängigkeitsverhältnis zu Nathan eher kindlich. Eventuell hätte sich entsprechend ein Kind, das im Zuge des Erwachsenwerdens seine eigene Persönlichkeit entdeckt, in der Protagonistenrolle besser gemacht.


Fazit

“Herbstlande“ bietet eine magische Fantasywelt voll herbstlicher Farben und Kreaturen, die in einzelnen Kapiteln wunderbar zu Geltung kommen. Scarlett ist allerdings eine zu schwache Protagonistin, die es dem Leser nicht leicht macht, sie zu verstehen. Ihre Geschichte der Abhängigkeit und ihrer Flucht daraus harmoniert leider so gar nicht mit dem phantastischen Setting.


Pro und Contra

+ schön gestaltete, magische Welt
+ herbstliches Thema
+ verschiedenste phantastische Kreaturen
+ illustrierte Ausgabe

- schwache Protagonistin, die sich kaum weiterentwickelt
- roter Faden besteht nur aus der Abhängigkeit zu Nathan
- einzelne Handlungsorte und Figuren werden „abgearbeitet“

Wertung: sterne3

Handlung: 3/5
Charaktere: 2,5/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3/5


Rezension zu "Dunkle Stunden" (von Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser)

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