Der Seele schwarzer Grund (Susan Hill)


Verlag: Droemer Knaur
496 Seiten - 16.95 EUR
ISBN: 9783426661482
Sep. 2008, 1. Auflage

Genre: Krimi

Rezension:

„Der Seele schwarzer Grund“ ist der dritte Band in der „Detective Chief Inspector Simon Serrailler“-Krimiserie von Susan Hill mit der Location in „North Riding“, wo so viele Schicksale zusammenführen, dass man meinen möchte, diese Fäden fänden niemals zusammen. Doch genau das ist die Stärke der Autorin. Es geht auch weniger um den Fall als solchen, denn der wird dem Leser recht schnell klar, dieses Buch handelt mehr von den Menschen und ihre seelischen Befindlichkeiten und Abgründe.

Da ist allen voran natürlich Simon Serrailler, aber auch Cat Deerborn seine Drillingsschwester (haben beide noch einen Drillingsbruder) und verheiratete Ärztin, Mutter zwei Kinder (Sohn Felix und Tochter Hannah). Simon Serrailler ist eine sympathische Zentralfigur – sympathisch in der Gewichtung, die die Autorin an ihm vornimmt. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen, aber er ist nicht so omnipotent, dass er die anderen Charaktere „erdrückt“. Und davon gibt es etliche, die dieses Buch zu einem psychologischen Mosaik werden lässt.

Sei es nun Natalie Combs, alleinerziehende Mutter, und ihre Tochter Kyra (6 Jahre). Natalie ist mit der Erziehung ihres Kindes eindeutig überfordert. Sie liebt Kyra zwar, kann es ihr aber nicht zeigen – im Gegenteil, ihre schroffe und strenge Art ihr gegenüber, lässt eher darauf schließen, dass sie von Kyra genervt ist – so hat sie auch nichts dagegen, wenn die Kleine hin und wieder ins Nachbarhaus entschwindet – zu Ed, die ihr mehr Aufmerksamkeit schenkt, als ihre Mutter.

Eine weitere „geplagte Seele“ ist Max Jameson und seine todkranke Frau Lizzie, die an einer neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit leidet und daran verstirbt. Max mutiert zum gramgebeugten Mann, der den Boden unter den Füßen und den Bezug zur Realität verliert. In seinem Schmerz und auch Hass, dass ihm mit Lizzie schon die zweite Frau genommen wurde, verschanzt er sich mit Jane Fitzroy in ihrem Haus, will von ihr Antworten auf die Fragen warum es gerade Lizzie treffen musste. Anworten, die es nicht wirklich gibt, wenn es um den Tod geht und ob er die Menschen gerecht ereilt. Und ob der Glaube zu Gott dabei eine Rolle spielt. Max, der schon immer eine Neigung zum Jähzorn hatte, verliert immer mehr seine innere Mitte, sieht erst in Jane Fitzroy, dann als ihn die Polizei in Gewahrsam nimmt, aber wieder auf freiem Fuß setzt, auch in anderen Frauen Lizzie – weil er sich weigert ihren Tod zu akzeptieren, trotzdem er weiß, dass seine Frau gestorben ist. Und so verliert seine Seele immer mehr ihren Anker.

Die Seelsorgerin Jane Fitzroy, Reverend im Imogen House, ist ein ebenso interessanter Charakter und ihre gespannte Beziehung zu ihrer atheistische Mutter Magda Fitzroy (Kinderpsychologin), die zweimal in ihrem Haus überfallen wird, aber unbeugsam und stark wie sie ist, keine Hilfe von ihrer Tochter annehmen will und merklich damit hadert, dass diese Geistliche geworden ist. Aber auch Jane zweifelt schon bald daran, ob sie den richtigen Weg gewählt hat.

Und da ist Ed – mit dieser Begierde nach Kindern.
Genauer gesagt: Edwina Sleightholme, die nur Ed genannt werden will, 38 Jahre, Einzelgängerin mit einer schwierigen Kindheit und einem übertriebenen Ordnungs- und Sauberkeitswahn, der ihre psychischen Störungen auf eine stille und dennoch anschauliche Weise darstellt.
Ed lebt neben Natalie und Kyra und liebt das kleine Mädchen, das sich oft zu ihr flüchtet- vor der lieblosen schroffen Art seiner Mutter.
Anderen Kindern jedoch steht Ed völlig anders entgegen. Kinder, die vermisst werden und von denen zu befürchten bleibt, dass sie nicht nur entführt, sondern auch ermordet wurden. In einer Höhle am Strand stösst Simon Serrailler zuerst auf Ed und ist an ihrer Inhaftierung beteiligt, später machen er und seine Männer in einer weiteren Höhle einen makabren Fund...

Was an Susan Hill besticht ist ihr minimalistischer Stil. Die Autorin schreibt spannend, kurzweilig und nicht schwafelig – und dennoch unter die Haut gehend. Und sie vermag, trotzdem dem Leser recht schnell offenbart wird, wer die Kindesentführerin und –mörderin ist, die Spannung zu halten, sie sogar durchgängig – und vom Leser beinahe unbemerkt – zu steigern.
Die Handlung lebt von genau dem, worum es in dem Titel des Buches geht: um Seelenkrankheiten, Seelenqualen, Seelenzweifeln und alles was einer Seele schwarzer Grund sein kann – aber auch, was diesen auslösen kann. Welchen Weg sie oft bis dahin nimmt, was sie zu ertragen in der Lage ist und was sie schlussendlich auch bricht.
Das wird in den Verhören von Ed deutlich, aber auch in den manischen Versuchen ihrer Mutter, Eileen Meelup, (verwitwete Sleightholme) ihre Unschuld zu beweisen oder fremde Menschen um Hilfe zu bitten und sich dadurch immer mehr aus der „normalen“ Realität zu flüchten. Ihr Leben und das ihres Mannes Dougie wird auf den Kopf gestellt und ihre bis dahin glückliche Ehe auf eine harte Probe.

Es ist ein vermeindlich „leicht unterhaltender“ Roman, weil er löblicherweise auf Effekthascherei verzichtet. Doch wenn man ihn nicht flüchtig „überliest“, sondern die einzelnen Handlungsstränge, die Susan Hill beinahe spielerisch verbindet, die Geschichten, die hinter jeder Person steht, auf sich wirken lässt, ist es ein in die Tiefe gehendes Werk. Vielleicht weil sich ein jeder darin wiederfindet. Selbst wenn es nur in Ansätzen ist.
Auch die Aufmachung kann sich sehen lassen: edles Hardcover, gutes Papier, professionelles Lektorat und ein Schutzumschlag, der in seinem weinroten und mehr erahn- denn erkennbaren Motiv, wundervoll die atmosphärische Dichte des Romans verkörpert.



Fazit:

Ein Buch, das von den Erinnerungen, den seelischen Verfassungen und den persönlichen Geschichten der Charakteren lebt, die zu einem virtuosen Ganzen verknüpft sind. Absolut empfehlenswert!

 

Rezension von Alisha Bionda, Chefredakteurin bei LITERRA.

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