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Ausblick auf den Bücherfrühling 2020

Hallo zusammen,

das neue Jahr ist schon wieder einen Monat alt und ich bin erst jetzt dazu gekommen, mich intensiver mit Neuerscheinungen zu beschäftigen. Beim Durchschauen der Verlagsprogramme hat mich zunächst wenig angesprochen, allerdings habe ich jetzt doch ein paar spannende Titel gefunden, die ich hier kurz vorstellen möchte:

"Ich bin Gideon" von Tamsyn Muir

ich bin gideonIn den letzten Jahren hatte ich das Gefühl, dass der Heyne-Verlag, der mal DER Verlag für Fantasy und SF war, in Sachen Phantastik ein wenig geschlafen hat - insbesondere was Autorinnen betrifft. "Gideon the Ninth" ist mir in den Social Media bereits aufgefallen, allerdings lese ich lieber Übersetzungen und habe daher sehnsüchtig auf diesen Titel gewartet. Ich war schon kurz davor, mir die Originalausgabe (die den besseren Titel und das bessere Cover mit schönerem Hintergrund hat) zu bestellen, doch im April erscheint endlich die deutsche Ausgabe mit dem Titel "Ich bin Gideon". Mit der Kurzzusammenfassung "Lesbian necromancers explore a haunted gothic palace in space" von Charles Stross war ich sofort Feuer und Flamme für diesen Roman. Bereits bei Kai Meyers "Die Krone der Sterne" hat der Mix aus Space Opera und Dark Fantasy wunderbar funktioniert. Insofern hoffe ich darauf, dass der Trilogieauftakt von Tamsyn Muir ähnlich gut oder sogar besser wird, immerhin wird der Roman in Rezensionen als sehr atmosphärisch, herrlich derb und originell beschrieben. "Ich bin Gideon" ist wohl einer der Romane, der mich entweder total begeistern wird - oder enttäuschen, weil ich nach den euphorischen Reaktionen zu viel erwarte ...

chroniken alice"Die Chroniken von Alice - Finsternis im Wunderland" von Christina Henry

Ich liebe Neuinterpretationen von "Alice im Wunderland", egal ob Roman, Comic oder Videospiel. Je düsterer, desto besser. Angeblich soll "Die Chroniken von Alice" von Christina Henry ähnlich finster und schräg wie die grandiosen Videospiele "American McGee's Alice" und "Alice: Madness Returns" sein. Zu Beginn des Romans befindet sich Alice seit zehn Jahren in einem Hospital und alle halten sie für verrückt. Alpträume von einem Mann mit Kaninchenohren plagen sie. Durch einen Brand gelingt ihr die Flucht, zusammen mit dem Axtmörder Hatcher. Doch noch etwas ist aus dem Hospital geflohen: Eine dunkle Kreatur, die Jagd auf Alice macht. Klingt herrlich skurril und makaber und dürfte ein eindrückliches, erschütterndes Leseerlebnis werden. Auch hier habe ich hohe Erwartungen und bin gespannt, ob Christina Henry wirklich etwas Neues bieten kann. 

zweite heimat puljic"Zweite Heimat - Die Reise der Celeste" von Madeleine Puljic

 Als mir "Zweite Heimat" auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt wurde, war ich zuerst nicht so interessiert. Zwar mag ich Marsgeschichten, aber nicht unbedingt solche, die sich um die ersten Siedler auf dem Roten Planeten drehen. Doch das außerirdische Volk der E'Kturi hat mich nun doch neugierig gemacht. Diese Spezies, über die man im Klappentext kaum etwas erfährt, hat die Menschheit bisher ignoriert und beobachtet sie nun genauer, da die ersten Pioniere zum Mars aufbrechen. Die Sicht dieser Außerirdischen könnte sehr spannend werden, zudem hat die Autorin in ihrem Blog geschrieben, wie viel sie recherchiert hat und nun reizt es mich, zu erfahren, wie gut sie ihre ausgiebige Recherche umgesetzt hat. Da ich aktuell am liebsten SF lese, kommt mir "Zweite Heimat" sehr entgegen - und für Aliens bin ich immer zu haben. 

priest of bones"Priest of Bones - Der Kampf um den Rosenthron" von Peter McLean

Grimdark-Fantasy ist bei mir so eine Sache, eigentlich mag ich es gern düster und derb, gern auch blutig und brutal, solange Welt und Figuren wirklich authentisch bleiben. "Priest of Bones" spielt nach einem fatalen Krieg und Protagonist Tomas, ein Armeepriester, stellt bei seiner Rückkehr fest, dass sein kriminelles Imperium längst anderen Gangstern gehört. Zusammen mit seiner Stellvertreterin Bloody Anne will er sich zurückholen, was ihm zusteht. Dazu gründet er eine neue Gang, die angeblich an Gewitztheit und Schlagkraft nicht zu überbieten ist. Dazu gehört auch Billy the Kid, ein magisch begabter Junge, der von der Göttin berührt wurde. Auch zu "Priest of Bones" habe ich einige begeisterte Rezensionen gelesen, die die skurrilen, vielschichtigen Charaktere und die Originalität des Werks loben. Ich hoffe auf sehr unterhaltsame Lesestunden und darauf, dass der Gangsterboss Tomas ein echter Dreckskerl mit einem letzten Funken Moral ist. 

Worauf ich mich außerdem freue: Den finlane Band der "13 Gezeichneten" von Judith und Christian Vogt sowie "Cyber Trips" von Marie Graßhoff (Band 2 ihrer Cyberpunk-Trilogie). Wer es noch nicht getan hat, sollte sich unbedingt mal die ersten Bände anschauen. Ansonsten habe ich noch einiges an Altlasten, die endlich gelesen werden müssen, das heißt, demnächst kommen wieder ein paar neue Rezensionen von mir. 

Viele Grüße von Eurer

Judith

Judiths phantastische Highlights 2019

Liebe LeserInnen,

eigentlich wollte ich auch noch ein paar Geschenktipps für Weihnachten beisteuern, aber die zwei Wochen vor dem Fest waren so voller Ablenkungen, dass ich einfach nicht dazu gekommen bin. Dafür widme ich nun meinen persönlichen Lesehighlights 2019, allesamt phantastisch :)

"Von Rache und Regen - Regentänzer" von Annette Juretzki

Als Annette Juretzki auf Twitter ihren neuen Roman ankündigte, dachte ich zuerst "Yeah, Eiszeit!" - bei genauerem Lesen stellte ich jedoch fest, dass es sich um EISENzeitliche Fantasy mit Untoten handelt. Da war ich zuerst etwas skeptisch, aber das regnerische Setting klang interessant und ihre Space Opera "Sternenbrand" hatte mir ganz gut gefallen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass mich "Von Rache und Regen" so umhauen und in zwei Tagen verschlungen sein würde. "Regentänzer" ist ein wahnsinnig atmosphärischer Roman mit großartigem Worldbuildung und mannigfaltigem Regenwetter, der insbesondere von der Interaktion seiner starken Protagonisten lebt. Soldat Riagh flieht von der Front, um seine Ziehschwester vor dem Fluch zu retten, der sein Volk in menschenfressende, wandelnde Leichen verwandelt. Auf seinem Weg zurück in die verregnete Heimat sieht er, wie eine Gruppe Dorfbewohner einen Mann foltert und schreitet ein - auch wenn es sich bei Nuzar um einen Feuermagier und damit um seinen Feind handelt. Notgedrungen reisen die beiden zusammen und kämpfen gemeinsam gegen Verfluchte. Aus Feinden werden allmählich Freunde, die sich näherkommen, doch der Fluch droht sie auseinander zu reißen. "Regentänzer" handelt von  Vorurteilen und deren Überwindung, von menschlichen Fehlern und Stärken und trotz aller Düsternis auch von Mut und Hoffnung.

"Wasteland" von Judith und Christian Vogt

Judith und Christian Vogt sind Autoren, bei denen man sich auf die Qualität ihrer Werke verlassen kann. Die beiden beweisen immer wieder eine unglaubliche Liebe zum Detail, die mich als Leser begeistert. So auch "Wasteland", das sich mit der Ich-Perspektive stilistisch von anderen Romanen der beiden abhebt und als "Mad-Max-Utopie" angepriesen wurde. Die Beschreibung trifft es tatsächlich sehr gut, denn auch wenn das Setting dystopisch ist, steckt doch jede Menge Hoffnung in "Wasteland" - und mit den irren Toxxer-Gangs, die auf aufgemotzten Motorrädern durch zukünftige Deutschland brettern, das Wi-Fi anbeten und auf einem gigantischen Schaufelradbagger leben, kommt ordentlich Mad-Max-Feeling auf. Europa liegt nach einem Krieg mit Biokampfstoffen in Trümmern, weite Teile des Kontinents sind sogenanntes Ödland - auch wenn dieses grün ist, ist der Aufenthalt für Menschen tödlich. Protagonistin Laylay ist die einzige, die sich frei im Ödland bewegen kann. Ohne sich mit der Wasteland-Krankheit zu infizieren wie der manisch-depressive Marktbewohner Zeeto. Beide sind ungewöhnliche, kantige Charaktere, die man schnell ins Herz schließt. Insbesondere Zeeto ist hervorragend getroffen und sein seelisches Auf und Ab nachvollziehbar und oftmals handlungsentscheidend. Hinzu kommt der enorme Unterhaltungswert durch verrückte Charaktere wie Wi-Fi-Schamane Root, der im Futur II spricht, oder auch die positive Ausstrahlung der Marktbewohner, deren Gemeinschaft von Individualität und gegenseitigem Respekt geprägt ist.

mars override"Mars Override" von Richard Morgan

Die Serienadaption von "Altered Carbon" hat mich dieses Jahr schwer begeistert, denn so reinen, dreckigen, schillernden Cyberpunk bekommt man selten geboten. Passenderweise erschie mit "Mars Override" ein neuer Roman von Richard Morgan, der den Mars in einen neonleuchtenden Cyberpunk-Moloch verwandelt. Der gentechnisch modifizierte Supersoldat Hakan Veil ist auf dem Roten Planeten gestrandet und schlägt sich mit Gelegenheitsaufträgen durch. So geht er beispielsweise einen verhängnisvollen Deal mit den Triaden ein und landet im Knast. Dort kommt er nur raus, weil die Polizei ihn als Babysitter für eine Agentin von der Erde braucht. Veil ist zunächst wenig begeistert, doch der Fall eines verschwundenen Lotterie-Gewinners entwickelt sich zu einem spannenden Trip, der ihm einiges abverlangt. "Mars Override" bringt alles mit, was ein Cyberpunk-Roman braucht: ein hohes Erzähltempo, ein derber Protagonist, der sich einen letzten Funken Anstand bewahrt hat, dazu einen berauschenden Mix aus Gossenslang, Tech-Porn und poetischen Metaphern, die unter die Haut gehen.

Insgesamt war 2019 ein gutes Lesejahr mit vielen Büchern, die mich gut unterhalten haben, auch wenn die Phantastik auf den ersten Blick rar gesät erscheint. Es lohnt sich auch immer ein Blick auf die kleinen Verlage, die in punkto Optik und Lektorat mit den Großen mithalten können. Sehr gefallen hat mir unter anderem "Feuerschwingen" von Sabrina Železný, "Am Seelenbrunnen" von Christian Günther (der dritte "FAAR"-Band, wer es noch nicht kennt, sollte unbedingt man einen Blick auf "Die Aschestadt" werfen) und "Hexagon - Pakt der Sechs" von Henning Mützlitz.

Ich wünsche Euch allen schon mal einen guten Rutsch - kommt gut ins neue Jahr!

Eure

- Judith

 

BuCon 2019 - Mehr Phantastik geht nicht ...

Hallo zusammen,

mit etwas Verspätung kommt hier endlich mein Bericht vom Buchmesse Convent 2019, der meinem Empfinden nach sehr gut besucht war. Nach zwei Messetagen und BuCon war ich allerdings ziemlich groggy, weshalb es erstmal nur ein paar Fotos auf unserem neuen Instagram-Account gab. Aber jetzt fangen wir erst einmal von vorne an:

Samstag morgens ging es wieder Richtung Frankfurt, mit einem TGV, der ebenso wie viele unserer ICEs in einem mittelprächtigen Zustand war. Nachdem ich bis Mannheim einen Sitzplatz hatte, musste ich den Rest der Fahrt auf dem Treppchen am Ausgang (neben dem Klo -_-) verbringen. Aber warum für eine halbe Stunde für die Sitzplatzreservierung zahlen? Zudem hatte ich so den Vorteil, in Frankfurt nicht mehr weit laufen zu müssen. Ich kam etwas zu spät, was nicht so schlimm war, da Eva Bergschneider von phantastisch-lesen.com, die mich bereits auf der FBM begleitet hat, noch mit dem Fahrkartenautomaten kämpfte. Mit der S-Bahn ging es nach Dreieich und im Bus zum Bürgerhaus trafen wir auf Jenny-Mai Nuyen - was sehr schön veranschaulicht, wie familiär der BuCon ist. Als Phantastikfan kann man hier viele, viele Autor*innen treffen und sich Bücher signieren lassen. Dazu gab es über 50 Lesungen, bunt gemischt mit verschiedensten Phantastikgenres (SF, Fantasy, Steampunk, Hopepunk, und alles, was das Herz begehrt), mit bekannten und (noch) nicht so bekannten Autor*innen.

swantje lesung bucon19Ich persönlich gehe höchst selten zu Lesungen, ist einfach nicht so meins, aber bei unserer Redakteurin Swantje Niemann (siehe Foto links) musste ich natürlich vorbeischauen. Sie laß aus "Drúdir - Dampf und Magie" den stimmungsvollen Anfang vor und bot mit einer Meeresdrachenszene einen exklusiven Ausblick auf den dritten Band ihrer Trilogie. Ihre Lesung war ziemlich gut besucht und im Publikum fanden sich einige Leser*innen im Steampunkoutfit. Auch Eva war natürlich dabei, denn sie ist ein großer "Drúdir"-Fan.

Danach besuchte ich die Doppel- bzw. eigentlich Dreifachlesung von James A. Sullivan und Judith und Christian Vogt, die aus "Die Stadt der Symbionten" und "Wasteland" lasen und sich gegenseitig die Dialogstimmen liehen. Passend zu seinem SF-Roman war die Erzählstimme von James Sullivan eher ruhig, während er die Leser in die Eiskammern unter der Kuppelstadt Jaskandris entführte. Für "Wasteland" übernahm Judith Vogt die Erzählstimme, James Sullivan durfte Protagonist Zeeto sprechen und Christian Vogt übernahm Zeetos Oma Riika und den WiFi-Schamanen Root, der wohl sagen würde: Ihr werdet diese Lesung sehr genossen haben! Man merkte, dass Judith und Christian Vogt ein eingespieltes Team sind, so schön, wie sie zusammen ululululiert haben ("Ulululululu" schreien die Gangs auf ihrem gigantischen Schaufelradradbagger, "Mad Max" meets Rheinland). Auch diese Lesung war gut besucht, so mancher versteckte sich gar noch am Boden, wie beispielsweise Theresa Hannig, die mehr oder weniger "privat" auf dem BuCon war, also keine Lesung hatte und selbst nach Büchern stöberte. Ich hatte sie bereits auf der FBM kurz gesehen, aber wirklich viel Zeit zum Reden hatten wir dieses Jahr irgendwie nicht.

Ich habe tatsächlich auch nur zwei Bücher gekauft, "Sand & Wind" von Elea Brandt (was Swantje im aktuellen "Wüsten"-PHANTAST besprochen hatte) und die Anthologie "Aeronautica" aus dem Art Skript Phantastik Verlag. Eigentlich wollte ich noch weiter stöbern und noch etwas kaufen, aber ich traf immer wieder Leute, kam hier und da ins Gespräch, lernte neue Leute kennen, die #mehrunfug machen, und hing dann irgendwann erschöpft im Stuhl in einer Autor*innenrunde, die sich so langsam aufs Abendessen einstimmte. Praktischerweise mussten wir nicht weit laufen, direkt im Bürgerhaus gibt es ein Steakhaus mit superleckerem Schnitzel (ich hätte mich reinlegen können, wirklich, ganz ganz ganz lecker!). Die Wahl aufs Steakhaus fiel, weil es dort eine schöne Auswahl vegetarischer Gerichte gab und so wie ich es mitbekommen habe, waren alle mit ihrem Essen sehr zufrieden. Spät abends hatte ich zudem den Service, dass mich der "Perry Rhodan" Chefredakteur höchstpersönlich nach Karlsruhe gefahren und quasi vor der Haustür abgeliefert hat (vielen Dank nochmal!). Es war eine unterhaltsame Fahrt durch eine stockfinstere, verregnete Nacht.

Dadurch, dass ich immer wieder bei befreundeten Autor*innen und Redakteur*innen hängen blieb, hatte ich wenig Zeit, an den Ständen der Kleinverlage zu stöbern. Zwischendrin gab es plötzlich Applaus und ich bekam später mit, dass Ann-Kathrin Karschnick mit dem BuCon Ehrenpreis ausgezeichnet wurde. An den Tischen der Kleinverlage war permanent so viel los, dass ich nicht so wirklich zum Gucken kam und wenn doch, versank ich in einem Gespräch mit den Verleger*innen oder Autor*innen, die gerade am Stand waren. Immerhin habe ich einige interessante Bücher abfotografiert, um sie jetzt in Ruhe zu googeln. Viele Titel kannte ich auch schon oder meine Kolleg*innen haben sie breits (meist positiv) rezensiert, sodass ich euch sagen kann, dass es bei den deutschen Kleinverlagen wirklich tolle Titel gibt und ihr auf dem BuCon vieles entdecken könnte, was ihr in den großen Buchhandelsketten nicht finden werdet. Dazu habt ihr oft die Chance, die Bücher gleich signieren zu lassen und Fotos zu machen. Als Phantastikfan kommt man voll auf seine Kosten, mehr als in Frankfurt, wo die Phantastik in diesem Jahr wieder unterrepräsentiert war ...

So, das war's nun erstmal mit Messeberichten. Ich hoffe, wir konnten euch einen Eindruck vermitteln, wie wir die Tage in Frankfurt und Dreeich erlebt haben und die Daheimgebliebenen damit ein bisschen trösten. Ich danke allen für die tollen Gespräche, wie immer war es schön, euch alle wiederzusehen, auch wenn ich mir manchmal etwas mehr Zeit für einzelne Personen wünschen würde - ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr wieder :)

- Judith

 

sullivan voegte bucon19

von links nach rechts: James A. Sullivan, Judith C. Vogt und Christian Vogt

fbm19 - „Dream Ursula“, der BuCon und der 20.10.

Während das Science-Fiction-Panel „Think Ursula“ 2018 auf dem Gelände der Messe stattfand, musste man ein wenig laufen, um den Veranstaltungsort der Nachfolgeveranstaltung „Dream Ursula“ zu erreichen: Ein Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofs. Es fanden vor allem andere Phantastik-Autor*innen den Weg dorthin, um den Panelist*innen James Sullivan, Alessandra Reß, Christoph Hardebusch, Regine Bott, Kai Hirdt und Natalja Schmidt zu lauschen. Moderiert wurde von Diana Menschig. Die Veranstaltung begann mit einer Keynote von Theo Downes-Le Guin. Der Sohn Ursula K. le Guins leitete den Vortrag mit einem Bild ein: Einer verspielten Skizze seiner Mutter, die „Balloon Cats on a Quiet Day“ zeigte. Liebevoll zeichnete er das Bild einer klugen, humorvollen Frau und gab einen Einblick in ihren Arbeitsplatz oder in ihre letzte gemeinsame Reise. Im Weltenschöpferinnen-Phantast gibt es übrigens einen langen Artikel über sie.

Die Veranstalter*innen hatten sich die Kritik an „Think Ursula“, wo die Redezeit sehr ungleich verteilt war, offenbar zu Herzen genommen, denn diesmal hatte jede*r Teilnehmer*in die Gelegenheit, exakt vier Minuten lang auf zwei Fragen zu antworten, die sie sich zuvor aus einem Katalog ausgesucht hatten. So sehr sich die Moderatorin auch bemühte, die Fragen und Antworten miteinander in Verbindung zu bringen, ergab sich dadurch doch eher der Eindruck, zahlreichen Mini-Vorträgen zu lauschen – die allerdings alle in sich sehr spannend waren.

Es ging um Science Fiction als Inspiration für Wissenschaft und Gesellschaft, utopische Gesellschaftsentwürfe, um die Zukunft der Arbeit, um Menschenrechte, künstliche Intelligenz und zeitgemäße Held*innen. Nahezu jedes der angesprochenen Themen hätte der Gegenstand eines eigenen Panels sein können. James Sullivan erklärte, dass Science Fiction nicht die Zukunft vorhersage (er stimmte Le Guin darin zu, dass „Science Fiction lügt“). Allerdings beeinflusse sie aktiv die Zukunft. Nach den wichtigsten Regeln für das zukünftige Zusammenleben gefragt, plädierte er leidenschaftlich dafür, antidemokratischen Kräften entschieden entgegenzutreten und Menschenrechte als nicht verhandelbar anzusehen.

Alessandra Reß verwies auf die von Schuld und Selbstzweifeln geplagte Protagonistin von Jay Kristoffs „Nevernight“ und fragte, ob selbstkritische Antiheld*innen im Vergleich zu Hauptfiguren, die im Glauben an ihre eigene moralische Überlegenheit zahlreiche „Bauernopfer“ akzeptierten, nicht in mancher Hinsicht besser dastünden. Natalja Schmidt zitierte als Reaktion auf die gleiche Frage die Helden-Definition aus Zedlers Universallexikon (18. Jahrhundert), um deutlich zu machen, wie sehr sich der Inhalt des Begriffs gewandelt habe – alle waren sich einig, dass ein*e Held*in nicht länger ein außergewöhnlich starkes „Mannsbild“ sein müsse. Stattdessen hob sie Aufopferungsbereitschaft und Mitgefühl als heroische Eigenschaften hervor. Auf die Frage, ob KIs Menschenrechte haben sollten und respektieren würden, kam von Regine Bott die trockene Antwort, dass man deren Einhaltung erstmal für Menschen garantieren müsse.

Christoph Hardebusch verlieh auf die Frage nach dem Stellenwert von Arbeit in der Zukunft hin seinem Wunsch Ausdruck, dass deren Wert nicht länger nach der Höhe des Gehalts bemessen werde. Ich musste in diesem Zusammenhang an die beiden Bücher Bullshit Jobs und Utopien für Realisten denken.

Immer wieder kehrte das Gespräch zur gesellschaftlichen Realität zurück – soviel zum Thema Science Fiction als von der Realität entkoppelter Eskapismus. Ebenfalls wurde – sehr passend zum Thema – immer wieder auf das Werk Le Guins verwiesen, insbesondere auf The Dispossessed und The Left Hand of Darkness. Anschließend las Jenny-Mai Nuyen aus ihrem Fantasyroman Die Töchter von Ilian und wurde anschließend von Autorin und Lektorin Jennifer Jäger zu ihren Inspirationsquellen interviewt, darunter die Geschichte der Kupferzeit und Fragen rund um Geschlecht und Macht. Es war eine schöne Lesung und ein spannendes Interview, und da es bei letzterem auch um gesellschaftliche Kontexte ging, schlug es einen Bogen zurück zum Panel, auch wenn eine Fantasy-Lesung nach einem Science-Fiction-Panel ein wenig überraschte.

Doch so spannend die einzelnen Beiträge auch waren, ergab sich dadurch, dass die Interviewten und Panelist*innen nicht unmittelbar aufeinander reagieren konnten, kein stimmiges Ganzes. Die Bezüge aufeinander wirkten gezwungen und die gesamte Veranstaltung blieb die Summe ihrer Teile. Eventuell würde sich für eine Folgeveranstaltung ein kleineres, weniger starr moderiertes Panel mit einem klaren Schwerpunkt und mehr Austausch anbieten.

Am nächsten Tag verzichtete ich darauf, die Messe zu besuchen. Isa Theobald, Autorin und Lektorin bei Edition Roter Drache, deren Buch Tintenphönix vor kurzem erschienen ist, war so nett, mich zum BuCon nach Dreieich zu fahren. Dort hatten zahlreiche kleine Verlage ihre Stände aufgebaut, und neben den bekanntesten Gesichtern der deutschen Phantastik waren auch viele Autor*innen unterwegs, deren Bücher (noch) eher Geheimtipps sind, wie z.B. Elea Brandt. Im aktuellen Phantast gibt es übrigens ein Interview mit ihr und eine Rezension zu „Sand und Wind“, ihrem Wüsten-Fantasy-Roman, dessen Fortsetzung „Sand und Klinge“ dieses Jahr erschienen ist. Ich lernte endlich Erin Lenaris, mit der ich schon lange online Kontakt gehabt hatte, persönlich kennen. Sie und Veronika Carver lasen im Cosplay und mit ihren Maskottchen (Drache und Chamäleon) auf dem Tisch aus den neuesten Titeln aus der Ring-Chroniken- und der Wyvern-Serie. Wer mehr über Erins Welt ohne Regen erfahren möchte, findet ihren Werkstattbericht ebenfalls im Phantast.

Meine eigene Lesung lief ebenfalls sehr gut – ich teaserte schon mal Band drei der Drúdir-Trilogie an, und erzählte dem Publikum bedauernd, dass ich zwar dazu gekommen war, schaurige Tiefseedrachen einzubauen, aber nicht die ciarvanische Kugelrobbe. Anschließend schlich ich mich in die Lesung von Judith und Christian Vogt und James Sullivan, die mit verteilten Rollen als Die Stadt der Symbionten und Wasteland lasen, und hatte sehr viel Spaß dabei, ihnen zuzuhören. Ich unterhielt mich mit vielen verschiedenen Leuten und lernte z.B. Henning Mützlitz kennen, der neben Fantasy auch historische Romane schreibt. Schließlich nahm mich Kai Meyer zurück nach Frankfurt und wir unterhielten uns noch ein wenig über Lesungen und die Herausforderung, dafür Stellen in Büchern zu finden, die kein Vorwissen erfordern und nicht spoilern.

Anders als die vorhergegangenen Tage, an denen die Messe nur Fachbesucher*innen und am Freitag zusätzlich noch Schulklassen offenstand, waren Samstag und Sonntag Verkaufstage, an denen alle Interessierten Zugang zur Messe hatten. Gerade in den Hallen, in denen Belletristik verkauft wurde, drängten sich die Besuchenden. Wo bekannte Autor*innen signierten bildeten sich bemerkenswerte Schlangen und in so einigen Gängen konnte man sich nur im Schneckentempo bewegen. Viele der Autor*innen und Verkäufer*innen waren ähnlich müde und reizüberflutet wie ich, taten aber erfolgreich ihr Bestes, um gute Stimmung zu verbreiten. Ich traf Nora Bendzko, die zwischen Gesprächen mit anderen Autor*innen und Arbeit an ihrem aktuellen Romanprojekt wechselte, und sprach noch einmal mit den Leuten vom PAN e.V., deren große Buchverlosung eine Menge Leute anzog und mein „Hilfe, mein Koffer ist zu klein“-Gefühl verstärkte.

Darüber hinaus hörte ich mir noch zwei Bühnenveranstaltungen an. Die erste war ein Panel, auf dem Bernhard Hennen, Carsten Steenbergen und Diana Menschig über die Zusammenarbeit von Autor*innen und Lektor*innen sprachen. Da ging es um die Fähigkeit von Lektor*innen, Autor*innen zu motivieren, das volle Potenzial ihrer Ideen auszuschöpfen, aber auch die Gefahr, an eine Person zu geraten, die einen Text nach ihren eigenen Ideen umgestalten will. Die drei sprachen über Lieblingsformulierungen, die dann dutzende Male im Text auftauchen, über das gute Gefühl, wenn ein*e strenge*r Lektor*in mal einen Smiley dalässt, und die Erschöpfung und die kleinen Knackse im Ego nach mehreren Stunden Korrekturen bearbeiten. 

Die zweite Veranstaltung, der ich lauschte, wurde vom Layman e.V. ausgerichtet, einem Cosplay-Verein, der Geld für wohltätige Zwecke sammelt. Die auf langjährige Erfahrung zurückblickende Cosplayerin Nero erklärte, wie man am Besten für Kameras posiert. Sie hatte solide Ratschläge parat (Finger auffächern, Körperspannung, sich je nach Winkel ein wenig vorlehnen, damit der Kopf nicht zu klein wirkt, …) und zwei Cosplayer*innen demonstrierten, was sie sagte. Das Ganze war recht locker und witzig angelegt, allerdings wären ein paar der Bemerkungen, die zwischen den Präsentierenden hin und her flogen, wenn überhaupt in einem privaten Setting besser aufgehoben gewesen (z.B. Witze über den Bauchumfang des die Veranstaltung moderierenden Vereinsvorsitzenden). Schade war auch die Notwendigkeit einer Warnung, dass man mit fremden Fotografen nie allein sein sollte.

Hannes Riffel von Fischer Tor nahm sich die Zeit, mir zu zeigen, dass die große kommentierte Dracula-Ausgabe, die vor kurzem herauskam, anders als das englischsprachige Original auf ihrem Cover verschiedene Texturen mischt und teilweise farbige Illustrationen hat. Nach Buchtipps gefragt ermunterte er mich, in Electric State zu blättern, einer melancholischen, postapokalyptischen Geschichte, die durch atmosphärische Texte und vor allem Bilder erzählt wird. Wir beide bedauerten, dass die Übersetzung von Mark Lawrence’ Buch des Ahnen-Trilogie bisher nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit findet, wie sie verdient (ein Schicksal, das sie mit so tollen Reihen wie Robert Jackson Bennets Die göttlichen Städte und N.K. Jemisins Zerissene Erde (Rezension im Weltenschöpferinnen-Phantast) und den Folgebänden teilt, die im englischsprachigen Raum von der Kritik gefeiert wurden und durchaus populär sind, aber hier nicht annähernd so beliebt zu sein scheinen).

Schließlich machte ich mich mit schmerzenden Füßen auf den Weg zurück zu meiner Unterkunft und grübelte darüber, wie ich einen großen Beutel voller Info-Material und neun Bücher wieder nach Berlin transportieren sollte.

- Swantje