Drachenläufer (Khaled Hosseini)

Bvt (September 2007)
Taschenbuch
Seiten: 385, 10,50 EUR [D]
ISBN: 978-3833301490

(empfehlenswert)

Genre: Belletristik


Klappentext

Afghanistan 1975: In Kabul wächst der zwölfjährige Amir auf, der mit Hilfe seines Freundes Hassan unbedingt einen Wettbewerb im Drachensteigen gewinnen will. Hassans Vater ist der Diener von Amirs Vater, doch trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft verbindet die beiden Jungen eine innige Freundschaft. Am Ende des erfolgreichen Wettkampfs wird die Freundschaft von Amir auf schreckliche Weise verraten. Diese Tat verändert das Leben beider dramatisch, ihre Wege trennen sich. Viele Jahre später kehrt der erwachsene Amir aus dem Ausland in seine Heimatstadt Kabul zurück, um seine Schuld zu tilgen.

Der Leser wird Zeuge der dramatischen Schicksale der beiden Jungen, ihrer Väter und Freunde, und erlebt ihre Liebe und ihre Lügen, ihre Trennung und Wiedergutmachung.


Rezension

Khaled Hosseini ist ein Arzt tadschikischer Abstammung, der sich schon in seiner Jugend sehr für Literatur interessierte, früh Geschichten zu schreiben begann und vor sieben Jahren mit Drachenläufer seinen ersten Roman veröffentlichte. Ein Debüt, das sich wohl zu den außergewöhnlichsten der Gegenwart zählen darf.

>> Ich träume davon, dass mein Sohn zu einem guten Menschen heranwächst, einem freien Menschen. Ich träume davon, dass wieder Blumen in den Straßen blühen und dass Drachen am Himmel fliegen. <<

Amir und Hassan sind Kinder, Freunde, Verbündete und Weggefährten und das trotz der Tatsache, dass der eine der Sohn eines Dieners und der andere der eines Herrn ist. Man neckt sie dafür, denn in Kabul wird in manchen Kreisen eine Freundschaft zwischen Patschunen und Hesares nicht gerne gesehen. Dennoch hält die innige Verbindung dem Druck von außen stand und verhilft Amir nach langem Sehnen endlich zu Anerkennung, als er gemeinsam mit Hassan einen bekannten Wettbewerb im Drachensteigen gewinnt.

Dass Hassan diesen Gewinn mit etwas ganz furchtbaren bezahlen muss, wird ihm zu spät bewusst. Dem kleinen Jungen bleibt nur eine Wahl, um mit seiner Schuld leben zu können: Er unterstellt Hassan, seinem besten und treusten Freund, ein Dieb zu sein. Mit diesem Vorwurf trennen sich die Wege der Beiden auf schmerzlichste Art. Die Schuld in Amir sitzt tief, doch erst Jahre erhält er die Gelegenheit, sie zu tilgen. Der Weg führt den in jungen Jahren aus Kabul geflüchteten Mann zurück in ein Land, das zwar früher seine Heimat gewesen sein mochte, nun aber nicht mehr wieder zu erkennen ist.

>> Ein kleines literarisches Wunder ...
Das wohl spannendste Buch über die Menschen in Afghanistan. <<

Als kleines literarisches Wunder bezeichnete Die Tageszeitung Drachenläufer und dem zuzustimmen wäre nur gerecht. Nichts anderes ist dieser ergreifende und tiefsinnige Roman. Denn der Autor schafft es nicht nur, eine emotionale und auf Details beruhende Geschichte zu präsentieren, sondern darüber hinaus dem Leser Afghanistan besonders nahe zu bringen. Man entdeckt, riecht und schmeckt es und trauert mit Amir und Hassan, um das was mit der Zeit verloren ging. Dem Gefühl für den reell gestalteten Alltag und das Leben der Menschen folgt die Verzweiflung über die heutige Situation auf den Fuß.

Ebenso bildlich wie ehrlich der Autor Afghanistan malt, deutet er auch die Hintergründe der Geschichte an, die nach und nach mit fortschreitender Seitenanzahl entfächert werden. Den Leser erwartet hierbei Spannung, Liebe, Drama und ein dermaßen gutes Gespür für Kleinigkeiten, dass man meinen könnte, Khaled Hosseini hätte sich jedes Wort mehrmals genau überlegt.

Und mit eben diesem Gefühl der Euphorie stürzt man sich ins Geschehen und lernt vorzugsweise den jungen Amir, seine Ansichten und Träume kennen. Und auch seinen Wunsch, dem Vater zu entsprechen, der so stark gegeben ist, dass man ihm schlussendlich auch den Verrat an Hassan verzeiht. Die entstehende Frage, ob dieses Verständnis tatsächlich berechtig ist, nagt dabei am Gewissen des Lesers. Diesen Zwiespalt baut der Autor gut auf und schafft es, immer wieder mit den moralischen Andeutungen seines Romans zu beschäftigen. Nur die Tatsache, dass Hassan Amir jederzeit vergeben würde, legt sich als Schatten über den nicht enden wollenden Gedankenstrom, und genau hier liegt der einzige Kritikpunkt, den man gegen diese eindringliche Lektüre hervorbringen kann. Denn der liebeswerte Hesare-Junge Hassan ist zu sehr Engel, um ihn tatsächlich als authentisch anzusehen. Er wirkt dadurch weltenfremd und sonderbar, dennoch oder gerade deswegen wird er vom Leser gemocht. Ein Zwiespalt, der im Zweifelsfall nicht überzeugt, über den man jedoch wohlwollend hinwegsehen kann. Zu sehr genießt man die anderen Teilbereiche des mit vielen Nebencharakteren besetzen Romans, die sich in Kindheit, Flucht, Erziehung, Familienehre und Rückkehr gliedern. Ob und vor allem wie es Amir schließlich möglich ist, seine Schuld zu tilgen, bleibt dabei immer die große Frage, deren Auflösung einem so manche Träne beschert.


Fazit

Drachenläufer ist ein wunderbares, tiefpsychologisches Debüt, das ohne große Aktion zu fesseln versteht. Wer sich für bildhafte Reisen in fremde Länder, oder für Afghanistan allgemein begeistern kann, wird seine Freude ebenso an der Geschichte finden wie emotionale Abenteurer auf der Suche nach dem Besonderen.


Pro und Kontra

+ bildhafte Umsetzung Afghanistans
+ emotional besonders wertvoll
+ anrührende Geschichte mit viel genutzen Potenzial
+ liebeswerte Charaktere mit Schwächen & Stärken
+ nachvollziehbar menschlich
+ umwerfend Detailverliebt

o erzählender Stil

Bewertung:

Handlung: 5 / 5
Charaktere: 5 / 5
Lesespaß: 5 / 5
Preis/Leistung: 4,5 / 5