Das Grauen von Dunwich (H.P. Lovecraft, François Baranger)

Lovecraft Grauen von Dunwich

Heyne Verlag, 13.12.2023
Originaltitel: L´abomination de Dunwich (2022)
Übersetzung von H.C. Artmann
Gebunden, 64 Seiten
€ 27,00
ISBN 978-3-7857-2856-7

Genre: Horror


Rezension

Das Grauen von Dunwich, einem Dorf in Massachusetts, beginnt am 2. Februar 1913, als Lavinia, die Tochter des Hexenmeisters Zechariah Whateley, einen Sohn bekommt, den sie Wilbur nennt. In den Folgejahren entwickelt sich Wilbur in auffälliger Weise, ist den anderen Kindern voraus in Größe und Intelligenz und nach zehn Jahren schon ein erwachsener Mann. Die Menschen in Dunwich meiden die Familie. Großvater Whateley führt Wilbur in den Okkultismus ein. In der Familienbibliothek befinden sich okkulte alte Bücher, darunter die englische Übersetzung des Necronomicon, die Wilbur auch nach dem Tod seines Großvaters und dem suspekten Verschwinden seiner Mutter studiert.

Das Farmhaus der Whateleys ist ständig im Umbau und wird nach und nach zu einem einzelnen riesigen Raum, in dem sich ein Wesen verbirgt, das mit Lavinia und Yog-Sothoth verbunden ist, wie sich spät zeigt. Im Winter 1927 sucht Wilbur die Miskatonic University in Arkham auf, um dort in einer Handschrift des Necronomicon zu recherchieren. Die Fassung in seiner privaten Bibliothek ist beschädigt, es fehlt eine Seite, die er für ein Beschwörungsritual benötigt. Als der Bibliothekar Dr. Henry Armitage mitbekommt, was Wilbur im Necronomicon sucht, verweigert er ihm die Ausleihe. Wilbur will es in einer anderen Universität versuchen, es gibt ungefähr eine Handvoll Exemplare, alle unter Verschluss gehalten. Doch Armitage warnt Bibliothekare vor Wilbur.

Als Wilbur das Exemplar nachts aus der Miskatonic University stehlen will, attackiert ihn ein Wachhund und tötet ihn. Armitage, Professor Warren Rice und Dr. Francis Morgan finden den sterbenden Wilbur, der nur am Oberkörper menschlich aussieht. Er löst sich im Tod vollständig auf. Da nach Wilburs Tod niemand mehr sich um das Wesen auf der Farm kümmert, bricht dieses aus. Es ist unsichtbar, lediglich riesige fassförmige Fußabdrücke sind zu sehen. Es überfällt Dunwich und tötet Menschen. Armitage, Rice und Morgan stellen sich ihm.

Im Sommer des Jahres 1928 schrieb H.P. Lovecraft seine atmosphärische Geschichte The Dunwich Horror. Im April 1929 erschien sie im Magazin Weird Tales und wurde bald zu einem der beliebtesten Werke Lovecrafts. Ein paar erzählerische Elemente und die Stimmungsgestaltung leiten sich ab aus Geschichten wie Arthur Machens Der große Gott Pan und Algernon Blackwoods Der Wendigo. Wie Lovecraft geht auch Machen detektivisch vor, umkreist das Grauen, nähert sich ihm an und entfernt sich wieder, wobei das Personal wechselt, während sich die Handlung homogen entwickelt. Bei beiden Autoren ist das Grauen unaussprechlich. Der Wendigo stellt Menschen nach und ist wahrnehmbar durch seinen unheimlichen Geruch mit Noten von Verwesung und Tod. Ein ähnlicher Geruch geht auch von Wilbur aus, weswegen sich Hunde ihm gegenüber höchst aggressiv verhalten.

Lovecraft beschreibt die Entwicklung des kosmischen Grauens schrittweise, durch ebenfalls wechselndes Personal, allerdings zahlenmäßig weniger als Machen: Lavinia Whateley, ihr Vater Zechariah Whateley, Sohn Wilbur und Dr. Armitage, ohne dass eine Bruchstelle entstehen würde. Die Kohärenz ist durch das sich entwickelnde Grauen und eine Erzählinstanz gegeben, die alles rückblickend und kommentierend vermittelt. Mutige Bibliothekar*innen sind in der heutigen Phantastik ein beliebtes Motiv, seien es Batgirl Barbara Gordon, Rupert Giles aus der Buffy-Serie, Genevieve Cogmans Irene aus der Reihe Die Bibliothekare oder auch das Personal in A.J. Hackwiths „Hell’s Library Trilogie“. Lovecrafts mutiger Bibliothekar ist eine sehr frühe dieser Figuren.

Das Grauen von Dunwich ist Bestandteil von Lovecrafts Cthulhu-Mythos. Wichtige Elemente dieser nach August Derleth so benannten Pseudomythologie sind: die erfundene Topographie Neuenglands, die hier unmittelbares Handlungselement ist, die fiktive Stadt Arkham in Massachusetts, die Miskatonic University in Arkham, okkulte Termini des Cthulhu-Mythos, wie Yog-Sothoth und weitere bedrohliche Kräfte außerhalb unserer Dimensionsvorstellungen. Yog-Sothoth ist einer der Großen Alten aus dem Cthulhu-Mythos. Er existiert wie eine Gottheit allgegenwärtig, zeitlos und unsichtbar. Er wird bezeichnet als der Schlüssel zu dem Tor, durch das die Alten in die Welt der Menschen gelangen können.

Ein weiterer Bestandteil des Cthulhu-Mythos ist das Necronomicon. In Das Grauen von Dunwich wird der verrückte Araber Abdul Alhazred erwähnt, der mit dem Necronomicon in Verbindung gebracht wird, und es wird eine längere Passage aus dem Necronomicon zitiert. Wie im Werk Lovecrafts üblich, wird das Grauen eher suggestiv vermittelt, es gibt ein paar deskriptive Momente, aber wichtiger scheint die Beschreibung der Wirkung des Grauens auf Figuren und deren Reaktionen. Wem es gelingt, physisch unbeschadet aus den Erlebnissen hervorzugehen, dem ist die Beschädigung von Psyche und Verstand sicher.

Die Gestaltung und materielle Verarbeitung der deutschen Ausgabe weist eine hervorragende Qualität auf. Das Buch hat ein übergroßes Format (ungefähr 27x36 cm), Fadenbindung, 64 Seiten dickes Papier, schwarzes Vorsatzpapier. Der Text der Geschichte ist durchgehend unterlegt mit 26 doppelseitigen und 6 ganzseitigen Abbildungen. Der Illustrator François Baranger, der als Covergestalter und Concept Artists für Filme und Computerspiele arbeitet und sich mit seiner Reihe illustrierter Lovecraft-Erzählungen einen Wunschtraum erfüllt hat, arbeitet überwiegend digital.

In der Übersetzungsfrage hat Heyne sich entschieden für die alte Suhrkampausgabe von H.C. Artmann, die sich eher altmodisch liest, damit aber aus Sicht einiger Leser*innen näher an der Sprache des Originals liegt, die konstant bleibt und nicht durch gelegentliche Neuübersetzungen den Gewohnheiten der jeweils aktuellen Lesegeneration angepasst werden kann.


Fazit

Das Grauen von Dunwich ist eine atmosphärisch intensive Horrorerzählung, teils von grotesker Bildhaftigkeit, die Illustrator Baranger in feinen Bildern spiegelt, welche nicht zu viel wiedergeben und nur mit Andeutungen arbeiten, wo dies auch im Text geschieht.


Pro und Kontra

+ lädt ein zur Erkundung von Text und Illustrationen
+ schönes Buch, ansprechend produziert

Wertung:sterne5

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


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Tags: Kurzgeschichten, François Baranger, H.P. Lovecraft