S. P. Dwersteg (10.08.2023)

Interview mit S. P. Dwersteg

spdwersteg2Literatopia: Hallo, Sonja! Kürzlich ist im Luzifer Verlag mit „Die Bedrohung“ der Auftakt Deiner Fantasyreihe „Kampf gegen die Xenlar“ erschienen. Was erwartet die Leser*innen in der Adelsrepublik Montzien?

S. P. Dwersteg: Die Lebensbedingungen in Montzien verändern sich rasant, und die zuvor – zumindest in Teilen – demokratische Struktur des Landes wandelt sich hin zu einer zentralistischen Diktatur. Montzien, das für Kunst und Kultur berühmt gewesen ist, wird von Xenlar unterwandert, die Menschen werden abgestumpft und zur Folgsamkeit genötigt. Nur sehr wenige bemerken es.

Literatopia: Wer sind die Xenlar? Woher kommen sie? Und was macht sie zu Parasiten?

S. P. Dwersteg: Die Xenlar sind eine intelligente Spezies aus einer ganz anderen Welt. Die Energiewesen funktionieren als riesiges Kollektiv, sie können sich zur Matrix vereinen und ebenso einzelne Xenlar abspalten. Diese müssen sich menschliche Körper suchen, um zu überleben, und sie töten die Seelen bei der Übernahme. Ein Xenlar benötigt ein bestimmtes energetisches Umfeld, dass er in Hirnströmen vorfindet. Die Spezies ist zäh, ihr liegt nichts an Individuen, und sie ist auf Expansionskurs. Xenlar erschaffen winzige Raumzeitportale durch die sie massenhaft und dezentral einfallen können. Einzig die korrodierenden Zeitkristalle auf der Insel Hugmyndin bieten der Menschheit einen gewissen Schutz. Aber nicht mehr lange.

Literatopia: Dein Protagonist, Sentry de Bonbaille, ist ein Lord der Energien und Rätsel. Was können wir uns darunter vorstellen?

S. P. Dwersteg: Sentry de Bonbaille ist ein facettenreicher, junger Lord und Mensch. Er vereint mehrere Symbionten auf sich, und der Rätsellöser und der Lord der Energien sind die zwei Wichtigsten. Im Gegensatz zu den Xenlar töten Symbionten ihre menschlichen Träger nicht, sondern sie suchen Synergien. Sentry kann durch einen von ihnen auf Mineralien zugreifen, und er verteidigt sich mit Energieumwandlungen, die sein Symbiont ermöglicht. Als Rätsellöser kann er Kraftfelder verschlüsseln und entschlüsseln, Türen und Tore öffnen und Zusammenhänge besser begreifen. Da ist natürlich noch mehr.

Im Gegensatz zu den Xenlar sind die Lords/Ladies Individualisten, die in Netzwerken zusammenarbeiten können, und an dieser Stelle kommt Sentry ins Spiel. Sie haben kein Schwarmverhalten wie die Parasiten, auch wenn sie entfernt mit diesen verwandt und ursprünglich vor ihnen geflohen sind. Am Wichtigsten: Lords brauchen keine Menschenkörper zum Überleben. Sie suchen den Kontakt, um sich gemeinsam gegen die Xenlar zu stellen.

die bedrohung kampf gegen die xenlar1Literatopia: Was zeichnet Sentrys Charakter aus? Was und wer hat ihn geprägt?

S. P. Dwersteg: Mein Hauptcharakter ist grundsätzlich friedliebend. Er wollte in Ruhe gelassen werden und sein Leben genießen. Sentry entstammt dem Hochadel, und diese Lebensart war in Montzien tief verankert. Es war ihm nicht vergönnt, weil er als Lord geboren wurde und ein äußerliches Zeichen dafür hatte. Seine Eltern haben es entfernen lassen, aber nichtsdestotrotz war er ein heimlicher Lord, und als sein ältester Bruder davon erfahren hat, hat er ihn jahrelang gequält. Zehn Jahre Altersunterschied können eine Menge ausmachen, zumal der Rest der Familie auf Seiten der Xenlar stand und steht. Sentry ist nicht daran zerbrochen, selbst nach seiner späteren Denunziation und Folter nicht. Aber natürlich hat es Spuren hinterlassen. Heute ist er dazu bereit, sich und andere mit allen Mitteln zu verteidigen, doch er ist auch labil und seine menschliche Seite braucht manchmal Halt. Er hatte sich für eine zivile Laufbahn entschieden, weil er nicht auffallen wollte, und wird notgedrungen zu einem zentralen Anführer des Widerstrands.

Literatopia: Würdest Du uns die anderen handlungsrelevanten Figuren kurz vorstellen? Wer unterstützt Sentry? Und wer stellt sich ihm in den Weg?

S. P. Dwersteg: Zu allererst ist Fürst Jarosz von Garahon zu nennen. Jarosz ist ein Lord des Mentalen, Telepath, Netzwerker und Schwertmeister, der Sentry während der Flucht hilft und ihn bei sich aufnimmt. Er ist ein verwaister Vater und Witwer, weshalb die beiden sich – was das Persönliche angeht – gefunden haben.

Eine weitere Persönlichkeit ist Tellosz, dessen schwuler Cousin. Auch ihm begegnet Sentry auf der Flucht, und er erkennt, dass Tellosz nicht nur ein eiskalter Killer ist, sondern zugleich ein Lord der Heilung, der hilft, ohne es zu bemerken. Tellosz ist so alt wie Sentrys ältester Bruder Alastair, und er wird ein enger Freund.

Von den Garahonern abgesehen, entwickelt Sentry eine enge Verbindung zu einer amazonenhaften Frau aus Eshfaran: Eshandra Kerí. Sie verbindet sich mit ihm durch einen Eid und wird zu seinem Medium, weil sie Energieströme äußerst sensibel wahrnehmen kann.

Und dann ist da noch Feraia de Bonbaille, Sentrys jugendliche Schwester. Sie ist eine Lady mit Macht über die Flora, und in ihrem Kern härter als ihr Bruder. Feraia ist als stolze Oberschichtstochter aufgewachsen, und – im Gegensatz zu ihrem Bruder – liebt sie ihr heimatliches Fürstentum.

Sentrys Gegner sind Zensoren, die brutale Vorhut des Xenlar-Kollektivs, sowie sein Bruder Alastair, der sich dem Xenlar Zemhair in Band 2 als Wirtskörper überlässt und von diesem ausnahmsweise am Leben gelassen wird. Damit erhält Sentry einen doppelt gefährlichen Feind. Mit einem anderen Zensor, Ryshuar, liefert er sich eine Kampf, den er knapp und schwer verletzt gewinnt. Außerdem gibt es von den Xenlar veränderte Menschen, die ihnen sklavisch dienen, und gefährliche Kollaborateure und Attentäter. Der Widerstand muss sich unbedingt finden und zurückschlagen.

Literatopia: Erzähl uns mehr über Deine Fantasywelt. Welche unterschiedlichen Kulturen bevölkern sie? Und von welchem Zeitalter ist sie inspiriert?

vier enklaven kampf gegen die xenlar2S. P. Dwersteg: Es gibt eine Konkurrenz der Systeme, aber Zeitalter will ich hier nicht vergleichen. Da ist das dekadent gewordene Montzien, ein föderaler Staat. Montzien ist ein Zusammenschluss aus Fürstentümern, deren Anführer unaufmerksam und egoistisch geworden sind, was den Xenlar Tür und Tor geöffnet hat.

Dann gibt es Eshfaran, eine Demokratie samt Parlament und hitzigen Debatten, die sich manchmal zu sehr im Kreis drehen und Entwicklungen behindern. Eshfaran könnte Vorbildfunktion haben, wenn es unsinnigen Wortgefechten Grenzen setzen würde. Hier führen viele Frauen, und Eshandra Marí, ihre Präsidentin, lernen wir kennen. Familien sind in Eshfaran nicht traditionell ausgerichtet, die Ehe gibt es nicht.

Die Enklave Garahon ist ein autokratisches Fürstentum mit Regeln, die die Macht des jeweiligen Anführers oder der Anführerin begrenzen. Fürst Jarosz ist oberster Verwalter, und er muss sich um das Wohl der Garahoner kümmern. Nichtsdestotrotz ist Garahon eine Monarchie, die über die Blutlinie vererbt wird, was Jarosz notgedrungen durchbricht.

Bleibt neben dem Steppenkönigreich, das wir erst später kennenlernen werden, die Eisinsel Hugmyndin, dessen Anführer, der Oberste Lumenar, auf Lebenszeit von einem Rat der angesehensten Familien gewählt wird. Problematisch wird das, als sich der Lumenar den Invasoren zuwendet.

Zu guter Letzt gibt es die Xenlar, die in der Menschenwelt eine strenge Diktatur anstreben und Leute wie Vieh einhegen wollen. Es gelingt ihnen teilweise sehr erfolgreich. Die Xenlar selbst leben als Kollektiv mit kollektiven Interessen und, wie wir im Verlauf sehen werden, einem gnadenlosen Vorgehen auch gegen die eigene Spezies, wenn Xenlar Anzeichen von Individualität zeigen.

Literatopia: Du begeisterst Dich für Fantasy mit Horror- und Science-Fiction-Elementen. Inwiefern ist auch „Kampf gegen die Xenlar“ ein Genremix?

S. P. Dwersteg: Alle meine Charaktere sehen menschlich aus, aber sind sie es auch? Xenlar haben etwas mit Zombies gemeinsam, weil sie Seelen töten, bevor sie Körper besiedeln und übernehmen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, liegt ihnen nichts an ihren Wirten, deren Schmerzen sie nicht fühlen, und sie sind grausam.

Der zweite Punkt kommt im Verlauf der Geschichte zum Tragen. Diese hat ein mittelalterliches Setting, doch dadurch, dass viele Telepathen sind, gibt es Echtzeitkommunikation und Netzwerke. Es gibt Tarnungen, Kraftfelder, Verschlüsselungen, Scans und Enttarnungen. Ein überlegener Feind, der mit Raumzeitportalen umgeht, weil es in seiner Natur liegt, ist unmöglich mit dem Schwert zu bekämpfen. Damit lässt sich Zeit gewinnen, aber dem Problem nicht begegnen.

Ich schreibe an Band 4, und darin hat Sentry eine Art Hyperloop wiederentdeckt. Es handelt sich um eine antike Transportvorrichtung von Lords aus der Altvorderenzeit, und wir werden sehen, wie gut sie funktioniert.

Etwas anderes: Viele Lumenari von der Eisinsel Hugmyndin haben sinnlos erscheinende Energiesignaturen. Stellt sich die Frage, was das soll. Manche Dinge müssen entdeckt, entwickelt oder wiederentdeckt werden, um die Xenlar das Fürchten zu lehren.

spdwersteg1Literatopia: Bist Du durch Dein Studium der Germanistik und Geschichte zum Schreiben gekommen oder hast Du schon in Deiner Jugend eigene Texte verfasst?

S. P. Dwersteg: Es hat Versuche gegeben, die ich aufgegeben oder weggelegt habe. Ich bin nicht wohlbehütet aufgewachsen, und das erste Buch, das ich gelesen habe, war ein Handbuch über Antiquitäten, das herumlag. Jugendbücher gab es bei uns nicht, sondern nur alte Schinken mit alter Schrift aus einem Erbe. Also habe ich die gelesen. Ich hatte als Studentin eine gute Freundin, die geschrieben hat und in einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Das hat mich später ausgebremst. Für mich ist Sprache ein veränderliches Material, vielleicht wie Ton, und als Studentin lag mein Fokus auf der Linguistik. Man kann etwas aus Sprache formen. Pressetexte, Anleitungen, Reden, Gedichte, die schöne Literatur usw.

Literatopia: Welche Autor*innen und Werke haben Dein Schreiben inspiriert?

S. P. Dwersteg: Grundsätzlich mag ich aufregende, ideenreiche Bücher, in die ich eintauchen kann. Es gibt ein paar Geschichten, die mich nicht loslassen, und das sind auch ein paar Klassiker. Ganz früh hat mich „Der Graf von Monte Christo“ von Dumas mitgerissen, weil die Geschichte auf einer ungeheuerlichen Ungerechtigkeit fußt. Später „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Wilde, nach wie vor ein wundervolles, düsteres Werk. Tolstoi bewundere ich für „Krieg und Frieden“, weil er Schlachtengetümmel und Charaktere sensibel beschrieben hat.

Im phantastischen Bereich hat mich „Wheel of Time“ von Jordan gepackt, der leider zu früh verstorben ist, um sein Werk zu vollenden. Und natürlich „Kingkiller Chronicle“ von Rothfuss. Ich schätze Magie, die ihre eigenen Regeln hat, und Kvothe ist ein gutes Beispiel dafür. Es hat mich regelrecht glücklich gemacht, dass der junge Mann nicht selbstverständlich zaubern kann, sondern dass dafür bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen.

Literatopia: Als Debüt hast Du Dich gleich an eine ganze Reihe gewagt. Wie behältst Du den Überblick beim Schreiben? Plottest Du die einzelnen Bücher bis zum Ende durch oder hältst Du nur grobe Eckpunkte fest?

S. P. Dwersteg: Eckpunkte, wobei es das nicht ganz trifft, weil ich natürlich plotte, um richtig anzukommen. Ich spiele Szenen und Spannungsbögen lange durch, oft im Halbschlaf, bis sie passen. Dann notiere ich sie mir handschriftlich, meistens als Dialoge mit kurzen Einleitungen und dicken Überschriften, damit ich sie wiederfinde, wenn ich sie brauche. Ich habe ein Raster, das zu neunzig Prozent in meinem Kopf existiert. Der Spannungsbogen eines Buches muss natürlich stehen, das ist klar.

Literatopia: Was waren für Dich die frustrierendsten Momente während Deines Schreibprozesses? Und welche die schönsten?

oktaeder der zeit kampf gegen die xenlar3S. P. Dwersteg: Schön ist das Loslassen, wenn ich mein Ziel vor Augen habe und meine Figuren handeln und reden lassen kann. Ein Sentry, eine Kerí oder ein Tellosz haben wie alle Menschen Verhaltensmuster, die für sie typisch sind. Sie reden und denken auf ihre Art, und meine Finger müssen auf der Tastatur schritthalten. Alles, was aufregend ist und mit Emotionen zu tun hat, macht Spaß.

Frustrierend? Ich bin nicht so leicht zu frustrieren. Sicher, es gibt Passagen, die einem langwierig vorkommen. Das sind für mich vor allem Darstellungen von örtlichen Gegebenheiten. Damit bin ich manchmal länger unzufrieden. Aus der PR-Arbeit weiß ich aber, dass es hilft, Abschnitte ruhen zu lassen. Mindestens eine Woche, dann wird es einfacher.

Literatopia: Du arbeitest bereits am vierten Band von „Kampf gegen die Xenlar“. Kannst Du bereits abschätzen wie umfangreich die Reihe wird?

S. P. Dwersteg: Ursprünglich war die Reihe auf drei dicke Bände angelegt, und der Luzifer Verlag und ich sind dann übereingekommen, meinen ersten, fertigen Band in drei Teile zu splitten. Selbstredend habe ich Anfänge und Enden für „Die Bedrohung“, „Vier Enklaven“ und „Oktaeder der Zeit“ noch einmal umgeschrieben und angepasst. Dass die einzelnen Bücher nun kürzer sind, beeinflusst mein Konzept, und ich muss Spannungsbögen und Höhepunkte verschieben und zum Teil anders und schneller auf den Punkt kommen. Ich tippe auf sieben Bücher, wir werden sehen.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Fotos: Copyright by S. P. Dwersteg

Website: https://www.dwersteg.com/


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.