An Brenach (09.01.2024)

Interview mit An Brenach

an brenach2024Literatopia: Hallo, An! Kürzlich ist beim Verlag ohne ohren Dein Detektivroman „Die goldene Kanone“ erschienen. Was erwartet die Leser*innen auf dem Anwesen des Sir Tilo Tas?

An Brenach: Hallo Judith. Vielen Dank für die Einladung zum Interview. Kleine Korrektur: Es ist (k)ein Detektivroman.

Auf dem Anwesen – oder zum großen Teil darunter – erwarten die Lesenden Kabbeleien und Krabbeleien, Verzweiflung im Angesicht der Dunkelheit, die absolut authentischen Tascheninhalte von Autorinnen und Autoren, Rätsel, Lösungen und insgesamt im Grunde die Begleitung aus einem Escape-Room.

Und ob der Ausgang wirklich der Ausgang der Geschichte ist … steht irgendwo am Ende, falls man so weit kommt.

Literatopia: Stell uns die „Koryphäen der Kriminalliteratur‘“ doch bitte kurz vor? Wer sind sie? Und warum können sie einander nicht ausstehen?

An Brenach: Wir haben hier vier Mitglieder der schreibenden Zunft:

Christine Agmate ist praktisch veranlagt, liebt lange, ausgedehnte Wanderungen in der kargen Natur und hat gern ihre Ruhe. Sie schreibt Kriminalromane mit ausgefeilten Plots, die von einer gewissen Dolly K. Attus als „langweilig, langatmig und viel zu lang“ bezeichnet werden.

Dolly K. Attus ist quasi das Gegenteil von Christine. Sie mag es eher romantisch, liebt ihre weichen Kissen und süße Nachspeisen. Entsprechend schreibt sie gefühlvolle Romane, in denen es viel um Liebe und Romantik geht und ein bisschen Kriminalität vorkommt, die von sehr vielen Menschen gelesen werden.

Meistens eher auf Dollys Seite haben wir Havard Gis, der auch eher gemütlich ist und einem guten Essen nicht abgeneigt. Tatsächlich sind seine Detektivromane ebenso entspannt und humorvoll und enthalten in der Regel mindestens ein opulentes Mahl.

Und nicht zuletzt: Bartholomew Magoove, bei dem zu Hause die Geschichte beginnt. Er ist der Salonheld in dieser Gruppe, von sich selbst überzeugt, bisweilen überheblich und weiß alles besser. Er schreibt aufregende Detektivromane … doch das greift auf die nächste Frage vor.

Und warum können sie sich nicht ausstehen? Nun, das ist so eine Art Hassliebe – einerseits wissen sie alle, was sie an einander haben, sie schreiben alle und kennen daher die Schwierigkeiten, die mit dieser Berufung einhergehen. Andererseits sind sie alle davon überzeugt, dass die anderen es nicht so gut machen, wie sie selbst. Sie kennen gegenseitig ihre Schwachpunkte und die Knöpfe, die man drücken muss, um sich gegenseitig zu reizen … sie sind wie ein Bündel Geschwister, die sich gegenseitig ärgern. Man kennt sich, man liebt sich, aber gleichzeitig treibt man sich auch zur Verzweiflung.

Literatopia: Mr. Magoove lässt seine Bücher von seinem Assistenten Mick van Luch schreiben. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit? Und was macht die Schreibsitzungen für Van Luch so stressig?

An Brenach: Magoove diktiert und van Luch schreibt an der Schreibmaschine mit. Dabei ist van Luch ein schüchterner, junger Mann mit wenig Selbstbewusstsein und verdammt vielen Ängsten. Dass er die Stellung bei Mr. Magoove ergattern konnte, war eine große Überraschung für ihn. Aber da er so ängstlich ist, sind die aufregenden Geschichten, die er mitschreiben soll, doch oft zu viel für ihn. (Er liest eher Dollys Romane.)

Ein anderer Autor hätte ihn wahrscheinlich inzwischen entlassen. Irgendwas muss er also doch richtig machen, und wenn es nur ein gewisser Unterhaltungswert für Mr. Magoove ist.

Literatopia: „Die goldene Kanone“ wird unter anderem dem Steampunk zugeordnet – welche typischen und untypischen Steampunkelemente gibt es im Roman?

An Brenach: Zugegeben, es sind in diesem Roman sehr wenig Elemente. Sie bestehen hauptsächlich in den Fahrzeugen, denen sie auf dem Weg zu Tilo Tass begegnen. Und vielleicht in dem einen oder anderen Wesen, dem sie im Dunkeln begegnen. Aber es könnte sein, dass es eine Fortsetzung gibt, die dann vielleicht mit ein bisschen mehr an typischen Elementen aufwarten kann …

Literatopia: „Die goldene Kanone“ ist Dein Debüt und geht auf einen Roman zurück, den Du vor zehn Jahren geschrieben hast. Wie stark hat sich die Geschichte seit der ersten Fassung verändert?

An Brenach: Ursprünglich hatte die Geschichte überhaupt keinen Steampunk enthalten. Sie spielte einfach um 1911 in London und hatte gerade auf dem Anwesen von Tilo Tass einige kleine fantastische Elemente. Deswegen hat auch nur noch wenig reingepasst, weil sie an sich schon fast *hüstel* perfekt war. Tatsächlich hat Ingrid mich darum gebeten, noch etwas mehr Fantastik einzubringen, damit es besser zum Verlagsprogramm passt.

Inhaltlich hat sich besonders das Ende sehr verändert. Es hat mehr Action bekommen, als vorher drin war, und ist damit runder geworden. Der Rest waren Anpassungen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben im Sinne … man merkte, dass ich mir damals noch keine Gedanken über ableistische Begriffe und ähnliches gemacht habe (ich hätte nicht mal gewusst, was das ist), insofern hat es dem Buch nur gutgetan, so lange zu warten.

Literatopia: Wie kam es schließlich zur Veröffentlichung von „Die goldene Kanone“? Hast Du lange nach einem Verlag gesucht?

An Brenach: Tatsächlich nicht. Ich hatte bei ohne ohren schon ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht. Insofern war es mein erster Versuch, dort anzufragen, ob sie den albernen Kram haben wollen.

Literatopia: In Deinen virtuellen Schubladen schlummern zahlreiche Geschichten, die von ihrer Veröffentlichung träumen. Werden manche dieser Träume wahr?

An Brenach: Nun, „Die Goldene Kanone“ ist gerade wahr geworden. Bisher hatte ich nur wenige Versuche unternommen, was an den Verlag zu bringen. Abgesehen von Kurzgeschichten waren sie erfolglos. Und ja, ich hoffe, dass da noch mehr kommt, was damals wie heute am chronischen Energiemangel auch dank Depressionen eher scheitert. Was danach kommt, werden wir dann sehen.

Literatopia: Du schreibst vor allem Low Fantasy, Steampunk und Science Fiction. Was fasziniert Dich persönlich an der Phantastik?

An Brenach: Die Frage hört sich so an, als wäre das eine bewusste Entscheidung. Hm … ich glaube, ein Teil davon ist, dass in der Phantastik alles möglich ist. Selbst Personen, die nett sind und sich entscheiden, etwas zu tun, das anderen hilft und ihnen selbst keinen Vorteil bringt. Selbst Flugschiffe, Magie oder eine Welt, in der Menschen mehr daran gelegen ist, sich weiterzuentwickeln, statt Geld zu scheffeln oder die Erde auszubeuten. Vielleicht bin ich auch einfach immer noch nicht erwachsen geworden und hoffe darauf, dass irgendwas davon doch wahr wird, wenn ich nur intensiv genug daran glaube.

verschlusssacheLiteratopia: Eine Schreibmaschine hat Dich früh zum Schreiben gebracht. Wovon handelten Deine ersten eigenen Geschichten?

An Brenach: Alle Geschichten, die ich damals geschrieben habe, handelten von sprechenden Tieren und waren nicht länger als eine DIN-A4-Seite.

Literatopia: Wer darf Deine Geschichten zuerst lesen – und Feedback geben?

An Brenach: Ich habe keine festen Testlesenden. Wenn es etwas ist, das ich im NaNo geschrieben habe und sich jemand im Schreibforum dafür interessiert, kann die Person sich bei mir melden und lesen. In den letzten Jahren war das aber eher nicht der Fall.

Literatopia: Wie viele Romananfänge hast Du nie zu Ende geschrieben? Woran scheiterte es? Und was hast Du daraus gelernt?

An Brenach: Öhm … man kann was daraus lernen?

Mal sehen ... also zuerst – ich habe die Anfänge nicht gezählt, zumal die ersten noch in Notizbüchern lagern.

Am Anfang habe ich eigentlich immer ungeplant geschrieben. Ich habe angefangen, weil mich eine Idee getrieben hat, und mich dann von der Story leiten lassen, bis sie irgendwann fertig war. Oder eben nicht. Dabei ist mindestens ein Roman rausgekommen, den ich immer noch sehr cool finde. Auch die meisten Kurzgeschichten sind ungeplant.

In den letzten zehn Jahren habe ich angefangen, vorher mehr zu planen. In der Regel wenigstens den groben Verlauf. Detailliertere Planungen mag ich eher nicht, weil ich mich gerne beim Schreiben überraschen lasse und die Charaktere eh meist die besseren Ideen haben. Wenn man so will, kann man das also als Lernprozess sehen. Ich plane. Und trotzdem geschieht es mir immer wieder mal, dass ich Bücher vor die Wand schreibe und nicht weiterkomme. Meistens waren sie dann noch nicht reif – dass ich eben nicht wusste, wie es weitergeht, nicht genug recherchieren konnte oder ich die Hauptfiguren nicht gut genug kennengelernt habe. Manchmal reicht es, sie liegen zu lassen, damit sie sich entwickeln können.

Manchmal bin ich irgendwo weiter vorne „falsch abgebogen“, dann reicht es, zurückzugehen und nochmal neu zu schreiben. Manchmal hilft weitere Recherche oder Gespräche mit Leuten, die sich besser auskennen. In der Regel bringt es nichts, wenn ich versuche es übers Knie zu brechen. Geschichten sind wie kleine Kinder. Sie haben ihre Marotten und sie werden trotzig, wenn man versucht sie zu zwingen.

Literatopia: Würdest Du uns abschließend noch verraten, was Du selbst gerne liest? Welche Bücher und Autor*innen haben Dich nachhaltig beeindruckt?

An Brenach: Als Kind mochte ich ziemlich viele Klassiker des letzten Jahrhunderts – Erich Kästner, Michael Ende, Astrid Lindgren, Enid Blyton – die ich (wenigstens teilweise) immer noch sehr mag. Später kam dann Tamora Pierce dazu (ihre Tortallwelt würde ich als Low Fantasy einschätzen) und ganz besonders Terry Pratchett mit seiner Scheibenwelt. Ich habe zwar immer noch nicht alles von ihm gelesen, aber er hat mich doch sehr beeinflusst, würde ich sagen. Oh, und was mich wirklich umgehauen hat, war Patrick Rothfuss mit der Kingkiller-Chronicle. Umgehauen, weil das tatsächlich ein Schreibstil ist, der mich sehr an das erinnert, wie ich mein eigenes Schreiben sehe. (ohne mich da ernsthaft vergleichen zu wollen)

Und Loriot, auch wenn ich den weniger lesend als sehend rezipiert habe. (und wenn wir schon dabei sind – zum sehenden Bereich gehören dann auch Monty Python, Star Trek und generell Science Fiction, die ich eher sehe als lese. Warum auch immer …)

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

An Brenach: Vielen Dank für die Fragen.


Foto: Copyright by An Brenach


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.