Ella Smoke (16.08.2023)

Interview mit Ella Smoke

Porträt von Autorin Ella Smoke: Junge Frau mit Brille und rotblondem Haar, die den Kopf schief gelegt hat und in die Kamera schautLiteratopia: Hallo, Ella! Im Sommer ist Dein Debüt „Die dunkelste Vorstellung“ beim Verlag ohne ohren erschienen. Was erlebt Deine Protagonistin Grace im Wanderzirkus in London?

Ella Smoke: Hallo Judith. Vielen Dank für die Einladung zu diesem Interview! Es ist mir eine große Freude!

Die junge Grace erlebt die schlimmste Show jenseits ihrer dunkelsten Vorstellung, darunter wird jeder etwas anderes verstehen, aber für Grace ist es anfangs eine Tortur. Denn sie wird von ihrem machtgierigen Onkel, dem sie aufgrund ihrer kleinen Größe ein Dorn im Auge ist, an eine Freakshow verkauft, die nur zum Schein als Wanderzirkus in London gastiert. Doch Grace ist nicht allein, sie hat ihr mutiges mechanisches Hündchen Klick-Luck an ihrer Seite und sie plant ihre Flucht, doch an dieser Freakshow ist nichts, wie es scheint. Was ist echt? Was ist Illusion? Graces Geschichte ist beklemmend, bewusst unbequem, aber auch magisch und hoffnungsvoll (versprochen!)!

Literatopia: Ein Zirkus mit Menschen als Attraktion, sogenannten Freaks, ist ein schwieriges Thema. Wie gehst Du mit Diskriminierung und Ableismus im Buch um?

Ella Smoke: Bevor ich damals die Kurzgeschichte niedergeschrieben habe, habe ich zu allererst in der Geschichte der Freakshows gewühlt. Zuerst findet man einmal so gut wie gar nichts, keine persönlichen Schilderungen, doch je weiter man an der Fassade der Unterhaltung und Bespaßung kratzt, desto mehr wird klar, dass dies keine schöne Zeit für die Betroffenen war. Zeitzeugen belegen das und schlichtweg die Tatsachen, wie die Freakshows ausgeführt wurden.

Ich habe mir dazu lange Gedanken und viel Recherchearbeit gemacht, die ich als Sensitivity Reader durchaus gewohnt bin. Ich habe beide Dinge zur Hauptproblematik gemacht. Das ist nicht sehr weit hergeholt, wenn man auf unsere Gesellschaft sieht, in der wir noch viel Arbeit vor uns haben. Einige dieser Momente, die z.B kleinwüchsige Menschen erleben, habe ich hier mithinein genommen. Sie spiegeln Erfahrungen wider, eigene Erfahrungen sind darin enthalten, die mich zu so mancher Szene inspiriert haben.

Und auf der anderen Seite haben wir die historische Vergangenheit der Freakshows. Die Menschen, die dort arbeiteten, wie falsch angenommen nicht freiwillig per se, ich würde das nicht freiwillig nennen, wenn ich sonst keine andere Wahl habe. Man wird gezwungen, weil man darin hineingeboren wurde, weil man sonst verhungern würde, ja, diese Schicksale waren dort ebenso vielfältig. Bestimmt gab es Menschen, denen es dort gut ging, aber das ist nicht das Thema. Das Thema ist, Vorurteilen entgegenzutreten und aufzuzeigen, was falsch läuft, damals falsch lief und es auch heute noch immer tut. Ich will Menschen mit der Geschichte näherbringen, wie es ist in den Schuhen einer kleineren Person zu stecken, die nicht der Norm entspricht, und der Leserschaft zu verstehen geben, dass Behinderungen nicht unbedingt verstanden werden müssen, um respektiert zu werden.

Es ist zwar eine fiktive Geschichte mit nicht realen Personen, doch habe ich es mir nicht nehmen lassen, die Problematik der Freakshow in der realen Welt miteinfließen zu lassen.

Die Freakshows waren schon damals recht umstritten, denn sie schließen unter anderem Unwille und Menschenhandel mit ein, dies habe ich in meiner Geschichte thematisiert, in dem ich diese mit den Schicksalen der Figuren verflochten habe.

Literatopia: Wie würdest Du Grace‘ Charakter beschreiben? Wie verkraftet sie die Verluste in ihrem Leben? Und was hilft ihr, dem Hass der Menge entgegen zu treten?

Ella Smoke: Ich glaube generell, dass Verluste nicht zu verkraften sind, doch wie Grace es tut, muss man damit lernen umzugehen. Sie zerrt von ihrer Vergangenheit, denn ihr Vater hat ihr durchaus Stärke mitgegeben. Er hat ihr viel beigebracht und sie auch wirklich „gesehen“. Ein Mensch, der sein Leben lang diskriminiert wird, entwickelt eine gewisse Stärke, weil man muss, weil man nur so überleben kann.

Grace ist auch ganz klar meine Lieblingsfigur in dieser Geschichte. Sie repräsentiert für mich Mut und Stärke, die ich vermutlich nie besitzen werde, daher ist sie meine absolute Heldin!

Literatopia: Würdest Du uns die anderen wichtigen Charaktere kurz vorstellen?

Ella Smoke: Ich stelle euch vor: Der erste Antagonist, der verschlagene Onkel. Er ist nicht nur fies, sondern hat wie der gemeine Zirkusdirektor Lamb (der zweite Antagonist der Geschichte) kein Herz.

Jetzt zu etwas fröhlicheren: Klick-Luck, Grace mechanischer Dackel (hier kommt das Genre Steampunk zu Tage), superlieb und gutherzig. Er wird so manch Herzen zum Schmelzen bringen!

Die Freakshow-Truppe: Cala, DeBell, Adam, Peter, Atsu. Sie alle haben wie Grace eine Vergangenheit, die in dieser Geschichte angedeutet oder erzählt wird. Sie alle halten zusammen und versuchen einfach nur die nächste Vorstellung unbeschadet zu überstehen. Doch nicht alle sind begeistert, dass Grace in die Freakshow aufgenommen wurde.

Literatopia: Im Klappentext heißt es, der Roman sei „unbequem und magisch“ – welche Art von Magie erwartet uns in „Die dunkelste Vorstellung“?

Ella Smoke: Ich fühle mich etwas schuldig, dass zu sagen, aber ich möchte hierzu absolut nichts verraten. Es ist eine Vorstellung, die erlebt werden möchte. Aber ich kann versprechen, dass es magisch wird.

Da es mein erstes Buch ist, war es für mich auch gleich zweifach ein magisches Erlebnis.

Literatopia: Was fasziniert Dich persönlich am Thema Zirkus? Bist Du für spektakuläre artistische Vorstellungen zu begeistern?

Ella Smoke: Ich mochte immer schon die Aufmachung, die Zelte, die Atmosphäre der Wanderzirkusse, die von Stadt zu Stadt ziehen. Aber ich rede von den heutigen Vorstellungen, die ohne Tiere gemacht werden. Etwas was mich noch mehr fasziniert ist, wenn die Artisten in Rollen schlüpfen, jedes Mal frage ich mich wie viel von der Persönlichkeit zeigt die Person? Oder wer steckt hinter jener Maske?

Literatopia: „Die dunkelste Vorstellung“ ist aus einer Kurzgeschichte entstanden, die Du für eine Anthologie eingereicht hattest. Was hast Du gedacht, als damals das Feedback vom Verlag kam, dass die Geschichte nicht Teil der Anthologie werden soll, sondern ein eigener Roman?

Ella Smoke: Ich dachte, oh bei Mutter Natur! Nein, eigentlich dachte ich. Ach du heilige Shice!

Ich war total perplex und habe mir die Mail gleich mehrmals durchgelesen. Dann bin ich wie außer mir vor Freude durch die Wohnung gehüpft. Denn mit so einer Nachricht habe ich tatsächlich nicht gerechnet. Der Verlag hat erstmals gefragt, ob ich mir so ein großes Projekt denn vorstellen könnte, aber es war mir von der ersten Sekunde an klar, dass ich dazu Ja sagen musste.

Literatopia: Wie viel hat sich bei „Die dunkelste Vorstellung“ im Vergleich zur Ursprungsgeschickte verändert?

Ella Smoke: Ja, und wie! Ich hatte schon beim Schreiben der ursprünglichen Kurzgeschichte gemerkt, dass ich so viel zu erzählen habe. Letztlich musste ich die Hälfte wieder streichen, doch all dies kam letztendlich wieder in den Roman hinein und ich glaube, dass hat der Geschichte wieder gut getan, sie ganz gemacht! Aber die Grundidee blieb von Anfang an dieselbe.

Die Wendungen bekamen mehr Inhalt, wie die Charaktere mehr Tiefe und ich konnte mehr in die Atmosphäre der Vorstellung eintauchen. Alles wurde lebendiger!

Literatopia: Ist „Die dunkelste Vorstellung“ tatsächlich Dein erster Roman oder hast Du weitere vollendete oder abgebrochene Romanprojekte in Deiner Schulblade versteckt? Und wie bist Du zum Schreiben gekommen?

Ella Smoke: „Die dunkelste Vorstellung“ ist tatsächlich mein erster fertig geschriebener Roman und veröffentlichtes Buch überhaupt, aber nicht mein erstes Buchprojekt. Da liegen derzeit eine High-Fantasy-Dreiteiler, eine dunkle Märchengeschichte und sogar Kinderbücher in der Schublade. Ersterer wird als nächstes seine Klauen nach mir ausstrecken.

Ich war immer schon ein fantasievolles Kind, dass gerne fremde Welten erfunden hat und seit dem 12. Lebensjahr versuchte ich mich im Schreiben, doch der Knopf sollte erst viele Jahre später aufgehen, denn ich liebte es mehr Geschichten zu erfinden, als zu schreiben, als es in ein Büchlein zu verpacken.

Ich glaube, das hab ich von meinem Großvater. Ich habe ihn leider nicht mehr kennen gelernt, doch zu seiner Zeit war er in seiner Freizeit leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, von ihm haben wir noch zwei wundersame Kindergeschichten (die hat er sich im Krieg ausgedacht, um zu überleben, und hat sie später seinen Kindern erzählt), die mündlich an uns Kindeskinder weitergegeben wurden.

Literatopia: Du bietest auch Sensitivity Reading an, insbesondere für die Themen Kleinwuchs und Untergewicht. Wie gehst Du beim Prüfen von Geschichten vor?

Ella Smoke: Das ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Aber zuerst einmal sehe ich mir Leseproben an und bespreche mit den jeweiligen Autor*innen die Details. Dann machen wir einen Preis aus, welchen ich mir mit Hilfe der Fehlerdichte der Leseprobe errechnet habe.

Dann geht es auch schon los. Ich schaue mir verletzende Aussagen und Begrifflichkeiten an und begründe immer, warum man das vielleicht anders benennen sollte. Wichtig ist es zu wissen, ich zensierte nie, ich merke an und die Autor*innen nehmen es an oder eben nicht, aber das kam so gut wie nie vor, da mir die Kund*innen da schon sehr vertrauen.

Literatopia: Was waren für Dich die bisher schönsten Erfahrungen im Sensitivity Reading?

Ella Smoke: Tatsächlich waren das immer die kritischen Stellen, von diesen habe ich dazugelernt und das ist das, wo ich als Autorin nur profitieren und dazulernen kann. Diese Erfahrung schenkte mir die liebe Autorenkollegin Nora Bendzko zum Thema richtige Darstellung von Hautfarben.

Literatopia: Von Dir gibt es inzwischen auch dunkelbunten Buchcontent auf TikTok – inwiefern ist die Videoplattform für Autor*innen interessant und nutzbar?

Foto von Ella Smoke vor einem Bücherregal. Sie hält eine Tasse mit Marshmallows in der Hand und grinst in die Kamera. Ella Smoke: Es macht so viel Spaß! Das sage ich dir! Anfangs fand ich die Plattform überfordernd, doch wenn sich dein eigener Algorithmus erstmal eingestellt hat, den du dir selbst wünschst, dann ist das wirklich abenteuerlich und ein wahres Bücherparadies. Du lernst so viele tolle Bücher kennen, die sonst an einem vielleicht vorbeigegangen wären. Ich merke, dass dies eine perfekte Plattform ist, um sich künstlerisch auszuleben. Ich freue mich besonders auf Halloween, da wird es auf meinem Kanal wie auch auf anderen sicher schön spooky!

Literatopia: Auf Social Media konkurrieren Autor*innen um Aufmerksamkeit und manchmal geht es ganz schön hässlich zu. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Autor*innen, die sich gegenseitig unterstützen – welche positiven Erfahrungen hast Du auf Social Media als Autorin gemacht?

Ella Smoke: Es ist wie in jeder Branche und jede Person macht einmal gute oder schlechte Erfahrungen. Doch ich muss sagen, dass die gute Seite da überwiegt. Ich habe fast nur unterstützende Schreibende kennengelernt und viele davon wurden auch zu sehr guten Freundschaften, die ich nicht missen will. Mir macht es auch mehr Freude, anderen Freude zu bereiten, indem ich sie anfeuere, Mut mache, sie in ihren Projekten unterstütze. Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum ich nächstes Jahr mich als Lektorin (Lektorat Dunkelfunkel ab 01/2024) selbständig mache.

Ich sehe das so, keine Geschichte ist wie die andere, daher verstehe ich diesen Neid und Missgunst nicht. Die Buchbranche hat es schwer genug, da finde ich es wichtig zusammenzuhalten!

Literatopia: Auf Instagram hast Du ein Foto von der Wiener Hofburg geteilt, mit Verweis auf die Recherche für ein zukünftiges Buchprojekt. Würdest Du uns etwas mehr darüber verraten?

Ella Smoke: Soweit ich das kann, gerne! Ich lebe seit meiner Geburt in Wien und ich finde es gibt zu wenig Fantasy-Bücher mit Wienbezug. Derweil steckt so viel in dieser wunderschönen (Alt)stadt, aber auch in den Außenbezirken, wo einst Napoleon uns belagerte, in der Innenstadt, wo die Pest besonders gewütet hatte, wo man heute noch etwas aus dem römischen Reich ausgräbt, die Sagen Wiens, …

Wien ist makaber und ich liebe das. In Wien wohnt ein Zauber inne und diesen möchte ich einfangen: Die engen Gassen, die „oh du lieber Augustin“-Gesänge, eine alte Wiener Sage, verschlungene Wege, die Rufe des Praters. Ich denke mehr kann ich an der Stelle noch nicht verraten, denn noch ist es eine Idee, die in mir keimt.

Ich hoffe sehr, dass ich dieses fantastische Projekt, für das ich zur Zeit sehr brenne, umsetzen kann und dass der Verlag ohne ohren nochmals ein Abenteuer mit mir wagen möchte!

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Fotos: Copyright by Ella Smoke


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.