Stadt aus Wind und Knochen (Fran Wilde)

Knaur (November 2017)
Originaltitel: Updraft
Übersetzerin: Marie-Luise Bezzenberger
Taschenbuch
400 Seiten, 12,00 EUR
ISBN: 978-3-426-52063-5

Genre: High Fantasy


Klappentext

Mit der Magie ihrer Stimmen haben die Sänger vor langer Zeit Chaos und Krieg beendet. Seitdem herrschen sie unangefochten in der Stadt der beinernen Türme hoch über den Wolken. Sie sind Hüter des Gesetzes, Bewahrer der Traditionen und die Einzigen, die die Knochentürme weiterwachsen lassen können. Als die junge Kirit die Aufforderung erhält, sich den Sängern anzuschließen, ahnt sie nicht, dass im Inneren der geheimnisvollen Knochennadel ihr Weltbild ins Wanken geraten wird – und mit ihm alles, was der Stadt der beinernen Türme Frieden und Sicherheit garantiert.


Rezension

Der Schauplatz von Fran Wildes Roman ist außergewöhnlich: Hohe Türme aus lebendigem Knochen erheben sich über einer dichten Wolkendecke. Einige von ihnen sind durch Brücken miteinander verbunden, wieder andere dagegen sind nur durch Fliegen erreichbar. Nahezu alle Bewohner der Türme besitzen Flügel aus Seide und Knochenstreben, mit denen sie durch die Luft fliegen können. Das Leben hoch über den Wolken wird von dem Wunsch, dass der eigene Turm wachsen und der Aufstieg auf eine höhere Ebene möglich werden möge, aber auch von Gefahr und knappen Ressourcen bestimmt.

Deshalb sind die Sänger so mächtig. Sie können die Türme zum Wachsen bringen und sind die wirkungsvollsten Verteidiger, wenn „Wolkenschlünde“ die Bewohner der Stadt attackieren. Diese gigantischen, unsichtbaren Geschöpfe mit ihren langen Tentakeln sind eine tödliche Bedrohung. Die Sänger werden für ihre besonderen Fähigkeiten geehrt, aber auch gefürchtet, weil sie die Gesetze der Stadt unbarmherzig umsetzen und nur einander Rechenschaft schulden. Allein, wer einen Sänger formell herausfordert und in der Luft im Kampf besiegt, kann von diesem eine Wahrheit fordern – und die Chancen, erfolgreich einen solchen Kampf zu bestreiten, stehen nicht gut.

Kirit denkt selten darüber nach – anders als ihr Freund Nat, dessen Vater von den Sängern zum Tode verurteilt wurde, ohne dass jemand weiß, warum. Kirit wünscht sich nichts sehnlicher, als in die Fußstapfen ihrer Mutter, einer erfolgreichen Händlerin, zu treten. Doch kurz vor ihrer Flugprüfung vertreibt ihr Schrei einen Wolkenschlund und die Sänger werden auf die junge Frau aufmerksam. Nun lassen sie nichts unversucht, um sie in ihren Turm, die Spire, zu holen.

Widerwillig schließt Kirit sich ihnen an, lernt, ihre Stimme wirkungsvoll einzusetzen, und erfährt einige Geheimnisse der Sänger. Andere Wahrheiten dagegen gibt die Spire nur widerwillig preis. Nach und nach entdeckt Kirit ein Wirrwarr aus internen Streitigkeiten, dunklen Geheimnissen, Erpressung und Manipulation. Und sie erfährt auch, wie eng die Machenschaften der Sänger mit der Geschichte ihrer Familie verflochten sind. Immer wieder gerät sie in Loyalitätskonflikte.

Der zweifellos eindrucksvollste Aspekt von „Stadt aus Wind und Knochen“ ist das Setting. Die Türme, die Wolkenschlünde, die Traditionen und Lebensweise der Menschen darin werden lebendig geschildert, sind ungewöhnlich und originell. Gleichzeitig bleiben aber auch ein paar Fragen offen. So ist es schwer, sich vorzustellen, dass der Pflanzenanbau in luftiger Höhe wirklich ergiebig genug ist, um die Turmbewohner zu ernähren. Auch die Frage, wie es eigentlich zu dieser ungewöhnlichen Lebensweise gekommen ist, bleibt unbeantwortet. Zwar ist von einem „Aufstieg“ in der Vergangenheit die Rede, einer entscheidenden Episode in der Geschichte der Stadt, die in den Überlieferungen der gewöhnlichen Turmbewohner und der Sänger völlig verschieden dargestellt wird, aber wie diese Darstellungen nun eigentlich aussehen, wird immer nur angedeutet. Es gibt Bücher, in welchen offene Fragen eher noch zur Atmosphäre und Überzeugungskraft der Geschichte beitragen, aber hier lenken sie eher ab.

Die Figurenkonstellation und die Geheimnisse, die die Figuren hüten, sind spannend ausgedacht und oft wird Kirit von Nebenfiguren überrascht. Auch sind die Sänger durchaus differenziert geschildert, da sie überzeugt sind, im Interesse der Stadt zu handeln, selbst wenn sie die Leben von Stadtbewohnern opfern. Zugleich ist die Figurenzeichnung nicht so stark, wie ich sie mir gewünscht hätte. Gerade die Ich-Erzählerin Kirit, die zwar am Ende wichtige, mutige Entscheidungen trifft und die sich von Anfang an gegen den Willen der Sänger auflehnt, von deren Zielen und Persönlichkeit man aber außer ihrem anfänglichen Wunsch, Händlerin zu werden, zunächst wenig mitbekommt, hat bei mir lediglich vage Sympathie ausgelöst. Die Entdeckungen und Überraschungen, die sie im Verlauf der Handlung erwarten und die in einem angenehmen Tempo aufeinander folgen, sorgen zusammen mit dem flüssigen, leicht zu lesenden Stil dafür, dass sich das Buch dennoch mühelos und unterhaltsam liest.


Fazit

Fran Wilde hätte (z.B. durch eine plastischer geschilderte Hauptfigur) noch ein wenig mehr aus der außergewöhnlichen Grundidee von „Stadt aus Wind und Knochen“ machen können. Dennoch sorgen eine geschickt konstruierte Handlung und vor allem ein faszinierendes, originelles Setting dafür, dass die Lektüre Spaß macht.


Pro und Contra

+ Setting
+ differenzierte Darstellung der Sänger
+ spannende, miteinander verbundene Geheimnisse
+ originelle Ideen

- Kirit als etwas blasse Hauptfigur
- törende offene Fragen in Bezug auf den Weltentwurf

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5

Tags: High Fantasy