Engel aus Eis (Camilla Läckberg)

Verlag List, September 2010
Originaltitel: Tyskungen, Übersetzt von Katrin Frey
Hardcover, 503 Seiten, € 19,95
ISBN 978-3471350157

Genre: Schwedenkrimi


Klappentext:

Die Nachricht von der Ermordung Erik Frankels alarmiert Erica Falck. Wenige Wochen zuvor hatte sie den sympathischen alten Lehrer um Hilfe gebeten. Unter den Sachen ihrer Mutter Elsy war ein Orden aus dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Erica hatte ihn Frankel geschickt und gehofft, mehr über ihre Mutter zu erfahren. Zu Lebzeiten war Elsy immer distanziert gewesen, und Erica hat sich schon oft gefragt, wie gut sie ihre Mutter eigentlich kannte. Als sie nun erfährt, dass Elsy und Erik in ihrer Jugend einer geheimnisvollen Clique angehörten, ist ihre Neugier geweckt. Unterstützung findet sie bei ihrem Mann, Kommissar Patrik Hedström. Angesichts des dramatischen Mordfalls hat er Mühe, sich in seiner Elternzeit ausschließlich auf seine Tochter zu konzentrieren. Gemeinsam folgen sie Elsys Spur in die Vergangenheit.


Die Autorin:

Camilla Läckberg, geboren 1974, ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie stammt aus Fjällbacka – der kleine Ort und seine Umgebung sind Schauplatz ihrer Bücher. Ihre Kriminalromane erscheinen in dreißig Ländern und wurden bisher über sechs Millionen Mal verkauft. Camilla Läckberg lebt in Stockholm.


Rezension:

In einer Kiste auf dem Dachboden findet Erica ein altes Säuglingshemd und einen deutschen Orden aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Kiste hatte ihrer Mutter gehört, die nie ein inniges Verhältnis zu ihren Töchtern zugelassen hat. Erica ist betroffen und verwirrt, denn über ihre Vergangenheit hat ihre Mutter nie geredet. Zur Aufklärung tragen bestimmt ihre Tagebücher bei, die auch in der Kiste lagen. Erica beginnt zu lesen und stößt schon anfangs auf bekannte Namen. Den Orden hat sie zu Erik Frankel gebracht, der als Spezialist für das Dritte Reich in ihrem Ort gilt. Er und sein Bruder Axel haben den Krieg noch miterlebt, Axel war ein bekannter Widerstandskämpfer in Fjällbacka, er hat den Norwegern während der Besatzung durch die Deutschen geholfen und geriet in Kriegsgefangenschaft. Erik ist auch ein Name in der Clique, mit der Ericas Mutter zu ihren Jugendzeiten befreundet war. Und Erik ist ermordet worden, in seinem Haus, erschlagen. Lange hat es gedauert, bis er entdeckt wurde, da sein Bruder den Sommer immer in Paris verbringt. Erica bringt die Ereignisse von 1942 aus den Tagebüchern ihrer Mutter schnell mit dem Mord an Erik in Verbindung. Was wusste er, was kein weiterer wissen sollte? Und was hat ein norwegischer Widerstandskämpfer, der während der Kriegsjahre bei Ericas Großeltern Unterschlupf fand, damit zu tun? Erica und Patrik begeben sich auf eine spannende Spurensuche in die Vergangenheit und ahnen nicht, welches Familiengeheimnis sie noch aufdecken werden.

Eigentlich nichts Neues bei Camilla Läckberg. Alles schon einmal da gewesen, die Story, der Plot und das Motiv. Aber doch fesselt das Buch von der ersten Seite an, und man hat ein Wohlgefühl, wieder bei guten Freunden zu sein, die man ein Stück auf ihrem Weg begleiten darf. Erica und Patrik sind mittlerweile verheiratet, ihre Tochter Maja ist ein Jahr alt und Patrik tritt seine Elternzeit an. Ein Vater im Erziehungsurlaub? In Fjällbacka nicht selbstverständlich, und in Mellbergs Augen, Patriks Chef, völlig überflüssig. Wie überhaupt die meisten neumodischen Regelungen, Frauen gehören doch nun mal an den Herd oder als Sekretärin an den Schreibtisch. Camilla Läckberg versteht es meisterlich, die privaten Sorgen und Nöte in die Geschichte einfließen zu lassen, es ist eine gelungene Mischung aus Familiengeschichte und Krimiplot. Beides verfolgt man mit atemloser Spannung, Hand in Hand gehen Gegenwart und Vergangenheit ineinander über. Erica entdeckt in den Tagebüchern eine völlig andere Frau, irgendetwas muss ihre Mutter so verstört haben, dass sie zu der Frau wurde, die nicht in der Lage war, Liebe zu verschenken.

Auf ihre neue private Situation müssen sich die beiden auch erst noch einstellen. Patrik tritt gerade seine Elternzeit an, als der Mord entdeckt wird. Zufällig trifft er beim Spazierengehen auf die Ermittler und wird sofort involviert – im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ein heikler Spagat für ihn, die Ermittlung interessiert ihn natürlich brennend, aber andererseits möchte er ja auch die Zeit mit seiner Tochter nutzen. Erica unterstützt ihn dann aber nach anfänglichem Zögern und bietet ihm Freiräume, um mitzuhelfen. Dass sie durch ihre eigenen Recherchen bald genauso einbezogen wird, scheint unausweichlich. Auch bei den anderen Personen in ihrem näheren Umfeld bahnen sich weitreichende Veränderungen an. Zwei von Patriks Kollegen bekommen Nachwuchs und machen sich ihre eigenen Gedanken über ihre zukünftige Rolle. Ericas Schwester Anna ist bei ihrem neuen Freund, Ericas Ex, eingezogen und muss sich mit seiner pubertierenden Tochter befassen, die mit der Situation völlig unzufrieden ist. Erica selber führt ein äußerst aufklärendes Gespräch mit ihrer Schwiegermutter, was ihr angespanntes Verhältnis kittet und bestärkt. Mellberg, Patriks Chef, ein bekannter Chaot und Chauvinist macht die erstaunlichste Wandlung durch. Zuerst drängt sich ihm ein Hund auf und dann lernt er die rassige Rita kennen, die ihm nicht nur Salsa beibringt sondern auch eine neue Sichtweise. Richtig sympathisch wirkt Mellberg am Ende, dafür musste er aber auch ein paar eigenartige Erfahrungen machen.

Ein ganz großes Thema ist natürlich der Zweite Weltkrieg und seine Auswirkungen bis in die heutige Zeit. Der Enkel eines weiteren Mannes aus Elsys ehemaliger Clique ist fasziniert vom Nationalsozialismus, seine Parolen tönt er zu jeder Gelegenheit und schreckt auch vor Gewalt nicht zurück. Kein Wunder, ist sein Großvater doch Mitglied in einer eigenartigen Partei, die die Grundsätze des reinen Landes vertreten. Sein Vater allerdings steht auf der völlig gegensätzlichen Seite, er ist Journalist und ermittelt gegen seinen eigenen Vater. Durch die Trennung von seiner Familie ist er mit der Erziehung seines Sohnes völlig überlastet, er findet einfach keinen Zugang zu ihm. Camilla Läckberg versteht es sehr gut, einen verzweifelten Teenager darzustellen, der auf die schiefe Bahn gerät und eigentlich nur nach Aufmerksamkeit giert. Viel Raum nehmen auch die Rückblenden ein, in denen nicht nur das Leben in Fjällbacka, sondern auch Axels Erlebnisse in Kriegsgefangenschaft bildhaft erzählt werden. Zum Schluß fügen sich die einzelnen Puzzleteile zu einem Bild, welches so manche Überraschungen birgt.

Camilla Läckberg ist mit dem fünften Teil ihrer Reihe um das sympathische Ermittlerpaar Erica und Patrik ein spannendes Buch gelungen, welches neben dem reinen Krimiplot noch eine Vielzahl anderer interessanter Themengebiete behandelt. Vorherrschend sind diesmal allerdings die Kinder, neben Patriks Elternzeit und die Ungeborenen sind da auch noch die beiden Teenager, die sich in einer zerrütteten Familie wieder finden und auf ihre eigene Art versuchen, damit umzugehen. Das zweite raumgreifende Thema ist natürlich der Krieg und die Nationalsozialisten, wie sie bis heute eigentlich das Leben beeinflussen. Daneben flicht sie dann noch unmerklich eine lesbische Liebe, den Umgang mit der plötzlich aufgetauchten Exfrau und die Auswirkungen der Altersdemenz ein. Durch diese Vielfältigkeit liest man mit besonderem Genuss, die verschiedenen Sichtweisen lassen tiefe Einblicke auf die einzelnen Charaktere zu. Man ist angekommen in einer großen Familie, die sich genauso mit alltäglichem Kleinkram beschäftigen wie auch mit lohnenswerter Ermittlerarbeit. Denn das tägliche und private Leben spielt immer eine große Rolle, wie weit sich ein jeder in seiner Arbeit wohlfühlt und seine Leistung erbringen mag.


Fazit:

Der fünfte Teil mit Erica und Patrik Hedström birgt eine interessante Verflechtung der Vergangenheit mit der Gegenwart. Dazu die alltäglichen Sorgen und Nöte und überraschende Wandlungen der handelnden Personen, gemischt mit brisanten Themen aus dem heutigen Leben lassen die Seiten nur so dahinfliegen. Puzzleteile kommen angeflogen, man findet sie in den unerwartesten Ecken, bis sie ein Bild ergeben, welches noch eine riesige Überraschung enthüllt.


Pro und Contra:

+ angenehmer Erzählstil
+ wechselnde Perspektiven
+ sympathische, bereits bekannte Charaktere
+ neutraler Umgang mit Problemen
+ hochbrisante Themen
+ verschiedene, aktuelle Themen
+ durchgehende Spannung
+ viele überraschende Wendungen

- Plot nichts Neues

Wertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3,5/5