Das Krähenweib (Corina Bomann)

Verlag: Knaur, April 2010
Hardcover, 523 Seiten, € 16,95
ISBN: 3426663155

Genre: Historik


Klappentext

Krähenweib, Krähenweib, Lumpen hängen an deinem Leib

Annalena Habrecht ist solche Beleidigungen gewohnt, denn sie ist eine Unehrliche, eine Henkerstochter. Mit dem Spott der Walsroder Bürger könnte sie leben, aber ihr wird jeden Tag klarer, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ihr gewalttätiger Ehemann sie tötet. Eines Abends wehrt sie sich gegen ihn und hat so schließlich keine andere Wahl mehr, als zu fliehen – völlig überstürzt und mitten in der Nacht. Sie hat keine Ahnung, dass ihr eigentliches Abenteuer hier erst beginnt, das ihr Weg sie ins brodelnde Berlin und ins aufstrebende Dresden des Jahres 1701 führen wird. Dass sei sich verlieben wird. Und dass sie um das Herz ihres Goldmachers mit den mächtigsten Männern ihrer Zeit streiten wird...


Die Autorin

Corina Bomann, 1974 in Parchim geboren, lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Nach „Die Spionin“ ist „Das Krähenweib“ ihr zweiter historischer Roman, in dem sie erneut eine starke Frauenfigur erschafft und eine beeindruckende historische Kulisse vor den Augen des Lesers entstehen lässt. Zurzeit arbeitet die Autorin an ihrem nächsten Projekt.


Rezension

Eigentlich findet Annalena, ist sie ein ganz normales Kind. Sie liebt ihre Familie und würde all das gerne machen, was kleine Mädchen so tun im Jahre 1684. Aber sie darf nicht, denn sie ist eine Henkerstochter. Und dieser Berufsstand ist überhaupt nicht gut gelitten zu dieser Zeit. Fast wie Ausgestoßene müssen sie leben, am Rande der Gesellschaft, geduldet, aber nicht anerkannt. Ihr ganzes späteres Leben lang ist Annalena darauf bedacht, ihren Makel zu vertuschen und sich bloß nicht verdächtig zu verhalten. Als Henkerstochter lernt sie allerdings auch noch eine Menge über Heilkräuter und medizinische Behandlungen, Ärzte gab es damals ja noch nicht. Oft übernahmen die Henker die notwendigen Maßnahmen, denn sie henkten ja nicht nur, sie waren auch ausgebildet in der Kunst des Folterns und wussten somit, was bei diversen Verletzungen zu tun ist.

Natürlich wird sie später mit einem Henkersgehilfen verheiratet, dieser hat ein Heidenvergnügen daran, sie auszupeitschen, zu schlagen und zu demütigen. Annalena ist sich bewusst, dass er irgendwann wahrscheinlich die Grenze überschreiten und sie zu Tode quälen wird. Aber sie hat noch nicht gelernt, sich zu wehren. Irgendwann ist es allerdings soweit, sie flieht um ihr Leben, mit nichts als ihren Kleidern am Leib. Obwohl ihr Mann sie verfolgt, schafft sie es, in Berlin unterzutauchen. Sie findet eine Anstellung als Magd beim Gewürzhändler Röber, der ein Auge auf sie geworfen hat. Denn Annalena hat Haare wie Krähenfedern, fast wie eine Zigeunerin, es ist ihr auffälligstes Merkmal und bleibt jedem im Gedächtnis haften. Hier in Berlin lernt sie auch den Apothekerlehrling Johann Böttger kennen und verliebt sich in ihn. Allerdings hat sie eine gewaltige Nebenbuhlerin – die Alchimie. Denn Johann ist davon besessen, Gold zu machen. Bei einigen verbotenen Experimenten ist es ihm gelungen, eine geringe Menge Gold herzustellen. Er erkennt recht schnell, dass es aber lediglich eine Umwandlung ist und die Menge lange nicht ausreicht, um reich zu werden oder Könige und Kurfürsten zufrieden zu stellen. Er hat überhaupt keine Ahnung von den Konsequenzen, die über ihn hereinbrechen, als seine Hexenkräfte bekannt werden. Denn jeder möchte ein Stück vom Kuchen haben, jeder möchte mit seinem eigenen Goldmacher zu Reichtum gelangen. Wehe, wenn es nicht gelingt, dann sitzt der Kopf nicht mehr fest auf den Schultern. Ein Alchimist lebt gefährlich, wenn er so besessen von seiner Neigung ist, wird er nie unentdeckt bleiben. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Hervorragend recherchiert und angenehm flüssig geschrieben taucht der Leser in eine Welt, die genial verwoben wird mit fiktiven und real existierenden Personen. Henker waren nicht einfach nur die Exekutive, sie haben oft medizinisches Wissen gehabt. Dadurch wurden sie zu Ausgestoßenen und lebten am Rande der Gesellschaft. Die Krähen waren ihr Markenzeichen und ihre Vertrauten, Annalena erwähnt sie immer wieder und richtet sich auch nach ihrer Flugbahn und Aufenthaltsorten. Aber nicht nur Interessantes über den Henkersberuf erfährt man von Corina Bormann, sondern auch Details über die Alchimie, ihren Irrglauben und Besessenheit. Denn Johann ist besessen von ihr, sein Wunsch, Gold zu gewinnen, lässt ihn alles andere vergessen und so manches Wagnis eingehen. Recht bald schon wird ihm sein Schicksal aus der Hand genommen, denn egal, wohin er mit Annalena flieht, sein Ruf eilt ihm voraus. Er landet im Gefängnis und muss weiterhin beweisen, was er kann, um sein Leben zu retten. Annalena versucht ihr Möglichstes und landet am Hof von August dem Starken, aber ihre Mittel sind beschränkt, sie kann den Intrigen um sie herum nicht weiter ausweichen. Alles zieht sich zusammen zu einem finalen Showdown, dem ein paar zuviele Zufälle zugrunde liegen.

Die Besonderheit historischer Romane liegt eindeutig in bekannten Orten und bekannten Personen. Wenn, wie hier, noch ein paar fiktive Personen hinzugedichtet werden, bekommt man Tatsachenberichte in Romanform, die sich durch die gelungene Schreibweise Corina Bormanns spannend lesen. In ihrem Nachwort schildert die Autorin noch einmal deutlich weitere Details aus dem Leben der realen Personen, man ist erstaunt, wie viele es doch sind. Es lohnt sich wirklich, dieses Nachwort auch zu lesen. Annalena ist eine fiktive Person, aber sie hätte genauso auch gelebt haben. Manchmal ist die Autorin nachlässig in ihrer Erzählung, einem aufmerksamen Leser fallen schon ein paar Ungereimtheiten auf. Annalena flieht ein paar Mal nur mit ihren Kleidern auf dem Leib, bis auf einmal wird nie erwähnt, wie sie an neue Kleider kommt. Wovon lebt sie, und später auch Johann, auf ihrer Flucht? Johann trägt sein Tagebuch immer am Leib, das ist historisch bewiesen. Er kommt ins Gefängnis, wird er da denn nicht durchsucht? Wie gelingt es ihm, das Heft solange zu verstecken? Ist es durch Schweiß und Körperausdünstungen nicht stark in Mitleidenschaft gezogen? Annalena bringt ihm immer mal wieder Golddukaten, die er für seine öffentlichen Versuche braucht. Ein paar stammen aus seinem Besitz, aber wo werden die restlichen verwahrt und wie kommen die beiden an Neue? Als Annalena vor Röber flieht, greift er sie vorher an und zerfetzt ihr Kleid. Er kann ihre Narben am Rücken sehen. Wieso kann Johann das nicht, mit dem sie mehrere Tage anschließend durch die Gegend fährt? Wovon ernähren sie sich? Solche Kleinigkeiten ziehen sich durch das Buch, sie stören nicht wirklich, man kann es auch überlesen, aber ein gewisses Stirnrunzeln bleibt schon zurück.

Genauso überraschend ist es auch, wie schnell Annalena immer wieder gefunden wird, zufällig ist ihr brutaler Mann in der gleichen Stadt wie sie gelandet. Zufall? Die Szenen mit Peter Mertens gehen unter die Haut und sind verstörend dramatisch, Corina Bormann schafft es mit wenigen, dafür aber eindringlichen Schilderungen ein wahres Horrorszenario heraufzubeschwören. Das Cover passt sehr gut zu dem Buch, das Krähenweib mit der mittelalterlichen Stadt im Hintergrund. Krähen tauchen auch im ganzen Buch immer wieder auf, jedes neue Kapitel wird liebevoll von einer eingeleitet. Knaur ist es wieder einmal gelungen, ein spannendes und gut recherchiertes Buch zu einem vernünftigen Preis herauszugeben.


Fazit

Bedenke, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen – mit diesen Konsequenzen hat Johann bestimmt nicht gerechnet. Die Alchimie ist gleichzeitig seine größte Liebe und sein schlimmster Feind, sie nimmt ihm sein Schicksal einfach aus der Hand. Ein spannendes und interessantes Stück deutscher Geschichte mit eindrucksvollen Persönlichkeiten bringt Corina Bormann mit ihrem fesselnden Erzählstil jedem nahe, der sich die Zeit nimmt und sich in dieses Buch vertiefen kann.


Pro und Contra

+ nachgewiesene historische Ereignisse und Personen
+ fesselnder Erzählstil
+ eindrucksvolle Charaktere
+ gelungene Mischung von Fiktion und Realität

- manchmal oberflächlich erzählt
- teilweise etwas langatmig
- Handlungen und Ereignisse zu zufällig und zu unglaubwürdig

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5