Zerbrechliche Dinge - Geschichten und Wunder (Neil Gaiman)

Klett-Cotta (Februar 2009)
Hardcover, 329 Seiten
Preis: 19,90€
ISBN: 978-3608938760

Genre: Fantasy


Klappentext

Ein liegengebliebener Leihwagen auf einem einsamen Highway, ein düsteres Zirkuszelt voller versteckter Geheimnisse, die flirrende Hitze der ägyptischen Wüste in ihrer menschenfeindlichen Schönheit – egal, wohin Neil Gaiman seine Figuren führt, sie werden stets mit der Zerbrechlichkeit ihrer eigenen Welt konfrontiert – Abgründen, in denen manch Unglücklicher verloren ging.


Rezension

Über Neil Gaiman muss man inzwischen nicht mehr viel erzählen. Er schreibt eigensinnige, aber fantastische Bücher. Einige wurden verfilmt und so ziemlich alle mit Preisen überhäuft. Er ist dafür bekannt Realität und Fiktion zu einem stimmigen Ganzen zu vermischen. Mit „Zerbrechliche Dinge – Geschichten und Wunder“ bringt Klett-Cotta das 2006 im englischsprachigen Raum erschienene „Fragile things – short fictions and wonders“ nach Deutschland. Auch wenn das Cover der Kurzgeschichtensammlung identisch ist, so ist es das Buch nicht. Es handelt sich hier eher um „fragile things 1.1“, denn nur 17 der 34 enthaltenen Geschichten haben es in das Buch geschafft. Dafür wurde die Reihenfolge gut ausgewählt und der deutsch Leser bekommt ein gut verarbeitetes Hardcover. Ob es einen zweiten Band unter einem anderen Namen geben wird, das die fehlenden Geschichten enthält, wird wohl anhand des Erfolgs von „Zerbrechliche Dinge“ entschieden.

Folgende Geschichten haben es in dieses Buch geschafft:

Kies auf der Straße der Erinnerung
In der ein Junge fiktive Geschichten der Realität vorzieht. Besonders Geistergeschichten haben es
ihm angetan und er selbst hat eine zu erzählen.

Verbotene Bräute gesichtsloser Sklaven im geheimen Haus der Nacht grausiger Gelüste
In der ein Autor einen kunstvollen Roman verfassen möchte, um seinen Vorbildern in
Nichts nachzustehen. Doch immer wieder rutscht er in Ironie und fantastischen
Schabernack ab. Dabei ist die Realität, die er niederzuschreiben versucht, nicht weniger von
Fantastischem erfüllt.

Bitterer Kaffeesatz
In der der Protagonist einen Schlussstrich zieht, einfach ins Auto steigt und ins Unbekannte
fährt. Er lernt einen Mann kennen, der unterwegs ist zu einer Konferenz, in der die Existenz
von Zombie diskutiert wird. Als dieser Mann plötzlich verschwindet, nimmt der Protagonist
seine Identität an.

Gustav hat den Frack an
In der ein Junge in der Schule Kontrabass spielen lernen soll. Doch er kann sich nicht dazu
durchringen zu üben. Als dann plötzlich Gäste vor ihm stehen und ihn die schöne Frau bittet
zu spielen, verweigert er sich ihr nicht und spielt.

Wie man auf Partys Mädchen anspricht
In der zwei Pubertierende auf einer anderen Party landen, als sie eigentlich wollten.
Die Mädchen dort sind ebenfalls anders. Die eine meint ein Sternenwesen zu sein und
eine andere von einem anderen Planeten zu stammen. Wahrheit oder nicht?

Eine Studie in Smaragdgrün
In der ein Kriegsveteran und ein beratender Detektiv einen Mord an einem Prinzen
untersuchen.

Die wahren Umstände im Fall des Verschwindens von Miss Finch
Drei Freunde und eine unliebsame Begleiterin gehen in einen Zirkus. Anstelle eines Zeltes
werden allerdings Katakomben genutzt. In jedem Raum gibt es eine andere Attraktion. Die
Angst hält sich in Grenzen - bis sie zum letzten Raum kommen.

Sonnenvogel
In der der Klub der Epikuräer, der stolz auf ein 150 jähriges Bestehen zurückblicken,
feststellt, dass es nichts mehr gibt, was man noch nicht gegessen hätten. Doch Zebediah
T. Crawcrustle schlägt vor, den sagenumwobenen Sonnenvogel zu fangen und zu verzehren.
Gibt es dieses Wesen wirklich?

Fressen und gefressen werden
In der Eddi davon erzählt, was ihm widerfahren ist. Eddi hat eine Nachbarin. Sie ist alt und
schwach, aber sehr nett zu ihm. Immer wieder lässt sie ihm Geschenke zukommen, doch
eines Tages bleiben sie aus. Als er sie besorgt besucht, bittet sie ihn um Fleisch ...

Virusproduzentenkrupp
In der beschrieben wird, wie eine erdachte Krankheit sich ausbreitet und wie sie zu
bekämpfen ist.

Goliath
In der ein hochgewachsener Mann feststellen muss, dass sie Welt, in der er lebt, nur ein
Computerprogramm ist. Doch wenn die Zeit reif ist, wird er ausgekoppelt werden und muss
die Welt vor außerirdischen Invasoren retten.

Oktober hat den Vorsitz
In der sich die zwölf Monate um ein Lagerfeuer setzen und Oktober eine Geschichte erzählt.
Sie handelt von einem Jungen, der sich mit einem Geist anfreundet.

Der Herr des Tals
In der Shadow, der Held aus dem Roman „American Gods“, nach Schottland reist, um seine
Ruhe zu haben. Doch ein Mann bietet ihm Geld für einen kleinen Dienst an. Natürlich kann
von „klein“ nicht die Rede sein und schon bald sieht sich Shadow einem Hünen gegenüber.
Ein Kampf um Leben und Tod beginnt.

Am Ende
Am Anfang gab es den Garten, und darin stand ein Baum. Und der Herr sah, dass es gut war ...

Mit dieser Auswahl an Kurzgeschichten, deren Länge von unter zwei Seiten bis 70 Seiten reicht, wird Neil Gaimans Vielseitigkeit ein weiteres Mal unter Beweis gestellt. Keine ähnelt der anderen und so wird jeder Leser etwas finden, was besonders seinem Geschmack entspricht. Eines haben aber alle gemeinsam: Scheinbar alltägliche Situationen vermischen sich mit befremdlichen Geschehnissen. Zum Teil wird von Gaiman eine überraschend explizite Art gewählt, sexuelle Handlungen zu beschreiben, aber auch das belegt nur, dass dieses Buch für Erwachsene ist und wie wandlungsfähig der Autor ist.

So vielseitig wie Gaimans Ideen, so schwankend ist auch die Qualität der Geschichten. „Virusproduzentenkrupp“ und „Kies auf der Straße von Erinnerungen“ scheinen eher eine Fingerübung gewesen zu sein. „Wie man auf Partys Mädchen anspricht“ und „Bitterer Kaffeesatz“ sind nur schwer zu verstehen. Teilweise bleiben am Ende viele Fragen offen und die Pointe fehlt oder ist für den Gelegenheitsleser kaum zu finden. Zugänglichere Texte finden sich aber zum Glück auch. Besonders hervorheben kann sich „Sonnenvogel“. Der Inhalt und die Dialoge machen ungemein Spaß und das Ende ist konsequent genial. „Oktober hat den Vorsitz“ überzeugt ebenfalls auf ganzer Linie und „Fressen und gefressen werden“ erzeugt eine wahrlich beklemmende Stimmung. Für Gaiman-Fans wird aber besonders „Der Herr des Tals“ von Interesse sein, handelt es sich doch um ein Sequal zum Meisterwerk „American Gods“. Hier wird die Beowulf-Sage neu interpretiert und als die längste Kurzgeschichte gibt sie am Meisten her.

Zerbrechliche Dinge – Geschichten und Wunder“ ist keine Ansammlung von oberflächlichen und leicht verständlichen Texten. Man merkt, dass der Autor belesen ist und genau weiß, was er tut. Leser der gängigen Fantasyromane, von denen man sich berieseln lassen kann, werden es mit diesem Buch schwer haben. Es wird die Frage zurückbleiben: „Was genau wollte der gute Neil mir damit sagen?“. Diejenigen, die sich mit eben jener Frage gern beschäftigen, werden ihre wahre Freude haben. Alle anderen und besonders diejenigen, die Gaiman erst kennen lernen wollen, können einen Blick wagen, sollten aber lieber die zugänglicheren Romane lesen wie „Sternenwanderer“, „Coraline“ sowie die Göttersaga „American Gods“ und „Anansi Boys“.

Die Übersetzung ins Deutsche ist insgesamt gut gelungen. Der erzählerische Stil des Autors wurde gut übertragen und störende Rechtschreibfehler gibt es keine.


Fazit

Gaimans kleine, zerbrechliche Schätze sind tiefgründig und nicht leicht zu interpretieren. Für den einen wird das eine Herausforderung, für den anderen eine Freude. Für seichtere Unterhaltung sind Gaimans Romane vorzuziehen.


Pro und Kontra

+ eine enorme Vielfalt an Genres
+ tiefgründig und intelligent
+ von gruselig bis humorvoll bis märchenhaft
+ originell

o sicher nicht für jeden geeignet
o z.T. ungewohnt herbe Formulierungen

- nicht alle Geschichten überzeugen
- oft schwer verständlich
- nur die Hälfte der ursprünglichen Geschichten ist enthalten

Beurteilung:

Handlung 5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3/5


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