Das Glück des Zauberers (Sten Nadolny)

das glck des zauberers

Piper (September 2017)
Hardcover
320 Seiten, 22,00€
ISBN: 978-3492058353

Genre: Belletristik / Fantasy


Klappentext

»Allem Zauber wohnt ein Anfang inne«: So formulierte es sein Berliner Lehrmeister Schlosseck gern – und die Anfänge des Zauberers Pahroc reichen zurück in die Jahre vor dem ersten Weltkrieg. Schon bald kann Pahroc durch die Lüfte spazieren, später lernt er durch Wände zu gehen und für Sekunden aus Stahl zu sein, was ihm dabei hilft, auch den nächsten Krieg zu überleben. Als es ihm gelingt, Geld herbeizuzaubern, kann er endlich auch seine wachsende Familie ernähren. Pahroc gehört bald zu den Großen seines heimlichen Fachs, getarnt hinter Berufen wie Radiotechniker, Erfinder und Psychotherapeut. Im Alter von über 106 Jahren gilt seine größte Sorge der Weitergabe seiner Kunst an seine Enkelin Mathilda – und so schreibt er sein Leben für sie auf. p>


Rezension

Pahroc, ein begabter Zauberer, wurde 111 Jahre alt und als er stirbt, hinterlässt er zwölf Briefe für seine Enkelin Mathilda, die diese zu ihrem 18. Geburtstag erhalten soll. Denn zu seiner Freude durfte der alte Mann in seinen letzten Lebensjahren feststellen, dass dieses kleine Baby den „Langen Arm“ anwendet, was bedeutet, dass endlich ein Fee in seiner Familie geboren wurde. Ein weiblicher Zauberer. Denn die Fähigkeit zu zaubern, wird nicht vererbt, sondern passiert zufällig. Endlich kann Pahroc all sein Wissen über das richtige und falsche Zaubern weitergeben.

Das Buch besteht neben Vorwort und Nachwort also ausschließlich aus den genannten Briefen. Jeder Brief behandelt einen speziellen Zauber, für den es einige Regeln und Tipps gibt, aber keine Anleitung. Wie der Zauber funktioniert, darf Mathilda ein lebender Zauberer lehren. Pahroc erzählt eher davon, wie er mit dem Zauber in Kontakt kam oder das erste Mal erlebte. Dazu gibt es ein paar Anekdoten mit dem Humor eines Hundertjährigen. Besonders unpassend ist er dann, wenn er vor den historischen Kulissen, wie dem ersten Weltkrieg, oder auch mal einer Gaskammer im zweiten, stattfindet. Während Millionen von Menschen ermordet werden, was Pahroc selbstverständlich schlecht findet, kann der Zauberer wortwörtlich davonfliegen und mit seinem Leben (mehr oder minder) weitermachen, womit man sich als Leser sehr schwer identifizieren kann. Was an den Erzählungen aus der Zeit des Nationalsozialismus am meisten irritiert, ist aber, dass alles nur aus Anspielungen besteht und nie beim wortwörtlichen Namen genannt wird. Bestes Beispiel:

"Auch ich konnte die Armhochreißer nicht leiden, und ich hatte Sorge, dass ihr Idol, der Mann mit dem rechteckigen Nasenbart, Kanzler werden könnte. Aber dazu kam es dann doch: Reichspräsident Hindenburg, inzwischen der hölzernen Statue vom Königsplatz auch im Inneren seines Kopfes ähnlicher, ernannte den Finsterling zum Regierungschef."

Offensichtlich geht es um Adolf Hitler und seine Anhänger, aber Sten Nadolny lässt seinen Protagonisten ausschließlich um den heißen Brei reden, anstatt die Fakten beim Namen zu nennen. In solchen Momenten fragt man sich, für welche Zielgruppe das Buch gedacht ist? Die meisten Leser verstehen sofort, was gemeint ist, aber das Ziel im Briefroman ist es, die Enkelin im Jahre 2031 über die Zeit damals und sein eigenes Leben zu informieren, wie soll es helfen Dinge nicht beim Namen zu nennen? Außerdem bleibt die Frage offen, warum Mathilda erst mit 18 Jahren die Ratschläge ihres Großvaters bekommt, wenn die Fähigkeiten bereits in der Jugend an die Oberfläche gelangen. Das Buch handelt dann die Jahre der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart ziemlich schnell ab, in der ganz nebenbei die Flüchtlingskriese und der Abgasskandal tangiert werden, mit absurden Passagen wie:

„Die moderne Technik ist in den Tagen, da ich Dir dies schreibe, einigermaßen in der Lage, diese Art von Zauber nachzuahmen: Auf Abgas-Prüfständen verhalten sich Autos völlig anders als auf der Straße.“ 

Frustrierend ist, dass der Inhalt besonders dann, wenn man merkt, wie spannend die Idee ist und wie sie z.B. einen perfekten Jugendroman hätte abgeben können, so trocken und nebenbei erwähnt erzählt wird. Schuld ist die Briefform, die einfach keine Spannung aufkommen lassen will. Was man Sten Nadolny durchaus lassen muss: Das Buch liest sich exakt so, als hätte es ein Hundertjähriger geschrieben. Er schweift ab und zu ab und verliert den Faden, was er selber zugibt: 

"Liebe Mathilda, jetzt habe ich mal zurückgeblättert. Meine Ermahnungen und Empfehlungen sind etwas reichlich, aber habe bitte Geduld mit mir. Suche Dir aus, was Du brauchen kannst, den Rest betrachte mit Humor.“ 

Durch die Briefform gibt es auch nur einen relevanten Charakter, den man entweder sympathisch findet oder eben nicht. Natürlich begegnen Pahroc viele Menschen, aber bis auf seine große Liebe Emma, bleiben die Charaktere blass, weil nur am Rande erwähnt. Pahroc ist einerseits ein Altruist, denn er handelt in der Regel moralisch nicht verwerflich und auch nicht gegen das Gesetz. Und wenn, dann ist es, um jemandem zu helfen, was es global gesehen, eben doch moralisch vertretbar macht. Im Laufe des Buchs werden seine Handlungen aber egoistischer oder unbedachter. Wenn er sich in den Kopf setzt, Menschen helfen zu wollen und sich als Psychotherapeut ausgibt und Urkundenfälschung begeht, wundert man sich dann durchaus über sein Verhalten. Ob Pahroc einem sympathisch ist, wird von Leser zu Leser unterschiedlich sein. 

Mitunter kann „Das Glück des Zauberers“ ein furchtbar dröges und oberflächliches Buch sein, das vor Altmänneraugenzwinkerns geradezu überquillt. Dummerweise weiß man durchaus, was Sten Nadolny sagen möchte. Wie ambitioniert der Roman gedacht ist, besonders wenn man das Nachwort aus dem Jahr 2032 liest, das das komplette Geschriebene von zuvor in ein völlig anderes Licht rückt. Aber der Twist am Ende kann einem den anstrengenden und ermüdenden Weg, den man gehen musste, auch nicht abgelten. 


Fazit

Sten NadolnysDas Glück des Zauberers“ ist inhaltlich eine ambitionierte und kluge Geschichte, aber die Art, wie sie erzählt wird, strapaziert die Nerven. Der Roman ist zu kurz, um wirklich in die Tiefe zu gehen und bedient sich stattdessen belangloser Lebensweisheiten auf dem Niveau von Glückskeksen. Gleichzeitig liest sich das Buch aber, als sei es Tausend Seiten lang. Vielleicht muss man selber erst in das hohe Alter des Zauberers kommen, um seine Sicht der Geschichte zu schätzen zu wissen.


Pro und Contra

+ interessante Parallelwelt voller Magie
+ der Twist am Schluss
+ manch eine Lebensweisheit kann man mitnehmen

- zäh trotz der Kürze
- Anspielungen statt Einblicke
- bizarrer Humor in Humorlosen Situation (vermutlich so beabsichtigt)
- Briefform verhindert jegliche Spannung

Wertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 2,55/5
Lesespaß: 2,5/5
Preis/Leistung: 2/5